Predigten von Dr. Helmut Karl Ulshöfer, Pfarrer

Predigten im Trinitatis-Festkreis

Trinitatis 1992

Römer 11,33-36

Die Art des Staunens

1 Sonntag nach Trinitatis 1988

Jeremia 23,16-29

Wie kann man Lügen-Propheten erkennen?

1 Sonntag nach Trinitatis 1997

Lukas 16,19-31

Eine neue Währung: der LZ

3 Sonntag nach Trinitatis 1993

Genesis 50,15-21

Wie alles gut wird

4 Sonntag nach Trinitatis 1983

Johannes 8,3-11

Wer unter euch ohne Sünde ist ……..

8 Sonntag nach Trinitatis 1991

Matthäus 5,6-13

Der Indikativ Christi

8 Sonntag nach Trinitatis 1982

1 Korinther 6,12-20

Sex als Körpersprache

9 Sonntag nach Trinitatis 2001

Matthäus 13,44-46

Der Schatz   oder: Völlig losgelöst

11 Sonntag nach Trinitatis 1983

Lukas 7,36-50

Wem wenig vergeben wird, der liebt wenig

11 Sonntag nach Trinitatis 1997

Lukas 18,9-14

Wie man blitzschnell zum Heuchler wird

12 Sonntag nach Trinitatis 1988

Apostelgesch 3,1-16

Wir sind Bettler, das ist wahr

12 Sonntag nach Trinitatis 1997

Markus 7,31-37

Simon & Garfunkel:  Sounds of Silence

13 Sonntag nach Trinitatis 1988

Genesis 4,1-16

Jenseits von Eden oder: Opfer und Täter

13 Sonntag nach Trinitatis 1989

Matthäus 6,1-6

Vom Intimleben des Glaubens

14 Sonntag nach Trinitatis 2002

Johannes 5,1-18

Der Aufstand eines Festgelegten

18 Sonntag nach Trinitatis 1991

Markus 12,28-34

Wenn Krücken knicken und Fassaden fallen

18 Sonntag nach Trinitatis 1981

Markus 10,17-27

Bonjour tristesse!

21 Sonntag nach Trinitatis 2006

Jeremia 29,1-4;10-14

Die babylonische Gefangenschaft heute

 

Trinitatis 1992

Römer 11, 33-36

33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! 34 Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13) 35 Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste«? (Hiob 41,3) 36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

 

Liebe Mitchristen,
um Artenschutz soll es heute gehen, wie in Rio beim Umweltgipfel.
Dort sollen gefährdete Arten von Tieren und Pflanzen durch Abmachungen bewahrt werden vor dem Aussterben –
 aber Bush macht nicht mit-
und der uns heute vorgeschlagene Predigttext sucht eine
Art menschlichen Verhaltens zu schützen und zu beleben,
und Sie?
Machen Sie mit bei dieser Wiederbelebung?
Ach so, Sie wissen ja noch gar nicht ,
welcher Unart es an den Kragen gehen soll,
damit eine Art (im engl und frz art=Kunst) nicht ausstirbt.
Hören Sie jetzt den Predigttext,
aber so viel schon im Voraus:
Es geht um die Art, die Kunst, des Staunens.
(Röm.11,33-36 verlesen!)

Da kommt einer aus dem Staunen fast nicht mehr heraus.
Mit einem fassungslosen "O" fängt er an
und mit einem "Amen" "So soll es sein"
hört er auf.
Salopp würde man heute sagen:
Der ist völlig weggetreten.
Fassungslos, schwärmend, begeistert,
enthusiastisch und selbstvergessen.
Der strenge Denker Paulus verliert sich in grenzenlosem Staunen.

Das hat mich in den Bann geschlagen,
fasziniert habe ich mich in den letzten Wochen mit diesem Text beschäftigt.
Und ich habe mich gefragt:
Warum geht mir dieser staunende Paulus so nach?
Die Antwort, die ich mir schließlich geben musste,
machte mich nachdenklich, ja traurig:
Wenn ich nicht aufpasse, verkümmert bei mir das Staunen zu einem gelegentlichen, kläglichen und etwas müden "Ach ja?!"
Staunen, ja das könnten eigentlich nur Kinder,
so meinen aufgeklärte Zeitgeister,
Nein, nein, so will ich mich nicht trösten lassen,
Staunen gehört zum Lebendigsein, das glaube ich fest
Und daher hab ich die Angst,
mit dem schleichenden Verlust des Staunens
Leben, lebenswertes Leben zu verlieren.
Deshalb interessiert mich das Geheimnis des Paulus.

Im Römerbrief nachforschend entdecke ich,
dass die Verse aus dem 11. Kap. des Römerbriefs
am Ende von drei langen Kapiteln des Nachdenkens
über ein einziges Problem stehen.
Es sieht also so aus,
als sei das Staunen des Apostels
eine direkte Folge seines Nachdenkens.

Aha, Staunen und Nachdenken haben etwas miteinander zu tun.
Umgekehrt: Verlust von Staunen könnte dann mit mangelndem Nachdenken zu tun haben.
Also, nicht zu viel, sondern zu wenig denken
wäre dann Ursache für die bedrohte Situation
der Art des Staunens.

Und Anlass des Nachdenkens war für Paulus
ein Problem der jungen christlichen Gemeinde in Rom:
Mit einer Logik, die wohl bei fast jedem unter uns
offene Türen einrennt,
meinten dort diese frischgebackenen Christen,
das erwählte Gottesvolk, Israel, sei jetzt weg vom Fenster,
und sie, die christusgläubige Gemeinde sei an Israels Stelle getreten.
Klingt doch logisch, folgerichtig!
Israel erkennt den von Gott Gesandten nicht als solchen an,
also haben sie Sinn und Zweck ihrer Erwählung verraten. Ende! Erwählung fertig. Experiment gescheitert.
Der Nächste bitte! Die Christen in Rom standen bereit,
an Israels Stelle zu treten.
Die haben doch versagt, die sind doch verstockt
die haben doch Gottes Treue aufgekündigt.
Ist doch wohl logisch, folgerichtig,
dass Gott sie nun  wieder in die Wüste schickt
und sich brauchbareren Ersatz holt, oder!?

Liebe Gemeinde, bald werden einige unter Ihnen innerlich abschalten, ich ahne es,
denn Sie fragen sich: Was geht das mich an,
ob Israel noch erwähltes Volk ist oder nicht.
Was geht das mich an, was die Empfänger des Römerbriefs
meinten und was Paulus ihnen  schrieb.
Aber, liebe Gemeinde, nur jetzt nicht abschalten.
Ich gebe Ihnen ja recht: Es geht nicht vorrangig um Israel,
aber an dem,

wie wir uns zur fortbestehenden Erwählung Israels stellen.
kann jeder für sich ablesen,
was für ihn der Grund seines Glaubens ist,
sein eigenes Handeln, oder das des lebendigen Gottes
seine Treue, oder die des Gottes Abrahams, Isaaks, Jakobs  und Jesu
seine eigene Leistung, oder die Vorleistung Gottes in Jesus.

Die Christen in Rom machen den klassischen Denkfehler
fast aller Christen aller Zeiten:
Sie meinten, Gottes Treue sei so wie die ihre.
Und wie ist die?
Die kommt zuweilen an ihr Ende, zeitlich, nervlich und moralisch.
Ich staune immer wieder über meine Schüler,
wenn es um das Thema Liebe geht,
und sie aus einem Katalog von ca. 20 Eigenschaften wählen dürfen,
was für echte Liebe ganz wichtig ist.
Fast immer, sogar bei meinen Berufsschülern letztes Jahr in Mosbach, steht Treue ganz oben.
Aber dann provoziere ich sie, und meine,
"Wie oft seid ihr denn schon treu gewesen?"
Verlegenes Schweigen, denn sie ahnen ja,
dass Treue eigentlich keine zeitliche Grenze
und auch keine Wiederholung duldet.
Und ich provoziere weiter:
Kann einer 685 mal treu sein?
Kann einer nur 2 Wochen treu sein
oder 2 Tage oder 2 Stunden?
Und wir wissen dann alle, die Schüler und ihr Lehrer,
ja, wir sitzen alle in einem Boot,
jeder von uns kann durch fieseste Aufkündigungen von Treue ans Ende seiner eigenen Treue geraten.

Und Gott?
Die Römer sagen: Der auch! Auch den kann man ans Ende seiner Treue bringen.
Und der Heilige Geist sagt Paulus in seinem Nachdenken:
Nein, Gott nicht,
den kann keiner ans Ende seiner Treue zwingen.
Im Gegenteil, wenn Israel den Christus nicht anerkennt,
dann macht ER noch etwas Gutes draus,
dann kriegen alle Heiden ihre Chance,
die können jetzt dazukommen.
Man könnte also zugespitzt sagen:
Aufgekündigte Treue menschlicherseits
beantwortet Gott mit einer Ausweitung der Treue seinerseits.

So wie Dietrich Bonhoeffer in seinem Glaubensbekenntnis festhielt:
Ich glaube, dass Gott aus allem, auch dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Daran hielt er fest, das hielt ihn - auch im KZ.
Also, ihr römischen und leicht höhnischen Christen:
Israel ist nicht weg vom Fenster,
die Erwählung gilt, es bleibt Gottes Volk.
Und nun, liebe politisch interessierte Zeitgenossen,
keine Aufregung am falschen Platz.
Damit sagt keiner, zuallerletzt der Paulus,
dass diese Erwählung die menschenverachtende Behandlung der Palästinenser durch das moderne Israel rechtfertigte.
Die Erwählung Israels ist keine ethische Aussage,
sondern eine theologische,
da geht's nicht um menschliche Qualitäten,
sondern um göttliche.

Aber wo kommen wir denn da hin,
wenn menschenverachtenden Schurken noch Gottes
Treue und Erbarmen gelten?
Ja, wo kommen wir denn da hin,
ins Staunen, vielleicht, oder ins Ärgern.
Ins Staunen, wenn der Geist der Pfingsten
uns die Splitter im Auge unserer Mitschurken vergessen lässt,
und uns liebevoll-sadistisch den Balken im eigenen spüren lässt.
Ach ja, Sie sagen vielleicht:
Ich akzeptiere Jesus als Herrn, die Juden nicht
und so mancher neudeutsche Heide auch nicht,
das macht den Unterschied.
Sagen Sie, was macht Sie so sicher,
wo eben dieser Jesus doch warnt, dass nicht alle die
Herr, Herr sagen angenommen werden,
sondern die den Willen Gottes tun?
Ja, wo kämen wir denn da hin,
wenn Paulus recht hätte,
dass "Gott alle eingeschlossen hat in den Ungehorsam
damit er sich aller erbarme. Aller!
Erbarmen für alle, ja wo kämen wir denn da hin?
Leichtsinn, nichts als Leichtsinn, befürchten Sie?
O wäre das schön!
Leichtsinn, echter Leichtsinn in der Kirche!
Das dachte ich letzten Sonntag als ich in einer Nachbargemeinde die Leute vom Abendmahl kommen sah:
sehr ernst, beinahe traurig!
Hab ich jetzt ernstlich genug geglaubt an Christi Opfer?
War meine Reue echt?

Tanzend vom Abendmahl kommen,
das wär was,
denn Christi treues Erbarmen gilt allen,
also ohne Frage auch mir.
Staunend aus dem Gottesdienst kommen,
und in dem armen Typen, der während dem Gottesdienst meint,
sein Auto waschen zu müssen,
auch einen sehen, vor dem Gottes Treue nicht kapituliert
So ein Glaube hätte sogar Auswirkungen
auf unser Verständnis von Treue und Barmherzigkeit im Alltag:
Zum Beispiel sich freuen, wenn Stefan Reuter
am Montagabend gegen Schottland mitspielen darf
obwohl er uns vorgestern schier alles vermasselte.
.
Das wäre
staunender Leichtsinn,
der in den oft so verkniffenen Alltag strahlt,
Leichtsinn, der Gott freut,
Leichtsinn, der andere ein- und nicht ausschließt,
Staunen, dass nicht unsere begrenzte Treue sich auch Gott übertragen lässt,
sondern dass Gottes unbegrenzte Treue auf uns übertragen wird,
das Staunen darüber, diese Art, diese Kunst
laßt uns pflegen,
wo immer sie uns auch noch so kümmerlich begegnet.
Soli deo gloria
Amen.

 

1. Sonntag nach Trinitatis 1988

Jer. 23, 16-29

  1. 16 So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch; denn sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. 17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen –, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen.
  2. 18 Aber wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat sein Wort vernommen und gehört? 19 Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen. 20 Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.
  3. 21 Ich sandte die Propheten nicht und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen und doch weissagen sie. 22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
  4. 23 Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? 24 Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR.
  5. 25 Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. 26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen 27 und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? 28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der HERR. 29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Liebe Gemeinde,
ein Mann schleppt sich durch die Straßen Jerusalems,
ein schweres Joch um seinen Hals.
Ein Joch, so wie man es Pferden,
oder früher bei uns auch Kühen anlegte,
damit man sie vor einen Wagen spannen konnte.
 Man hält den Jochträger, es ist Jeremia, der Prophet,
für nicht ganz normal.
 Er sei ein pathologischer Schwarzseher, ein Miesepeter,
ein Panikmacher, so meinen die meisten Zeitgenossen.
Seine Worte werden nicht mehr ernst genommen,
nun lässt er Zeichen sprechen.
Das Joch ist so ein Zeichen,
ein Zeichen für die Herrschaft des babylonischen Königs.
Noch lange Zeit soll sie dauern für Jeremia und Jerusalem,
will Jeremia im Namen Gottes seinen Landsleuten sagen.
Eine wahrhaft deprimierende Botschaft!
Da hört man doch lieber auf einen anderen Propheten,
den Hananja, der ist einfach positiver, hoffnungsvoller, optimistischer. Nur noch kurze Zeit soll des Babylonierkönigs Herrschaft dauern.
 Ja, sie haben richtig gehört: Auch er gilt als Prophet Gottes.
Wem wird man wohl eher Glauben schenken?

Und eines Tages,
als Jeremia wieder mit seinem bezeichnenden Joch unterwegs ist,
da reißt es ihm Hananja vom Hals und meint:
So wird Gott auch in Kürze Juda vom Joch Nebukadnezzars befreien. Und die Menge lacht, lacht über den doofen Panikmacher Jeremia,
lacht sich seine ganzen Ängste von der Seele,
lacht … bis es ihnen vergehen wird. 
Kann man es denn Leuten verübeln,
 wenn sie eher auf das Hoffnungsvollere,
das Unkompliziertere, sie weniger Fordernde hören?
Wie groß mag die Versuchung für Jeremia gewesen sein,
auch einmal populär, publikumswirksam,
 beifallheischend zu predigen?
Aber das Joch um seinen Hals
ist mehr als ein Hinweis auf Babylons König,
es offenbart seine Existenz vor Gott.
ER hat ihn wahrhaft eingespannt für sich und seine Sache
…. Jeremia kann nicht anders.
Er weiß: Gottes Botschaft ist nicht: Weiter so,
sondern: Kehrt um.
Ist nicht: So schlimm wird´s schon nicht kommen.
Sondern: Eure Illusionen sollen zerschlagen werden.
Ist nicht: Eure Gefühle werden euch richtig leiten.
Sondern: Mein Wort ist Richtschnur, letztes Kriterium.
Allen falschen Propheten, Hananja und seine Kollegen,
die von der Mehrzahl der Leute allerdings als die rechten
angesehen werden und daher angesehen SIND,
gilt nur Jeremias Anklage im Namen Gottes.
Diese Anklage aus dem 23. Kapitel des Buches Jeremia
ist unser heutiger Predigttext
TEXTLESUNG
Was macht nun die Lügenpropheten so erfolgreich?
Wie schaffen sie es, die die Geschichte später wirklich Lügen straft, jetzt, also VOR dem Lügentest der Geschichte
als die Vertreter der Wahrheit dazustehen?
Sie sagen, was die Masse hören will.
Was sich jeder selber sagt, wird von ihnen bestätigt.
Sie sind die Zementierer der Selbstbestätigung,
das Öl im Getriebe der Selbstrechtfertigung.
Weiter so, will das Volk hören,
weiter so, lautet wunschgemäß die Botschaft der falschen Propheten auf das bereits von der Masse Gesagte,
 nichts als eine Bestätigung
für das von Otto Normalverbraucher Gedachte,
nichts als die Verheißung des von der Mehrheit Gewünschten.
Die Existenzgrundlage der Lügenpropheten
liegt in einer Besonderheit der Menschen,
die man im Dialekt meiner Heimat so ausdrückt:
Die welle aoglouche werde!
Give the people what they want, singen die Kinks.
 
Nach Jeremias Anklage
ist die Botschaft der Lügenpropheten erkennbar an drei Merkmalen. Und wenn es richtig ist,
dass ihre Worte bestimmt sind vom Wunsch des Volkes,
dann sind die drei Merkmale ihrer Botschaft
gleichzeitig drei Wünsche ihrer Hörer.

  1. Sie betrügen euch, denn sie verkünden Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des Herrn. V. 16b

Hinter allem was sie sagen,
steht der Wunsch als Vater des Gedankens.
Diese Wünsche, die Gesichte ihres Herzens,
werden zu Hoffnungen hochstilisiert,
aber Hoffnung braucht einen Grund,
braucht eine Verheißung, an der sie sich festmacht,
braucht zuweilen auch die Tat,
um ihre Verwirklichung zu ermöglichen.
Der Wunsch hat meist seinen Grund in einer Notlage,
die Hoffnung braucht einen Anker außerhalb dieser Not.
Wir alle wünschen uns heute, am Tag der Umwelt,
dass die Meere sauber werden,
die Luft wenigstens so sauber bleibt wie jetzt,
dem Waldsterben ein Ende gesetzt wird.
All das wünschen wir uns,
aber wo liegen Gründe dafür,
dass diese unsere Wünsche begründete Hoffnung werden?
Wer Wünsche für Hoffnungen verkauft,
betrügt sich selbst und die andern.

2 Wohlergehen ist zu haben, auch ohne den Preis der Selbstkritik und ohne Kursänderung.
17 Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen –, und allen, die nach ihrem verstockten Herzen wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen.
22 Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
Auch wenn der Kurs erkennbar falsch ist,
 lautet die Botschaft der Lügenpropheten:
Weiter so.
Die Zukunft wird gut, auch wenn euer Handeln mies ist.
So schlimm können die Folgen eures Nichtstuns gar nicht sein.
Da können wir nichts machen.
Wenn mutige Leute, wie die von Greenpeace,
sich an ein das Meer verunreinigendes Schiff ketten,
dann finden wir das vielleicht gut, sagen das auch,
aber tun nichts aber auch gar nichts zu ihrer Unterstützung,
 weder durch Leserbrief in der Zeitung
noch durch eine Spende mit ermutigendem Brief an Greenpeace, dann hat das bei mir keine Kursänderung verursacht,
und mein Schweigen
und mein Nichtstun signalisieren den Verantwortlichen: Weiter so!

Wer schweigt, stimmt zu.
 3 DIE TRÄUME DER LÜGENPROPHETEN SIND BAALS-TRÄUME. Es sind Träume, die Gott und sein Wort vergessen machen. Baal ist ein Fruchtbarkeitsgott, ein Wohlstandsgott.
 Bald wird aus ihm – damals wie heute – nicht ein Gott,
 der Wohlstand gibt, sondern der Wohlstand ist.
Lügenpropheten erheben wunschgemäß den Wohlstand zum Gott. Wunschgemäß, wohlgemerkt!
Ach wie verseucht und verschmutzt
sind wir doch von diesen Baalsträumen,
von diesen Wohlstandsträumen!
Es sind unsre verseuchten Wohlstandsträume
die eigentliche Ursache für eine verseuchte Umwelt –
Wer bringt schon die innere Kraft auf,
seine Lebensmittel mühsam und teuer zu beziehen von solchen,
die ihre Felder nicht mit Stickstoff düngen,
 damit nicht noch mehr Fische sterben?
Wie viele Bauern
könnten heraus aus der Zwickmühle der Düngezwänge,
wenn mehr bereit wären,
mehr zu zahlen für weniger oder anders gedüngte Grundnahrungsmittel?
Das müssen die Politiker ändern, höre ich.
Aber würden Sie einen Kandidaten wählen,
der all das zugunsten unserer Umwelt ändern wollte,
ihnen allerdings klipp und klar vorhielte,
dass dies nur zu schaffen wäre, wenn wir alle bereit wären,
mit dem Lebensstandard der Fünfziger Jahre zufrieden zu sein?

Welch tödlicher Schock für unsere Baals-Träume,
die Gott vergessen lassen.
Weiter so?
Am 23. Mai 1977 berief der amerikanische Präsident Carter einen Stab von Wissenschaftlern, um zu untersuchen,
wie es auf unserer Erde im Jahr 2000 aussehen würde,
wenn alles weiter so gehe.
Zwei Jahre später war die Untersuchung beendet,
die ab 1980 im deutschen Buchhandel erhältlich war: Global 2000. Ihre Zusammenfassung bestand aus Aussagen,
die nach Jeremia und nicht nach Hananja klangen.
Daher wurde der Schinken auch kaum gekauft.
Ich habe seinen Inhalt mehrfach in Predigten
und Vorträgen zur Sprache gebracht.
 Das war Anfang der 80er Jahre.
Keiner wollte es hören.
Auch meinen Lebensstil habe ich an einigen Ecken geändert.
Aber irgendwann hatte ich nicht mehr die Kraft weiterzumachen.
Ich bin nicht Jeremia.
Gestern nun las ich zum ersten Mal wieder darin.
 Zunächst nur die 6 Seiten der Zusammenfassung
(Auszüge lesen!
 Diese Worte trafen mich wie ein Hammer,
ja, wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt,
wie es unser Predigttext vom Wort Gottes sagt.
Sollte Gott auch durch solche Worte sprechen?
Und plötzlich kam mir in den Sinn,
wie radikal Jesus Gottes Willen zusammenfasste: Du sollst Gott lieben, von ganzem Herzen und Gemüt
UND Du sollst Deinen Nächsten lieben, wie dich selbst.
Wie kann, wer Gott liebt, dazu beitragen und zulassen,
dass das was ER gemacht hat, zerstört wird?
Und der Nächste,
das ist doch auch und gerade der, der nach mir kommt.
 Der Nächste bitte – im Wartezimmer.
Im Jahr 2000 wird meine älteste Tochter 25 –
eventuelle Enkel werden so um die Jahrtausendwende geboren.
 Der Nächste bitte!?
Liebe Deinen Nächsten, auch und gerade den, der nach dir kommt.

Wie darf ich dann zulassen,
dass die Nachkommenden
den Preis für meinen Wohlstand zahlen sollen?
Wie darf meine Generation es wagen,
in das allgemeine Motto einzustimmen:
„Meine Kinder sollen es einmal besser haben“,
wenn alles darauf hinweist, dass unser heutiger Lebensstil ihren künftigen vermiest.

So höre ich Jeremia, die Stimme des Lebens,
die Stimme der Liebe, die Stimme Gottes aus diesen trockenen,
 aber erschütternden Worten der amerikanischen Wissenschaftler.
Sie fragen mich: Liebst Du Gott den Schöpfer?
Liebst du, was er geschaffen hat?
Liebst du auch den Nächsten, der nach dir kommt.
Mir ist alles „Weiter so“ gründlich vergangen.
Aber die KRAFT, HERR, die Kraft.
Ich ahne, dass meine Kraft nicht reicht zum Umdenken
und zum ganz praktischen Ändern des Kurses.
Ich kann nur seufzen, o Herr, die Kraft,
diese Kraft, die wünsche ich mir von dir!
Das ist keine Lüge,
Herr, wenn mein Leben auch voller Unstimmigkeiten ist.
Gib mir die Kraft, dich und meine Nächsten zu lieben,
echt und praktisch! Amen


                                                        

 

1. Sonntag. n. Trinitatis 1997

Lukas 16,19-31

  1. 19 Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. 20 Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren 21 und begehrte sich zu sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel; dazu kamen auch die Hunde und leckten seine Geschwüre. 22 Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben.
  2. 23 Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. 24 Und er rief: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen. 25 Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet und du wirst gepeinigt. 26 Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.
  3. 27 Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; 28 denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. 29 Abraham sprach: Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören. 30 Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. 31 Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

 

Ein Jumbo-Jet mit 300 Passagieren nähert sich dem Zielflughafen.
Plötzlich die Nachricht über Funk:
Sie sind um zwei Grad auf falschem Kurs!
Ist das eine gute Nachricht?

Ich fahre mit 125 Sachen über die Landstraße.
Da kommt mir einer entgegen, blendet wie wild auf: Radarfalle
Ist das eine gute Nachricht?
Wende ich auf der Straße, jage dem Aufblender nach,
stoppe ihn, stelle ihn zur Rede: Was fällt Ihnen ein, mich so zu blenden?

Der Lehrer bittet einen Schüler um ein Gespräch.
Du steuerst stracks auf einen Fünfer im Zeugnis zu, sagt er ihm.
Streng' dich bei der nächsten Arbeit besonders an. Deine Versetzung ist sonst gefährdet.  Ist das eine gute Nachricht?

Was meinen Sie: Sind das gute Nachrichten?
Ist es nicht so, dass der Inhalt jedes Mal negativ ist
(falscher Kurs, überhöhte Geschwindigkeit, mangelnde Leistung)
aber das Ziel, die Absicht ist immer positiv
(Absturz, Strafzettel oder Sitzenbleiben vermeiden).

Die für den heutigen Sonntag vorgegebene Gute Nachricht,
das heißt ja Evangelium, sagt:
Reiche können ganz schnell in die Hölle kommen.
Ist das eine gute Nachricht? Ist das Evangelium?
Hören Sie die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus
im Originaltext:

(Textverlesung)

Eigentlich ist das doch eine wunderschöne Geschichte.
Da geht's einem so richtig dreckig
UND DER KOMMT IN DEN HIMMEL
Äußere und wahrscheinlich auch innere Wunden,
abhängig aber verlassen, nur Hunde kümmern sich um ihn
Ein kurzes Leben in der Qual
und eine lange Ewigkeit erste Wahl!
Wenn das nicht tröstlich ist,
denn sind wir nicht alle ein bisschen Bluna,
äh,, sind wir nicht alle irgendwie arm,  verlassen, voller Wunden???
Aus einem deprimierenden Los direkt in Abrahams Schoß.
Wunderschön.

Und auch das andere Schicksal, das des Reichen,
das hat doch auch was tröstliches, nicht??!
Endlich Gerechtigkeit, fairer Ausgleich,
 endlich ein Ende der Privilegien!!
Der Metzen, das war doch so einer.
 Den Rolls-Royce zur Schau gestellt,
mit irre teuren Uhren geprahlt, Frauen serienmäßg aufgerissen.
Und dann stirbt er verzweifelt und fertig und öffentlich.
Siehsch'd, sou konn's a gehn!
Und die langen Jahre von giftgrünem Neid
weiden sich nun an des Reichen Leid.

Aber um den dritten Teil der story gut zu finden,
muss man allerdings arg bitter und verhärtet sein:
Dem Reichen geht's nun dreckig, wirklich dreckig!
Er fleht um Hilfe, um Gnade, um Barmherzigkeit.
Das geht einem so richtig unter die Haut.
Okay, vielleicht war er ein herzloses Schwein,
hatte nicht einmal aus dem Überfluß
etwas übrig für den armen Penner.
Aber wer ist schon ohne Fehler, sind wir nicht alle ein bisschen... hartherzig!!???

Und dann: Der Reiche, ganz ohne Wenn und Aber,
entdeckt jetzt seine soziale Ader!
Er denkt an seine fünf Brüder, immer noch am Leben,
immer noch reich, immer noch gnadenlos hartherzig!
Immer noch, meint der Reiche in der Hölle,
fähig ihren Kurs zu korrigieren, die Brüder wenigstens.
Zu denen müsste einer kommen mit einer deftigen Warnung:
Der Kurs stimmt nicht, es droht Strafe,
ihr werdet nicht in den Himmel versetzt!
Vater Abraham, bitte, schick meinen Brüdern den Lazarus,
damit er sie warnt.
Das ist rührend - ganz ehrlich, aber auch furchtbar illusionär,
auf eine ans Herz gehende Weise unrealistisch.

Das muss man sich mal vorstellen:
Da taucht plötzlich vor dem Bungalow des einen Bruders
ein Penner auf, klingelt und meint zu dem Dienstmädchen an der Tür,
er habe eine extrem wichtige Nachricht
vom kürzlich verstorbenen Bruder:
Des Chefs Kurs stimme nicht, es drohe Strafe,
Versetzung in den Himmel gefährdet.
Ist das eine gute Nachricht?
Ich sehe das amüsierte Schmunzeln
auf dem Gesicht des Dienstmädchens
als sie beim Servieren des Abendessens
ihrem Chef vom dem Penner und seiner Warnung erzählt.
 Dass der nicht erstickt an seinem Lachen ist alles!

Und Vater Abraham ist realistisch,
weiß, dass Lazarus als Warner nicht den Hauch einer Chance hätte, also bleibt der wo er ist
Und der Reiche auch!
Und Abraham hat noch ein Argument,
warum die Bitten des Reichen nicht nur unrealistisch,
 sondern auch unnötig sind:
Deine Brüder haben Warner genug:
 Mose , die Propheten, die Bibel,
heute würde er dazufügen: den Jesus und seine Geschichten.
Die sitzen doch sonntäglich in der Kirche,
hören von Nächstenliebe und davon,
dass man nicht Gott dienen kann UND dem Mammon,
und dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr kommt
als ein Reicher in den Himmel,
das wissen die christlichen Brüder und Schwestern des Reichen alle!
Und?

Liebe Gemeinde, jetzt kommt der spannende Teil der Predigt:
Jetzt muss darüber nachgedacht werden,
WO unser Platz in dieser Geschichte ist, davon hängt viel ab.
Jesu Gleichnisse und Beispielerzählungen haben es so an sich,
dass sie unsere und Gottes Wirklichkeit spiegeln und fragen:
Wo bist du?
UND: Wo möchtest du sein?
Es ist so wohltuend, dass Jesus immer nach beidem fragt,
nach der Ortsbestimmung UND nach der Richtung,
 in der unsere Sehnsüchte gehen.
Jetzt machen wir’s mal so,
dass ich Sie einfach auf meine Nachdenk-Reise der letzten Tage
über die Geschichte vom reichen Mann und vom armen Lazarus mitnehme.
Und Sie überlegen sich, ob das für Sie auch so ist,
oder was bei Ihnen anders ist.

Also meine erste Reaktion auf die Geschichte war:
O je, armer Ulshöfer, darüber predigen in einem reichen Land,
das ist unangenehm, das gibt eine Drohpredigt!
(Übrigens: Luther nannte diese Geschichte ein Droh-Evangelium)
Und dann fragte ich mich:
Und wo in der Geschichte hast du deinen Platz?
Wo kommst du vor?
Und jetzt wird’s ein wenig schwierig:
Ich kann eigentlich ohne zu lügen sagen, dass ich nicht reich bin.
Und Sie sind’s wahrscheinlich auch nicht.
Ist man schon reich, wenn man ein Haus und ein Auto hat?
Nein! Nein, aber mit dem Zusatz: Nach deutschen Maßstäben nicht!
Nach Metzen-Maßstäben nicht!
Dann wäre die nächste Frage:
Legt Gott beim Jüngsten Gericht
deutsche Maßstäbe an, oder hat er eigene?

Dann dachte ich: Alle Menschen sind Gottes Geschöpfe,
alle hat er lieb und weltweit hat er genug für alle gegeben.
Wenn alle an den Tisch dürften, den Gott gedeckt hat,
dann müsste nicht ein einziger verhungern.
Und darum komme ich zur Überzeugung, dass die Frage:
Wie kann Gott es zulassen, dass Kinder verhungern
eine falsche, ja eine außerordentlich fiese Unterstellung ist.
Also, um bei Jesu Bilderzählung zu bleiben:
Da drinnen, im Bungalow des Reichen, war genug,
dass es auch für den Lazarus, ja für viele Lazarusse gereicht hätte.
Der Reiche hätte dann nicht hungern müssen,
er hätte auch sein Haus nicht verkaufen müssen
und trotzdem hätte er mindestens fünf Lazarussen
zu einem menschenwürdigen Dasein verhelfen können.

Kann ich das auch, fragte ich mich dann.
Kann ich als deutscher Nichtreicher
fünf Menschen vor dem Verhungern bewahren?
Und wenn ich diese Frage mit Ja beantworten kann
–oder besser: muss-
dann ist geklärt, wo mein Platz in Jesu Geschichte ist.

Und jetzt wird es ganz hart:
Ich muss die Frage, ob ich das kann, eindeutig mit Ja beantworten.
Ja, ich kann fünf Arme ernähren.
Ein Kind in Indien braucht monatlich fünf Mark zum Leben.
Sie haben sich nicht verhört:
Fünf Mark für einen Menschen für einen Monat!
Also jetzt schnell den Solar-Rechner raus:
Mit 60 Mark reicht’s für ein ganzes Jahr
und für fünf Menschen brauche ich jährlich 300 Mark.
(Übrigens: Das alles stimmt wirklich, denn die Menschen in der Dritten Welt verzehren sich nicht nach Koteletten und Markklößchensuppe,
sondern schlicht und ergreifend nach Reis und ein wenig Gemüse.
Und die ungerechte Weltwirtschaftsordnung
hat hier einmal auch positive Auswirkungen:
 Aus meinen fünf Mark werden in Indien ein kleines Vermögen)

Muss ich hungern, wenn ich die DM 300 hergebe?
Kann ich meinen Kindern keine Ausbildung mehr finanzieren?
Nein, ehrlich nicht! Also bin ich reich!!
Das ist die Zwischensumme meiner Überlegungen:
Ich glaube wirklich,
mein Platz in der Geschichte von Jesus ist der des Reichen.
 Ich habe so viel,
dass ich mehreren Lazarussen wirkungsvoll und andauernd helfen kann.

Es könnte sein, dass bei Gott so eine Art Währung besteht,
nicht Euro und nicht Mark, sondern der LZ (von LaZarus).
Ein LZ ist 60 Mark.
Reich ist der, der abgeben kann, der eine 1 LZ, der andere 5
und wieder ein anderer zehn.
Reich wäre dann, wer mindestens ein LZ hat, das er opfern könnte,
ohne selbst Not zu leiden.
Und die Geschichte von Jesus sagt mir:
Du, wenn Du einen oder mehrere LZ abgeben könntest,
aber drauf sitzen bleibst,
aus Angst zu kurz zu kommen,
aus Gedankenlosigkeit, aus Hartherzigkeit,
dann hat dein Leben die falsche Richtung,
dann droht Strafe, dann ist deine Versetzung in den Himmel gefährdet.

Und wieder die alte Frage: Ist das eine gute Nachricht?
Ja, immer wieder ja, denn ich lebe noch!
Ich kann mein Leben noch ändern. Es ist noch nicht zu spät!
Wenn wir jetzt mal unsere Situation überdenken,
so nach Gottes Währungssystem,
dann lockt eine wahnsinnig gute Erfahrung:
Stellen Sie sich mal vor, Sie gingen auf dieses LZ-Modell ein,
Sie würden sich und Ihre Familie LZ-mäßig einstufen,
Sie würden dann handeln, nicht nur fromm labern,
Sie würden sich mit Phantasie Lazarus-Menschen
und Lazarus-Projekte aussuchen, denen Sie helfen können,
dann wird wahrscheinlich eins passieren:
Sie brauchen gar nicht mehr bis zu Ihrem Tod warten,
um in Abrahams Schoß zu sein!
Sie wären jetzt sofort  da, wo wir uns alle hinsehnen,
da wo Ruhe, Zufriedenheit und echtes Glück sind.
Denn über Menschen, die teilen freut sich Gott so riesig,
dass er mit seiner Belohnung nicht erst 20 oder 50 Jahre wartet
Die kommt schon hier und jetzt.
Das ist wahrlich eine gute Nachricht! Amen.

 

3 Sonntag nach Trinitatis 1993 - Mose 50,15-21

15 Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. 16 Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: 17 So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten.
18 Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. 19 Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? 20 Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. 21 So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Liebe Gefährten auf dem Weg zum Glauben,
es wird alles wieder gut,
so hast Du vielleicht schon ein Kind getröstet,
das sich wehgetan hatte oder dem wehgetan wurde.
Es wird alles wieder gut
so bist du vielleicht selbst getröstet worden
und hast es geglaubt - und warst getröstet - als Kind!!
Es wird alles wieder gut
Glaubst du das eigentlich noch, jetzt - als Erwachsener?
Oder sagst du: Es wird alles nur noch mieser:
Die Einsamkeit um mich wird mächtiger;
die Verantwortlichen mehren das Unrecht, anstatt ihm zu wehren;
sich engagieren ist zwecklos,
und Gott hat sich abgemeldet aus den Weltgeschäften.
Ist es das, was du wirklich glaubst
auch wenn du in der Kirche deinen Glauben so bekennst:
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen..

Aber eins wissen wir:
Was wir wirklich glauben - das wirkt, es ist wirk-lich!
Wenn dein wirk-licher Glaube, weißt du, der echte,
der nicht aufgesetzte, der Glaube der in dir drin ist,
ohne Verrenken und Anstrengen,
weißt du, wenn der meint, es wird alles mieser,
dann wird's auch für dich und um dich mieser, kein Zweifel!
Du wirst muffiger, depressiver, hoffnungsloser,
im miesen Sinne wirst du alt,
weil die Summe deiner Befürchtungen größer ist
als die Summe deiner Hoffnungen und Erwartungen.
Und deine Lebensgefährten: Frau,Mann,Kinder,Kollegen,Freunde
die kriegen das mit, werden angesteckt,
und es wird wirklich alles mieser
und du fühlst dich bestätigt, du gibst dir recht
und lachst bitter, wenn einer meinst: Alles wird wieder gut!

Und noch was passiert, Neudeutsch ausgedrückt:
Deine Wahrnehmung wird selektiv!
Einfacher: Du nimmst nur noch wahr, was du glauben willst,
was dir recht gibt, was zu deinem Mies-Glauben passt:
Bald liest du Todesanzeigen und Katastrophenmeldungen zuerst,
morgens am Kaffeetisch - und wunderst dich,
wenn dein Tag davon sein Gefühlskleid bekommt.

Wenn Du mir bis hierher zugehört hast und das Gefühl hast,
der redet von mir, dann bleib am Ball,
nur noch ein Viertelstündchen, aber vor allem jetzt, denn jetzt kommt die Grundfrage,
auf die alles ankommt, die alles entscheidet:

Wenn es gute Gründe gäbe, dein pessimistisches Glaubensbekenntnis
zu ändern, würdest du das wollen?
Möchtest du glauben, dass alles wieder gut wird,
deine Geschichte und die Weltgeschichte!??
Wärst du froh, wenn es so wäre, wenn's wirklich so wäre?
(Pause)
Schau, mein Gefährte auf dem Weg zum Glauben,
ich will dir nichts vormachen:
Ich bin derjenige, dem es so schwer fällt, zu glauben,
dass alles wieder gut wird.
Aber das andere bin ich auch:
Wenn's Anzeichen gäbe für diesen hoffnungsvollen Glauben,
Hinweise, Andeutungen, begründete Hoffnungsschimmer,
dann interessieren die mich brennend, denn ich möchte
tatsächlich lieber glauben, dass alles wieder gut wird,
als davon auszugehen, dass alles den Bach runtergeht
Und darum wurde ich hellwach, als ich im Bibeltext für die heutige Predigt den Satz las,
der am Ende einer langen und chaotisch-leidvollen Geschichte steht:
Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen,
aber Gott gedachte es gut zu machen.

(Lesung Gen 50)
Lass dir die Geschichte erzählen von dem,
dem man übel mitspielte, der selbst Mist baute
und der trotzdem am Ende zu der Überzeugung kam: Die Vorzeichen standen alle auf Mies
aber da war einer, der hat diese Vorzeichen alle verwandelt.
Das weckte in ihm den Glauben an den  Gott,
der aus dem Bösesten noch Gutes macht,
den Glauben, der in einem andern, Jahrhunderte später,
noch lebendig war und der einfach davon ausging,
dass denen die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen

Die Hauptrolle in unserer Geschichte spielt Josef,
du kennst ihn wahrscheinlich aus Kigo oder Reli-Unterricht.
Was du vielleicht nicht weißt:
Unser Held hatte gleich einen schlechten Start:
Er und seine Brüder waren von vier verschiedenen Müttern
Kannst Du dir das Chaos vorstellen?
Eifersucht, Neid und Misstrauen waren vorprogrammiert.
Schau, daran merkst Du:
Gott mutet seinen Leuten einiges zu.
Da ist nichts zu spüren von dem Kinderglauben,
dass Gott alle vor allem behütet, wenn sie ihm nur vertrauen.
Schmink dir also ruhig den Irrglauben ab,
Gottvertrauen wirke wie ein primitives Schutzschild,
Behütetsein hieße ausgeklammert sein von allem Miesen/Fiesen
Gott ist aber nicht der verhätschelnde, seine Kinder bevorzugende Übervater,
sondern einer, den du in der Tiefe entdeckst,
als solidarischen Freund, der zu dir steht -
und so oft nicht die Umstände verändert - aber dich.
Und Josef wird bevorzugt, seine Mutter ist die Lieblingsfrau
seines Vaters, er kriegt das Beste vom Besten
Super, denkst du? Nein nicht super sondern Sch....enkleister
Denn erstens wird das Bürschchen überheblich,
hat Träume, dass seine Brüder sich vor ihm verneigen
und zweitens bricht nun der Hass seiner Brüder über ihm
zusammen,
sie täuschen ein Unglück vor und verkaufen ihn an Sklavenhändler.
Ja, was so toll aussieht, das Beste vom Besten bekommen,
das entpuppt sich zuweilen nicht als Segen, sondern als Fluch
Denk nur mal an das deutsche Wirtschaftswunder!
Kann es sein, dass wir hart geworden sind, ohne es zu merken?
Offen gestanden: Ich frage mich manchmal,
ob meine Einteilung in Gut und Böse, in Fluch und Segen, in nützlich und schädlich, in positiv und negativ, ob die eigentlich stimmt,
ob die Trennungslinien nicht anders verlaufen.

Und der fromme Jude Josef wird verkauft in die Fremde
Und dort, wo eigentlich sein AUS hätte erwartungsgemäß kommen müssen,
dort redet er nicht mehr von seinen Träumen,
die er sicherlich in anderer Form noch hat,
jetzt versteht er die Träume anderer.
Ja, nur wer selbst Fremder war, versteht die Träume Fremder
Frag dich mal, wovon dein türkischer Nachbar träumt!

Aber merkst Du, was sich jetzt schon abzeichnet:
Unser Josef wird sensibler, offener, menschlicher,
anstatt unter seinem harten Schicksal zu zerbrechen.
Was steckt dahinter?
Und was steckt hinter dem Traum des Pharao,
dem von den sieben fetten und den sieben mageren Kühen?
Es sollen nicht die mageren gemolken werden -
das wäre die Lösung deutscher Finanzminister ;.)
Nein, zu fetten Zeiten sollen alle sparen,
damit die mageren überstanden werden können.

Und so geschieht's: Dank Josefs Verständnis für Träume
und dem Verstand des Pharaos für Konkretes
hat man in Ägypten noch etwas zu beißen,
als in Josefs alter Heimat der Gürtel enger geschnallt wird.
Und nun kommen seine Brüder - als Wirtschaftsasylanten.
Und das heidnische Ägypten handelt anders
als das christliche Abendland heute:

Wo geteilt wird, reicht es für alle!
Und der Bruder, den sie verkauften, wie ein Stück Vieh,
wird Retter und nicht Rächer.
Wie muss er sich doch gewandelt haben,
in der Fremde, in seinen Ängsten, durch sein Scheitern.
Wäre ihm alles erspart geblieben, hätte er zuhause seine Bevorzugung genossen,
seine arroganten Träume genährt -
was wäre aus ihm geworden, auch ein Retter, oder eher ein Rächer?

Haben ihn die miesen Erfahrungen gewandelt? Vorsicht!
An Leid und Ungerechtigkeit ist mancher auch zerbrochen,
bitter, zynisch und selbst ungerecht geworden.
Das allein kann's nicht sein
Was dann, wer dann?  Sagst du: Gott!?

Hat sein Glaube an Gott ihn verwandelt?
Soll ich dich schocken?
Nein, Gott war's nicht!
Es glauben so viele an Gott
und werden dennoch hart, egozentrisch und rechthaberisch. Ich habe da eine Ahnung, ich will's nicht behaupten, aber ich ahne, die Antwort heißt:
Gott im Leid und Leiden an Gott
das sind die Kräfte seiner Heilung,
darin liegt das Geheimnis, dass für ihn und um ihn
alles wieder gut wird.
Gott im Leid und Leiden an Gott
das klingt kompliziert, hoch-theologisch,
aber was heißt das für dich und für mich
mit unserer Frage, ob es Anzeichen gibt
für eine Hoffnung, dass doch noch alles gut wird in deiner und meiner persönlichen Geschichte und in der Weltgeschichte?
Josef hält Rückschau, nimmt sich Zeit, nach-zudenken, nach-zudenken den wirren Fäden seiner Lebensgeschichte Anlaß ist der Tod seines Vaters.
Es gibt viele Anlässe für nachdenkliche Menschen, die nicht gelebt werden, sondern leben wollen.

Und plötzlich entdeckt er in diesen wirren Fäden ein Muster:
Was so mies und zerstörerisch erschien,
in dem was mir andere zufügten
und in dem, was ich anderen zufügte,
das konnte nicht alles kaputt machen,
das hatte auch nicht nur seine guten Seiten,
wie wir manchmal sagen,
sondern das wurde gut - wirk-lich gut, es hat gut gewirkt.
Was einst lähmte, wirkte letztendlich belebend;
was vorher wie das AUS schien, wurde Neuanfang;
was ihm lebensbedrohlich vorkam, wurde zur Rettung.
Dies Muster entdeckt er,
und wer ein Muster entdeckt hat, der hält seine Augen offen
ob da noch weitere Anzeichen in dieser Richtung
zu entdecken sind - und er entdeckt noch mehr.
Ein kunstvoller Wandteppich wird zum Sinnbild:
Ihm ist, als ob er die ganze Zeit auf die Rückseite
seines Lebensteppichs gestarrt hätte,
nun ahnt er das Kunstwerk, das sich ihm verborgen hatte. Er staunt!
Und ist es nicht verständlich,
dass, wer ein Kunstwerk entdeckt
nach dem Künstler fragt,
dem Künstler, der im und aus dem Chaos Kosmos schafft
der aber so versteckt ist, dass man auch an ihm leidet.

Und Josef entdeckte den ewigen Künstler,
diesen souveränen und liebevollen Verwandlungskünstler der,
wie Dietrich Bonhoeffer bekennt,
auch aus dem Bösesten noch Gutes wirkt
Er lernte glauben an den Gott in der Tiefe,
er wagte zu hoffen auf den entgegenkommenden Gott,
er lernte ihn lieben, den Vater Jesu Christi.
Und man erzählt noch heute die Josefsgeschichte,
dass Du und ich nachdenklich werden,
dass du und ich Muster entdecken und ahnen,
dass wir noch auf die Rückseite
unseres Lebens- und Weltteppichs sehen.
Aber das wird sich ändern!

Dafür gibt es Anzeichen - auch in deinem Leben. Amen

 

4. Sonntag. n. Trinitatis 1983

         Joh. 8,3-11      

            3 Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte 4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? 6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. 7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. 8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.
10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? 11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Liebe Gemeinde,
heute möchte ich Ihnen ein Bild vorstellen,
das ich vorgestern in vier verschiedenen Klassen im Religionsunterricht den Schülern zeigte:

(Projektion: Frau, die sich an einen rechts neben ihr sitzenden Mann anschmiegt, hinter dessen Rücken aber die Hand eines andern hält)

„Schaut euch das erst mal an“ forderte ich die Schüler auf,
„und dann kann jeder ohne sich zu melden
 seine Reaktion auf dieses Bild loswerden
mit Kommentaren, die nur aus einem Wort bestehen.
 Mit diesem einen Wort drückt aus, was ihr denkt, wie ihr fühlt,
wenn ihr so etwas seht!“
Und dann prasselten die Reaktionen der Schüler
vor allem auf die Frau, die sich an den einen anschmiegt,
hinter dem Rücken aber die Hand eines andern hält:
Gemeinheit – fies – Schweinerei – hinterlistig – heimtückisch – Betrug – usw. Das Urteil der Schüler war eindeutig –
in allen vier Klassen (eine 7., zwei 8., eine 9.).
Mit großer Vehemenz, die zuweilen an Hass grenzte,
 prasselten die schweren Anschuldigungen und Verurteilungen
auf die beiden Menschen, die einen Dritten so hintergingen.

Ich selbst war äußerst verwundert!
Von vielen anderen Gesprächen mit Jugendlichen hatte ich zuweilen den Eindruck gewonnen,
dass die neue – von BRAVO oder PLAYBOY verbreitete
– und von Jugendlichen weithin scheinbar akzeptierte Moral –
es mit der Treue nicht so genau nahm.
Die ersten, nicht näher bedachten Reaktionen auf dies Bild waren vernichtend im Urteil – wahrscheinlich geht es ihnen ebenso.
 Ist doch auch eine Gemeinheit –
vor allem,
wenn man sich sofort mit dem Mann in der Mitte identifiziert,
wie das fast alle Betrachter des Bildes beinahe automatisch tun.
Mit dem armen Schwein in der Mitte hat man Mitgefühl –
auf die Betrüger zur rechten und linken
aber prasseln die Urteile so hart wie Stein!
Auch im heutigen Predigttext sollen Steine fliegen
aus gleichem Anlass:
 (Joh. 8, 3-11 lesen)

Eine Frau ist zerstörerisch in eine andere Beziehung eingebrochen und/oder hat ihre eigene Ehe durch Untreue
schweren Belastungen ausgesetzt.
Auf frischer Tat hat man sie ertappt.
Wie das passieren kann, ist uns aus manchen Filmszenen bekannt!
 Sie hat nicht nur Händchen gehalten, wie die Frau auf unserem Bild – sie hat mit einem anderen geschlafen.
 Auch das geschah hinter dem Rücken eines und einer anderen.
 Auch sie hat jemanden betrogen,
 und ist dabei um einiges weitergegangen.
 Und nun möchte ich Sie fragen:
Wie reagieren Sie auf den Ehebruch,
die Untreue dieser Frau aus dem Evangelium?
Höre ich „Schweinerei“? Fies? Gemeinheit?
Eigenartigerweise sind wenige Menschen,
die von dieser Frau im Evangelium nach Johannes hören,
bereit, diese zu verurteilen, Steine auf sie zu werfen.
Finden wir diese Frau nicht irgendwie sympathisch?
Ihr gilt zumindest unser Mitgefühl!

Wie kommt´s, dass wir so unterschiedlich urteilen?
Wer hinter dem Rücken eines andern Händchen hält,
wird von uns verurteilt,
wer hinter dem Rücken eines/einer anderen
ehebrecherischen Geschlechtsverkehr hat,
wird Objekt unseres Mitgefühls?
Na, ist doch klar, sagen Sie!
In der Geschichte unseres heutigen Predigttextes
 ist es doch die Frau, die arm dran ist!
Da sind doch diese Superfrommen und Selbstgerechten,
die sie erbarmungslos anschleppen!
Jesus wollen sie eine Falle stellen,
aber die Frau muss dazu herhalten, muss Ängste ausstehen.
Solche Leute, wie diese Schriftgelehrten und Pharisäer,
die kennt man doch, die gibt’s zu allen Zeiten.
Einfach widerlich, wie sie sich an der Not eines andern weiden,
mit Fingern deuten, Steine bereithalten,
um aus der Distanz mit ihrem tödlichen Richterspiel
 beginnen zu können.
Wer gibt ihnen das Recht, mit Steinen werfen zu wollen?
 Sind sie vielleicht besser? Ist ihr Leben einwandfrei?
Einfach eklig, dies pharisäische Selbstgerechtigkeit.
Eine Gemeinheit! Fies! Widerlich!

Liebe Gemeinde, in vielen Gesprächen über diesen Text,
aber auch über das Wesen und Unwesen von Menschen,
die sich zur Kirche zählen, sind solche harten Urteile gefallen.
Ich muss gestehen, dass meine eigene Reaktion
gegenüber den Leuten, die die Ehebrecherin vor Jesus,
ihrem vermeintlichen Richter, zerren, genauso war.
 Aufschrei – harte Anklagen –
ein rigoroses Abgrenzen von ihrer erbarmungslosen Frömmigkeit –
So bin ich nicht!
Und ich muss weiter gestehen,
dass dabei ein gewisses Gefühl von Frömmigkeit in mir hochkam, Allein im Mich-Abgrenzen (So bin ich nicht)
kam diese wohlige Gefühl in mir hoch:
Zu denen gehöre ich nicht.
Ich stehe mehr auf der Seite der Sünderin,
solche Versuchungen kenne ich auch!
Ich stehe mehr auf der Seite Jesu,
der die Gescheiterten in Schutz nimmt.
Die Wohligkeit, die aus der Haltung entsteht:
Wenn ich mich nur recht deutlich
von den Fiesen und Gemeinen abgrenze,
dann gehöre ich beinahe automatisch zu den Guten!

Es traf mich ziemlich hart, als mir aufging:
Indem ich mich so abgrenze,
mit so hartem Urteil die richtenden Frommen verdamme,
werfe ich die gleichen Steine wie sie.
Mein vehementes „So bin ich nicht“ ist unglaubhaft,
weil ich doch genau das Gleiche tue.
Zwar gelten meine,
und auch vielleicht Ihre Steinwürfe nicht der Ehebrecherin,
sondern den unbarmherzigen selbsternannten Richtern.
Aber Steinwurf ist Steinwurf,
Verdammungsurteil ist Verdammungsurteil – gleich, wem es gilt!
Wie oft bezieht man doch sein Selbstbewusstsein,
das Gefühl, etwas zu sein,
aus der selbst gestrickten Überzeugung, etwas besser zu sein.
 Und diese Überzeugung wächst eben nur auf dem elenden Mist
 des sich Abgrenzens, des vergleichenden Beobachtens
mit der Optik und den Maßstäben,
die das gewünschte Ergebnis von vorneherein gewährleisten.
Wir wissen: Ein Richter muss gerecht sein! Richtig!
Und wir leiten davon ab: Wer richtet, ist gerecht! Grottenfalsch!

Deutlich wird: Selbstrechtfertigung lebt vom Selbstbetrug!
Auch das Steine werfen auf die Steinewerfer
macht noch nicht gerecht, höchstens selbstgerecht –
eben wie die Steinewerfer!
Das Wort Jesu aus der Bergpredigt fiel mir ein:
„Wenn eure Gerechtigkeit nicht viel besser ist,
als die der Schriftgelehrten und Pharisäer,
so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Mt. 5, 20.
Das Verurteilen der Befürworter der Nachrüstung
macht noch nicht zum Friedensapostel.
Verdammen des Neokolonialismus
beweist noch kein Herz
für Not leidende Menschen in der Dritten Welt.
Das Spotten über die Kirchenchristen
ist kein Zeichen für besseren Glauben oder Ethik,
sondern ekliger Auswuchs eines weltlichen Pharisäertums!
Das Evangelium von Jesus Christus
will unseren verdammenden Steinwürfen
doch nicht nur eine andere Richtung geben,
von den offensichtlichen Sündern
auf die unbarmherzigen Steinzeitrichter.
Wäre es so, müssten wir ja konsequenterweise uns selbst steinigen! Für unsere selbstgerechte Bereitschaft zum Steinigen,
denn auch unsere Einstellung wäre dann steinzeitlich geprägt.
Das Evangelium von Jesus Christus hat es so an sich,
dass aus akademischen Fragen Existenzfragen werden.
Auch die Pharisäer mit ihren stechenden Blicken müssen erleben,
 wie in der Gegenwart Jesu ihre akademische Fangfrage
zu einer sie betreffenden und sehr betroffen machenden,
ihre Existenz hinterfragenden Angelegenheit wird:
Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!
Und sie gingen weg, einer nach dem anderen.

Das ist´s, was mich in dieser Geschichte  erschüttert:
Sie gehen weg.
Ihre Begegnung mit Jesus und seinem vollmächtigen Wort
macht sie betroffen, deckt Sünde auf –
aber sie entfernen sich von dem,
der allein Sünden vergeben kann.
Wie einfach – so möchte man meinen –
wäre es doch auch für die Schriftgelehrten und Pharisäer gewesen, sich neben die Ehebrecherin zu stellen, in der Solidarität der Sünder! Sie wären dann in der heilenden Nähe Jesu geblieben –
sie hatten doch mit eigenen Augen gesehen,
 wie Jesus sich schützend vor den Sünder stellt.
Auch sie hätten dann für sich ganz persönlich
das befreiende Wort Jesu gehört: Ich verdamme euch nicht!
Das Wort der Rechtfertigung, des Freispruchs!
 Das Wort,
das allein aus den Zwängen der Selbstrechtfertigung befreit
– das hätten sie gemeinsam erfahren:
die Ehebrecherin und die Pharisäer!
Auch die Sünde
des frommen und des weltlichen Pharisäismus wird vergeben,
wenn sie als solche erkannt wird.
Aber sie gingen weg, vielleicht noch mit den Steinen in der Hand.
Sie würden sie wieder brauchen können, das nächste Mal,
bei einem neuen zwanghaften Versuch der Selbstrechtfertigung,
bei einem neuen Selbstbetrug, für andere Opfer.

Welch armseliges und erbärmliches Leben – jenseits von Eden!
 Die Ehebrecherin aber ging freigesprochen ihres Wegs.
Nicht armselig, sondern selig, nicht erbärmlich, sondern erbarmend! Freigesprochen!
Mit einem Lied unserer Tage möchte man beinahe sagen:
Völlig losgelöst!
Das Wort Jesu in den Ohren: Ich verdamme dich nicht!
Warum sich dann noch selbst rechtfertigen?
Völlig losgelöst von diesem Selbstbetrug!
Wozu noch der Krampf!
Christus ist hier, der gerecht macht!
Christus, der von der Flucht in den Liebe versprechenden
 Ehebruch freispricht,
auch vom Schuften in dem steinharte Urteile liefernden Steinbruch – alles Bruch!
Für Christus ist die Steinzeit zu Ende.
 Er wirft nicht mit Steinen!
 Er schützt gegen jedes Verdammungsurteil,
sei es von Gott oder von Menschen!
Warum also von ihm weggehen?

 

 

8. Sonntag nach Trinitatis 1991

Mt.5,6-13

13 Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.
14 Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. 15 Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. 16 So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

 

Liebe Gemeinde,
es ist zwar schon mehr als dreißig Jahre her,
aber ein Wort meiner Mutter ist besonders hängen geblieben:
Du bist ein Techniker!
Sie hatte mich beim Spielen mit meinem Metallbaukasten beobachtet
und bewunderte nun ein von mir entworfenes Fahrzeug mit Lenkung und meinte dann:
Du bist ein Techniker!
Ob Mutter das wörtlich so sagte, wollte ich nicht beschwören,
aber eins weiß ich: Dies Wort hat gewirkt.
Ich wurde Techniker und wenn immer ich heute,
obwohl ich inzwischen Pfarrer bin,
im Haus oder auf meinem Grundstück etwas Kniffliges
zu reparieren oder einzurichten habe,
dann höre ich ermutigend und aufbauend das Wort:
Du bist ein Techniker.

Nur ein Wort - und doch so eindeutige Auswirkungen.
Nur ein Wort - aber es setzte sich fest.
Nur ein Wort - aber eins mit einer Vision,
eins das mehr sah, als vor Augen war.
Nur ein Wort - aber eins, das ich gern hörte und aufnahm.
Nur ein Wort - aber eins meiner Mutter, der ich vertraute.

"Ihr seid das Salz der Erde,  ihr seid das Licht der Welt"
Auch wieder ein Wort im so genannten Indikativ
"Du bist, ihr seid"
und kein Imperativ: Kein „Du musst, ihr sollt, strengt euch an!"
Das IST wird betont, nicht das SOLL,
Auf dies Wort lasst uns heute hören,
nüchtern, also knallhart die besch..ämende Wirklichkeit
der Kirche im Auge behalten,
aber offen, also nicht vorschnell meinend:
Ha, des senn mier nedd..

Salz der Erde, Licht der Welt,
was wird denn da eigentlich gesagt?
Da ließe sich viel Schlaues ausführen,
aber erlauben Sie mir, dass ich mich auf zwei Gedanken beschränke:
Salz hebt den Eigengeschmack einer Speise,
stülpt also kein neues G‘schmäckle drüber:
Mit einer Prise Salz schmeckt die Tomate tomatiger
und das Frühstücksei schmeckt erst so intensiv nach Ei.
Und schmeckt eine Speise salzig,
dann hat man's übertrieben,
denn das Salz selbst darf man nicht schmecken,
es hat ganz im Geschmack der Speise aufzugehen.

Und Licht:
Wieder nur ein Aspekt:
Wenn Sie schon im Februar verschiedene Samen ausgesät haben
damit Sie im Frühjahr etwas im Garten pflanzen können,
dann lassen Sie die eingesäten Kästen und Töpfe
ja nicht im Keller stehen, nein ,
Sie stellen Sie an einen warmen Platz,
wenn's geht, auf der Fensterbank,
und bald keimt's und sprießt's
und grünt und gedeiht.
Und später- im sonnigen Garten wächst's weiter,
entfaltet sich, blüht auf, trägt Früchte.
In dem Vergleich von Christen als Salz und Licht
sagt Jesus Christus also etwas über die Maßen Positives.

Jetzt lauert eine irre gefährliche Falle auf uns:
Wir könnten Christi Vergleiche als wunderschön stehen lassen,
sie knallhart mit unserer persönlichen
und der kirchlichen Wirklichkeit konfrontieren,
um dann entweder resigniert festzustellen:
Das trifft auf uns nicht einmal entfernt zu
ODER
wir könnten versuchen, uns gegenseitig mit markigen Parolen
auf Vordermann zu bringen
und ab morgen mehr oder weniger krampfhaft versuchen,
in unserm Alltag wie Licht und Salz zu wirken.

Es bliebe also entweder Entmutigung oder Krampf.
Keine ansprechende Alternative, oder!?
Mit einer ganz bestimmten, befreienden Beobachtung kann
man diesem Dilemma entgehen.
Die Beobachtung:
Am schönsten kann man die Wirkung von Salz und Licht
bei Jesus selber beobachten.
(Licht - Salz
Stichworte: aufblühen und den Eigengeschmack heben
Beispiele: Neuanfang des Zöllners Zachäus
oder Jesu liebevolle Parteinahme für die Ehebrecherin:
„Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“)

Sich an diesem Jesus freuen,
es prima finden, dass er so auf Menschen wirkt
die Sehnsucht wach halten,
dass solche Auswirkungen weitergehen
und davon ausgehen, dass Gott so ist wie dieser Jesus,
das ist Glaube.
Und dieser sympathische Jesus sagt uns heute:
Was in mir ist und von mir ausgeht,
belebendes und würzendes,
das ist auch in euch und geht von euch aus,
denn ihr seid in mir, ihr gehört zu mir,
wir sind miteinander verwandt
wir sind Gottes Kinder.

Ihr seid, wie ich, Licht der Welt und Salz der Erde!
Von euch geht Belebendes und Würzendes aus.
Und jetzt, liebe Gemeinde, nur keine falsche Bescheidenheit.
Nur nicht: Wir armen sündigen Stinker,
wir - und Salz, wir - und Licht!!??
Nur nicht: Da meint Christus sicher jemanden anders,
vielleicht seine Jünger damals.
Aber waren die so viel anders als wir?
Nur nicht: Ja, das war ich mal,
oder werde ich vielleicht einmal sein.
Nein, Jesu Wort von Salz und Licht  annehmen,
für wahr halten, akzeptieren
und sich drüber freuen.

Auch nicht gleich an die Aufgaben denken,
nicht meinen: Da muss ich mich jetzt aber anstrengen.
Nein, eben nicht: Salz ist Salz und Licht ist Licht
Salz hebt den Eigengeschmack und Licht schafft Leben‑
beides ohne Anstrengung.
Stellen Sie sich doch einmal vor,
ich hätte damals als Junge auf das Wort meiner Mutter so reagiert:
Aber Mutti, ich und Techniker, ich spiel doch bloß!
Oder: Ja, ja, Mutti, Du willst mich bloß in eine bestimmte
Berufswahl bugsieren, ohne mich.
Oder: Mutter, das überfordert mich total,
all die Mathe und das techn. Zeichnen,
das ein Techniker bringen muss!
Das wären doch alles irgendwie abnormale Reaktionen gewesen,
oder?
Ich habe mich damals schlicht gefreut
und es prima gefunden, dass meine Mutter
in ihrem selbstvergessen spielenden Jungen
sich entfaltende Gaben entdeckte.
Apropos selbstvergessen und spielerisch:
Das sind meiner Meinung nach Schlüsselworte,
wenn es um das Selbstverständnis von Christen und der Kirche geht:
Es gibt kein lähmenderes und kaputtmachenderes Wort als das:
Der Christ ist immer im Dienst.
Damit kann man ernst meinende Christen ganz schnell
fertig machen, ermüden und entmutigen.
Salz ist zwar immer Salz,
aber es salzt nicht immer und alles.
Licht bleibt zwar Licht
aber es leuchtet nicht immer und für alle.
Es gibt Tage, wo wir nicht strahlen
und uns selbst als fade empfinden.
Aber das ist nicht das Ende von Licht und Salz,
denn das kommt von Christus und nicht von uns
und das hängt nicht von unseren Gefühlen
und von unserer Selbsteinschätzung
sondern allein von Gott ab, und der bleibt treu,
auch wenn wir untreu werden.

Mit einem Bild aus der Verkündigung Jesu:
Der verlorene Sohn war und blieb auch am Schweinetrog noch Sohn
Und als nur ein kleines Fünkchen dieses Bewußtseins
in ihm wieder lebendig wurde,
da kam Bewegung in die müden Knochen
und er machte sich auf, seiner Bestimmung entgegen.
Ja, dieses Bewusstsein, wer man ist -
wie ungeheuer wichtig und wirksam!!!
Das hat überhaupt nicht mit Bessersein zu tun,
das Wort Christi gilt für Boxberg UND Wölchingen
Für Männer und Frauen, für politisch Linke und Rechte etc.
Sein Wort reinlassen,
durch den Panzer an falscher Bescheidenheit,
durch das Zittern eines eingeschüchterten Herzens.

Sein Wort von Licht und Salz in unserer Gestalt
wahr-haben wollen,
und die Vielfalt unserer Geschmäckle wird nicht mehr stören,
sondern Ursache von Freude sein,
und Menschen werden sich entfalten, aufblühen und gesunden,
denn wir sind            Salz der Erde und Licht der Welt,
Christus weiß das besser als wir,
das glaube ich und darüber freu ich mich! Amen!

 

       Buchen, 8. Sonntag n. Trinitatis 1982

       1. Kor. 6, 12-20

  1. 12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen. 13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichte machen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe. 14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft.
  2. 15 Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Sollte ich nun die Glieder Christi nehmen und Hurenglieder daraus machen? Das sei ferne! 16 Oder wisst ihr nicht: wer sich an die Hure hängt, der ist ein Leib mit ihr? Denn die Schrift sagt: »Die zwei werden ein Fleisch sein« (1.Mose 2,24). 17 Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm. 18 Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, bleiben außerhalb des Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe. 19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? 20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.

 

Wie fade und farblos wäre doch unser Leben,
wenn wir nur mit Worten, nur mit dem Munde reden könnten.
Sicher kann man sich auch mit Worten allein viel sagen –
theoretisch eigentlich alles.
 Beispiel: Tonbandkommunikation zwischen Gerda und mir zwischen Deutschland und Amerika.
Selbst in diesem Fall nicht nur Worte,
sondern plastische Erfahrungen
- ihr Gesicht vor mir -
- ihre frohen oder traurigen Augen
- der Ton und der warmen Stimme etc.
schon hier schon viel mehr als Worte.
Herauf- oder herabgezogene Mundwinkel,
Augen: Du – ohne Dich kann ich nicht sein.
Du – du bedeutest mir alles auf der Welt.
Arme. Beine. Körperhaltung.
Unser Leib ist so wunderbar sprachfähig –
eine Sprache, die unter die Haut geht,
die oftmals glaubhafter ist als bloße Worte.

Und schließlich – der ganz besondere Reiz,
 die ganz besondere Kommunikation ermöglichende Situation:
Es gibt nach Gottes gutem Willen,
weil er’s mit dem Menschen eben so gut meint,
zwei verschiedene Körper, den von Mann und Frau.
Zwei Pole – anders und doch ähnlich –
auf Distanz – aber zueinander gezogen –
ein Miteinander in reizvoller, belebender Spannung.
Und auch ihre Körper können sprechen,
gerade in ihrer Verschiedenheit, ihre Leiber sind sprachfähig,
 gerade da, wo sie verschieden sind – im Bereich des Unterleibs:
Das gesteifte Glied spricht so überdeutlich:
Du – ich möchte ganz nahe bei dir sein.
Und die feuchte Scheide antwortet ganz natürlich:
Ja, komm ganz nahe zu mir!

Und Gott der Schöpfer, der das alles so gewollt hat-
hat seine helle Freude
an dieser Art von Kommunikation zwischen Mann und Frau.
Nicht als verklemmter Voyeur,
sondern als liebender, sich an der Freude seiner Menschen freuender, gütiger Gott und Herr.

Liebe Gemeinde, ich habe mir es lang überlegt,
ob ich die Körpersprache zwischen Mann und Frau
so konkret wie eben in die Predigt einbringen sollte,
habe auch mit meiner Frau darüber diskutiert.
Aber warum soll denn etwas vom schönsten
zwischen den Menschen in den Gestank von Pissoirs,
den Mief von Umkleideräumen
und in die Albernheit schlüpfriger Witze verdammt werden?
 Damit schaffen wir doch für unsere Jugend gerade das,
was wir eigentlich nicht wollen:
eine zweideutige Einstellung zu etwas Gutem und von Gott gewollten.

Wenn wir unser Bekenntnis von Gott, dem Schöpfer,
 ernst nehmen, wirklich glauben,
dann gehört auch die wunderbare Körpersprache
zwischen Mann und Frau in den Bereich des Gottesdienstes,
um dafür zu danken und darüber nachzudenken.

Um dafür zu danken
und um über diese großartige Gabe des Leibs
als sprachmächtiges Gottesgeschenk nachzudenken,
dazu ist uns der heutige Predigttext gegeben,
denn die wichtigsten und die schönsten Bereiche
unseres Lebens sind eigenartigerweise die gefährdesten.
Ich nehme an, dass Paulus dies ähnlich empfunden hat.
 Nur darum spricht er Hurerei, Unzucht, Prostitution,
 also den Bereich des Unterleibs an.
Sicher gab´s auch in der Gemeinde in Korinth einige,
die pikiert die Nase rümpften, aber wenn’s um Lebenswichtiges geht, kann man keine Rücksicht auf Verklemmtheiten nehmen –
zu keiner Zeit.

Denn um Lebenswichtiges geht´s hier,
 ich habe den Mund kaum zu voll genommen.
Denn Paulus spricht hier den so traurigen,
so abgrundtief traurigen Fall an, wo zwei Körper sich zwar begegnen, in scheinbarer Bereitschaft, scheinbar sprachfähig –
Aber sie bleiben in deprimierender Vereinsamung
und Sprachlosigkeit.
Zwei Körper begegnen sich –
aber nicht in belebender Kommunikation,
sondern in tödlicher Vereinsamung.
Keiner sucht den andern Menschen,
sondern nur seine Genitalapparatur, seinen Geldschein.

Beruhigt könnten wir uns abwenden,
wenn solch tieftrauriges Zusammentreffen
(Begegnung kann man sie kaum nennen)
in Vereinsamung und Sprachlosigkeit
sich nur in den Rotlichtzonen der Großstädte abspielen würden.
 Dann könnte oder müsste man die Bordelle abschaffen
und nach oberflächlicher Betrachtung wäre alles erledigt.
Und alle, die kein Bordell von innen gesehen haben,
könnten dem Anspruch des Predigttextes
beruhigt den Rücken kehren:
„Das geht mich nichts an. So schlecht bin ich nicht!“
Und wir hätten wieder einen Pharisäer mehr unter uns!

Kein Grund für Pharisäismus?!!
Denn 1. Vielleicht steckt man selbst tiefer in dem von Paulus hier angesprochenen drin als man ahnt;
und 2. ist hier eher Mitgefühl als Verachtung am Platz.
Beides soll im Folgenden klarer werden.

Gelegentlich schaue ich mir eine Folge
der erfolgreichen amerikanischen Serie „Dallas“ an.
 Eine Serie mit phänomenalen Einschaltquoten
auf beiden Seiten des Atlantiks.
Eigentlich ist Hurerei, im eigentlichen Sinn Prostitution,
das durchgehende Thema aller Folgen.
 Alles ist käuflich bzw. verkäuflich.
Auch Zuneigung und Liebe
sollen mit bestimmten Summen erreichbar sein.
 Und wenn J.R. ins Schlafzimmer seiner Schwägerin schreitet
mit dem Kommando: „Zieh dich aus!“,
dann klingt das wie: Demütige dich! Entwürdige dich.
Mach dich klein und dreckig, damit ich dich verachten kann.
Und wispert sie: Ich liebe dich, so sprechen ihre Züge deutlicher:
 Ich verachte dich. Du stinkst mir. Du bist ein widerlicher Egoist. Denn tief drinnen sind beide fürchterlich verwundet,
 denn jeder möchte als ganzes Wesen,
als einzigartiges Individuum geliebt sein,
aber es werden nur Funktionen von Körperteilen abgerufen
und der andere ist nur ein austauschbarer Repräsentant
des anderen Geschlechts.
Hier bleibt nur doch der Ausweg des kalten und tödlichen Zynismus.

Und regen sich einmal echte Gefühle von Liebe und Zuneigung
und suchen sie in Worten und in Körpersprache ihren Ausdruck – dann kann´s keiner dem andern mehr abnehmen,
keiner kann´s mehr glauben,
denn die Sprache, die des Mundes und die des gesamten Körpers ist versaut auf alle Zeit.
Auch die Geschlechtsteile im Zustand der Erregung
sprechen dann nur noch eine widerliche,
den Brechreiz hervorrufende Sprache.
Das ist das Tragische an der Hurerei in und außerhalb von Bordellen, in und außerhalb von Ehen:
Eine Körpersprache, die nur Teile des andern
oder auswechselbare Partner sucht,
verliert ihre ursprünglich wunderbare
und Wunder wirkende Sprachgewalt
und wird zu einem Ausdruck von Sprachlosigkeit.
 Eine immer tiefer gehende Vereinsamung ist der hohe Preis
für eine eigentlich von niemanden erstrebte Schäbigkeit.

Und deshalb: Wie und mit wem wir mit unsern Leibern,
auch mit unsern Unterleibern sprechen, ist nicht egal,
wie manche den Menschen und seine Situation
nicht kennen oder nicht kennenwollende Irrgeister behaupten,
damals in Korinth oder heute unter uns.
Aber warum ist J.R. Ewing und die Serie Dallas für so viele wichtig? Fast alle verachten J.R. wie auch die menschenverachtenden Machenschaften seiner Familie.
Ich vermute, dass „Dallas“ in großem Maßstab
und ganz offen und ungeschminkt uns vorstellt,
was unter uns in unsern Häusern und Familien
in kleinerem Maßstab und mehr oder weniger versteckt
sich ebenfalls abspielt.
Geliebt werden Körperteile, Partner sind austauschbar,
 alles ist käuflich,
eine zuweilen recht gesprächige Sprachlosigkeit greift um sich, Liebesbeteuerungen sind nicht mehr glaubhaft,
 weder auf körperlicher noch verbaler Ebene.
 In J.R. verachtet mancher sich selbst – bewusst oder unbewusst.
Aber, liebe Gemeinde, warum eigentlich Verachtung?
 Warum Verachtung für J.R.? –
Warum Verachtung für den im Ehebruch lebenden Nachbarn?
Warum Verachtung für die Ehefrau,
der der Status ihres Mannes
und seine großartigen Geschenke Liebesersatz geworden sind? Warum Verachtung für den regelmäßigen Kunden im Bordell?
 Warum Verachtung für einen selbst,
für die verzweifelte Suche nach etwas Wärme und Zuwendung?
Glauben Sie denn im Ernst,
dass Ehebrüche, Ersatzbefriedigungen
auf sexueller wie auf materieller Ebene
nur Ausflüsse einer verdorbenen
von triebhafter Lust umgetriebenen Person sind?
Vielleicht versuchen das Menschen so darzustellen,
auch Betroffene.
Das tun sie aber nur,
weil ihnen die eigentlichen Gründe nicht bekannt sind,
oder weil sie sich lieber die Zunge abbeißen würden,
bevor sie schlicht und ergreifend bekennen würden:
„Ich bin restlos vereinsamt, durstig nach echter Liebe wie eine Wüste, die seit Jahrtausenden auf einen Ozean wartet.
Ich brauche Wärme, Zuneigung, Geborgenheit, Liebe.
 Aber ich habe all das in meinen krampfhaften Bemühungen
 so missbraucht, dass ich eigentlich stumm bin,
keiner nimmt mir etwas ab, ganz egal,
was ich sage oder tue.

Warum also Verachtung? Warum Selbstverachtung?
Wer verzweifelt ist, verliert das Wählerische.
 Wer hungrig ist, stürzt sich auch auf das nur scheinbar Genießbare. Wer durstig ist, kann auch Salzwassr trinken,
obwohl es sein Elend nur verschlimmert.
Warum also Verachtung?
Die Hure und ihr Freier,
der Ehebrecher und seine treu gebliebene Ehefrau.
 Der Sünder auf der Bußbank und der Moralprediger auf der Kanzel.
Einer wie der andere sind sie am Schicksal des andern mitbeteiligt.
Alle eins in der Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung,
nur ihre Wege und Methoden sind verschieden.
Alle leidend darunter, dass im Andern,
im Ehepartner und im Freund, im Kollegen, im Mitschüler
so wenig oder so bruchstückhaft die Botschaft hör-und spürbar wird: Du- ich mag Dich!

Kein Platz für Verachtung, auch kein Grund.
Wir sind alle im gleichen Boot –
liebeshungrig, zuweilen wenig wählerisch,
manche mehr behütet als andere, aber im Grunde Bettler.
Auch im selben Boot in der Tragik,
verdorbene Sprachfähigkeit von Zunge und Körper
 nicht selbst wiederherstellen zu können.
Auch tausendfache Beteuerungen klingen hohl und schmecken schal – wenn Worte und Körpersprache einmal missbraucht waren.
 Daran leiden wir alle!
Eine Wiederherstellung der Sprachfähigkeit und der Glaubhaftigkeit wäre ein schöpferischer Akt sondersgleichen.
 Wie wunderbar, wenn: Ich liebe Dich!
wieder wirklich das bedeutete!
Wenn die Sprache des Leibes und des Unterleibes
wieder bedeuten könnte:
Du, dich meine ich, dich als ganze Person,
dich als einziges unverwechselbares Wesen.
Solche schöpferische Wiederherstellung –
wie kreativ könnten wir wieder sein.
Heraus aus dem Sumpf der krampfhaften Versuche Liebe zu kaufen, oder wieder glaubhaft zu wirken.
O du Schöpfergott, komm in unsere gequälten Leiber
und in unsere verdorbenen Beziehungen.
Stelle wieder her und erneuere,
was du einst so wunderbar geschaffen
und was wir in unserer Vereinsamung und Verblendung
zerstört haben.
Dein Sohn Jesus Christus war sich nicht zu schade
bei solchen wie uns zu wohnen, mit ihnen zu essen,
sie vorurteilsfrei zu lieben.
Darum haben wir Hoffnung, barmherziger Gott,
dass auch unsere Leben und unsere Leiber nicht zu verdorben sind.
Komm, Schöpfergeist, bitte wohne in uns, erneuere uns.
 Lass uns dein Tempel sein.
Dir wollen wir gehören, weil wir erfahren haben,
dass ohne dich alles verdirbt.
O Herr, öffne uns die Augen,
damit wir die Wunder wirklich sehen und glauben,
die Wunder, die geschehen, wenn du in uns wohnst,
wenn du in unseren Ehepartnern und Freunden Wohnung nimmst.
AMEN

 

9. Sonntag nach Trinitatis 2001

Matthäus 13,44-46

Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und  verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,
46 und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.

Der verkauft systematisch seinen ganzen Bettel,
alles, restlos alles. Okay soooviel war’s auch wieder nicht,
denn er war ja nur Hilfsarbeiter
beim größten Grundbesitzer des Dorfes.
Für den war er ein besserer Sklave:
Befahl der: Spalt Holz, dann spaltete er Holz,
jagte der ihn bei miesem Wetter mit Ochsen und Pflug auf den Acker,
dann quälte er sich eben die Furchen entlang dem Ochsen hinterher.
Man kannte ihn als Miesepeter,
er war meist mürrisch und pessimistisch.
Dann das Gerücht: Der verkauft alles!
Aber mehr: Er sei wie umgewandelt, wie ausgewechselt.
Ich konnt‘ mir‘s nicht vorstellen,
aber vorhin sah ich ihn auf dem Markt.
Meine Zeit! Jetzt wünschte ich mir,
 ich könnte besser mit Worten umgehn,
könnt besser beschreiben, was ich sah!
Ich stand einfach da und ..... glotzte, ja ich glotzte, wie andere auch.

Es war nicht nur sein Gesicht,
nein, der ganze Kerl verströmte Leichtigkeit, Freiheit, Freude,
eben dieses große JA.
Meine einzige Erklärung war:
Der ist verliebt, und zwar rettungslos.
So sorglos leicht, so gelöst und unbekümmert sind nur Verliebte.
Eine Geliebte also?
Aber seine Frau sei seit ein paar Tagen auch so anders,
so strahlend und lebensbejahend.
Hatten die sich wieder entdeckt, nach dreißig Ehejahren?
Aber warum dann alles loswerden wollen?
Und hätte er im Lotto gewonnen oder bei Günter Jauch abgeräumt,
warum sich noch die Mühe machen, und das Gerümpel verkaufen?
Oh Entschuldigung, jetzt bin ich in eine andere Zeit gerutscht.

Na ja, wenn ich jetzt schon mal im HEUTE bin, bleib ich da!
Liebe Gemeinde, dieses Gleichnis von Jesus vom Schatz im Acker
hat mich ganz neu mitgerissen.
Von einem solchen Schatz hab ich als Kind so oft geträumt;
auch von einem andern Schatz hab ich schon ganz früh geträumt,
schon im Kindergarten.
Und manchmal durfte dieser süße Schatz auf meinem Schoß sitzen,
ganz offiziell, mit dem Segen der Kindergartenschwester.
Der Himmel auf Erden!
Und „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson
war mein Lieblingshörspiel im Radio.
 Weh dem, der da was anders hören wollte.

Ein kostbarer Schatz in Reichweite, im Bereich des Möglichen,
 und schon leben wir nach der IKEA-Werbung:
Entdecke die Möglickkeiten!
Ein Schatz als Vision, und schon kann man sich lösen von Dingen,
an denen man gestern noch klebte, von Verlustängsten geplagt
Sich lösen lassen – und dann von Erlösung nicht nur labern,
sondern sie leben und ausstrahlen.
Manches lassen können – und dadurch echt gelassen werden!
Die verklemmtesten Frommen werden da locker –
mit einem Schatz als Vision.

Echt, der gestrenge Apostel Paulus wird auf/ausfällig locker,
wenn er von seinem Schatz redet:
Da rutscht dieses Wort aus ihm raus,
das viele von uns zwar immer wieder gebrauchen,
das  man aber eigentlich nicht gebrauchen darf:
Dieses Wort Sch.....
das man zumindest in einer Predigt nur als Sch...eibenkleister ausspricht – das benutzt Paulus – IN DER BIBEL.
Und er benutzt es dann,
wenn er von der Entdeckung eines Schatzes redet:
Im Vergleich zu diesem Schatz ist alles andere Sch.....
um diesen Schatz zu gewinnen wertet er selbst seine frömmsten bisherigen Einstellungen als Sch.... grie.. skybalon

Der Paulus wird leicht-sinnig, über-schwänglich, völlig losgelöst!
Von Paulus kommt es auch rüber,
dort im 3. Kap. des Philipperbriefes:
Dieses beschwingte und mitreißende JA!
O Paulus, verrat mir dein Rezept! Davon wünsch ich mir was!
Davon wünsch ich unseren Gemeinden was!
Und der Paulus verrät uns sein Geheimnis, seinen Schatz:
CHRISTUS!
Und der Schatz von dem Christus im Gleichnis redet,
der diese Freudenwellen auslöst, den nennt er REICH GOTTES.
Und beide meinen dasselbe: Christus ist das Reich Gottes.
So!
Grad waren wir alle noch so locker flockig,
und jetzt wird’s fromm, dogmatisch, schulmeisterlich trocken, oder?
Haben Sie nicht auch diese Befürchtung, wenn solche Zentralbegriffe
unseres Glaubens auftauchen: Christus, Reich Gottes, Himmelreich.

Wissen sie was? Heut träumen wir einfach mal weiter!
Wir vergessen mal alles Oberlehrerhafte, auch die dröge Realität.
Wir träumen weiter von einer Gemeinde,
die anfängt einen Schatz zu entdecken.
Die ist irgendwo in der Nähe, heißt mit vollem Namen Untertopien,
die Post kürzt ihren Namen immer auf U-topien.
 (man kann’s auch anders betonen)
Alle Darsteller sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit Menschen oder Situationen in Neunsteten wären rein zufällig.

U-topien befand sich in der Krise, wenigstens kirchlich:
Die Zeitung berichtete genüsslich:
Langjähriger Kirchengemeinderat (KGR) verlässt vorzeitig das Entscheidungsgremium der evang. Kirchengemeinde.
Nur Insider wussten, warum:
Die Gemeinde hatte vor, ihren neuen Rasenmäher bei der Konkurrenz zu kaufen, das Angebot des langjährigen KGR war hoffnungslos überteuert.
Man musste nun eine Nachwahl organisieren, damit jemand den Platz des Rasenmäherhändlers einnehmen konnte.
Man besann sich, dass bei der letzten Wahl vor 5 ½ Jahren
Frau Frieda Freundlich es nur knapp nicht geschafft hatte:
Es kam der Vorschlag im KGR, Frau Freundlich nachzuwählen.
DA entstand ein Tumult:
„Dess geht uff koin Fall; die hodd vor vier Johr ihr’n Job verlorn,
weil sie sich in der Portokass bedient hodd.“
Jeder sah ein: Dess geht nedd!
Da gab sich der alte Redlich einen Ruck
und meinte mit seiner piepsigen Stimme:
Man sagt aber, Frau F. habe ein neues Leben angefangen.
Autsch, das hätte er lieber nicht gesagt:
Dess kann jeder saache, do könnt jeder kumme etc etc
Aber Redlich war schon älter,
musste keine falsche Rücksicht mehr nehmen,
meinte also in seinem Altersstarrsinn:
Sie hat echt bereut, was sie getan hat,
und ist ganz beschwingt in der Überzeugung,
dass Jesus ihr völlig und total vergeben habe.
Autsch...  ich breche hier ab, denn die Diskussion wurde böse.
ABER...  Frau Freundlich wurde nachgewählt, schweren Herzens,
weil man niemand anders fand, der dazu bereit war.

Die erste Sitzung mit Frau Freundlich.
Der Pfarrer hält zu Beginn eine kurze Andacht über Zachäus,
den betrügenden Zolleinnehmer und seinen Neuanfang,
nicht als Anspielung auf F.F.s Vergangenheit,
sondern weil’s halt der Predigttext vom kommenden Sonntag war.
„Nedd scho widder“ meinte KGR Dümmlich,
aber die Augen der Neuen leuchteten.
Hauptpunkt der Tagesordnung ist die Frage,
wie man die 3.000 DM Reinerlös vom Gemeindefest verwendet.
Frau Peinlich meinte: „Ein richtig guter Rasenmäher! So’n Traktor!
Aus dem Haushalt ist der eh nicht zu finanzieren; der kostet grad so um die 3000.-„
Gute Idee, meinen alle. Also Abstimmung. Vier von sieben Händen sind bereits oben.
Aber der gute Pfarrer Frömmlich hatte Frau Freundlichs verstörten Gesichtsausdruck bemerkt. „Frau Freundlich??!“
F.F.: „3.000 Mark für einen Rasenmäher?
Wer von uns hat denn einen daheim?“
Fünf von sieben Händen heben sich etwas zögerlich.
„Und wie wär’s, wenn die fünf stolzen Rasenmäherbesitzer
auch den Rasen um Gemeindehaus und Kirche mähten,
und die andern zwei sich um Bäume und Sträucher kümmerten?
Dann blieben die DM 3.000.- frei
für dieses heruntergekommene Waisenhaus in Bukarest.
Dort kann man mit 3000 Mark unendlich viel Gutes tun.“
Und sie sagte das mit solcher Begeisterung, Überzeugung, Schwung, Leichtigkeit, Losgelöstheit, voller Liebe und Freude,
also man musste schon arg verknöchert sein,
um nicht ein kleines Ruckeln in den verhärteten, kirchlichen Strukturen zu spüren.
Skybalon sei eine solche Idee, meinte ein predigt-aufmerksamer KGR.
Nein, ereiferte sich Redlich,
das sei ein ganz falsches Verständnis von skybalon.
Skybalon sei all das, was bei Kirchens 90% der Energien beansprucht: Dinge, Regeln, Gesetze, Profilierungen Abgrenzungen etc..
Es wurde noch eine lange Sitzung
aber am Ende siegte das Waisenhaus über den Rasenmäher 4:3!!!
Frau F. hatte lösend, befreiend, ernüchternd und erneuernd gewirkt.

Die Sache hatte noch ein Nachspiel:
Als am Sonntag danach der Gemeinde bekannt gegeben wurde,
die DM 3.000 vom Gemeindefest gingen ohne  Abzug an das Waisenhaus in Bukarest, da blieb nach dem Gottesdienst ein junger Computerspezialist aus der Gemeinde zurück.
Man hatte ihn aus den verschiedensten Gründen mehrfach gebeten,
bei den Kirchenwahlen im kommenden November zu kandidieren.
Und jedes Mal sein klares und begründetes Nein!
„Ich investiere weder Geld noch Kraft in etwas Rückwärtsgerichtetes, ohne risikobereite Visionen.“
Jetzt aber war er stolz auf seine Gemeinde,
die liebevoll und losgelöst in ein Waisenhaus investierte,
und vorhandene Ressourcen, sprich Rasenmäher, sinnvoll nutzte,
und meinte zum Pfarrer: Jetzt kandidiere ich gern!

Und das alles war von dieser Frau Freundlich losgetreten worden.
Was war ihr Geheimnis, die Frage trieb mich um.
Ich suchte Gespräche mit ihr und sie war
–nomen est omen- freundlich.
Es brauchte Monate bis sich ein Puzzleteilchen zum andern fügte,
sie war keine fromme Babblerin, eher das Gegenteil,
alles Überzeugungsmäßige hütend und verbergend wie einen Schatz.
Aber mit der Zeit entstand ein Bild:
Nach ihrem Diebstahl und der konsequenten Entlassung
war sie in ein tiefes Loch gestürzt;
sie schien am Ende, machte sich endlose Vorwürfe.
Eine Nachbarin kriegte mit, wie Frau Freundlich mehr und mehr versumpfte, eröffnete ihr die Vision eines Neuanfangs,
und zwar eines begründeten Neuanfangs,
also eines Anfangs ohne Illusionen, aber mit Visionen.
Die Nachbarin verband das alles sehr persönlich mit Jesus.
Und irgendwie sprang das über auf Frau Freundlich;
sie konnte neu anfangen. Das ist jetzt vier Jahre her.

Ich entdeckte allerdings noch, was ihr noch heute und immer wieder diesen Schwung und dieses völlige Losgelöstsein gibt:
„Dass mich Jesus einmal diesen großen Neuanfang hat erleben lassen, das kann ich ja noch verstehn, sagte sie mir leise.
Aber immer wieder, jeden Tag, nach jedem neuen Sch..., den ich baue.
Das ist doch nicht zu fassen, kaum zu glauben!
Sie bekannte: Nach dieser Sitzung mit den DM 3.000.-,
da ging ich tagelang rum wie auf einer Wolke:
Was bist du doch für ne tolle Frau,
brichst diese  verkrusteten Strukturen auf.  
                  Diese ätzende Selbstgefälligkeit, pfui Teufel.
Runtergeguckt hab ich auf die andern!
O Gott, vergib, bitte! 
Und er tut’s, wieder und wieder, das hat er versprochen.
 Ich fang jeden Tag ohne Ballast an!
Frei!
Der Himmel!
(Verlesung Matthäus 13,44)  AMEN

 

 

11. Sonntag n. Trinitatis 1983

Lukas, 7, 36-50

  • 36 Es bat ihn aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. 37 Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl 38 und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl.
  • 39 Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. 40 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! 41 Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. 42 Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben? 43 Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt.
  • 44 Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. 45 Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. 46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47 Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.
  • 48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. 49 Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt? 50 Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!

Ob Sie´s glauben oder nicht:
Diese Frau, die man allgemein die große Sünderin nennt,
sie lebt, wovon wir meist nur träumen.
Sie lebt und liebt überschwänglich.
Sie ist, wie sie ist. Sie handelt, wie sie fühlt.
Sie fühlt, wie sie handelt.
Sie verschwendet teures Salböl.
Sie löst ihre Haare auf. Sie küsst einem Fremden die Füße.
Sie weint, wenn ihr entweder aus Freude oder Kummer danach ist.
Sie kommt ungebeten in ein Haus.
Alles, was sie tut, kommt ungefiltert, ungekünstelt,
 einfach echt aus ihr heraus.
 Träumen Sie zuweilen noch von solch freiem unverfälschtem Leben? Keine Mühe zu verwenden,
eigentlich zu verschwenden
in das kunst- aber doch auch recht mühevolle
Ausbessern der Fassaden!
Das wäre toll!
Da käme endlich echt erfrischende Luft an unsere Seelen! Durchatmen, wie bei einem Regen nach langer Trockenheit. Lachanfälle kriegen, Singen auf der Straße,
aber auch Weinen, Zetern, Klagen.
Auf „Wie geht´s?“ antworten können: Hundsmiserabel!
Wem würden wir denn damit schaden? Wem würde das wehtun? Niemand!!! –
Aber es ist halt unmöglich!
Wem schadet die Frau mit ihrer überschwänglichen Liebe? Niemand! Aber es ist halt unmöglich!
Aus jedem Knopfloch des Hauseigentümers Simon
dringt die peinliche Verlegenheit:
„Und das in meinem Haus!
– wenn ich das gewusst hätte,
der Jesus wäre mir nicht ins Haus gekommen!“
Seine Meinung ist dieser Frau aber total egal!
Weil ihr Ruf eh ruiniert ist? Weil sie nichts mehr zu verlieren hat? Vielleicht, darüber ist später noch nachzudenken!

Warum handelt diese Frau so erfrischend unmöglich,
unmöglich – und doch eigentlich natürlich!
Nun – ihr so spontanes und überschwänglich liebevolles Handeln
gilt einer bestimmten Person!
Sie stürzt sich ja nicht auf den Hausherrn,
macht auch nicht die Runde!
Alles ist auf Jesus beschränkt, konzentriert sich auf seine Person.
 Ist er der Grund für ihr ungewohntes,
unsere Sehnsüchte anregendes Handeln?
Nun, sie macht eine Erfahrung, von der wir,
wie von ihrem befreiten Verhalten, meist nur träumen –
wenn wir es nicht schon lange aufgegeben haben!
Sie begegnet einer Person,
von der sie mit der Sicherheit des Glaubens weiß:
Der mag mich, der schätzt mich, dem bin ich etwas wert,
und zwar absolut unabhängig  von dem, was er über mich weiß,
auch total unabhängig von dem,
was er noch über mich herausfinden wird!
Von meinem Tun und Lassen ist seine Wertschätzung meiner Person genauso unabhängig wie der Sonnenschein.
So etwas Ähnliches
haben Sie gewiss schon in mancher Predigt gehört,
aber können Sie sich das vorstellen?
Das kommt doch so gut wie nie, und wenn,
dann nur schwach und kurz aufflackernd
in unserem Leben vor.

Denken Sie einmal ganz intensiv an den Menschen,
von dem Sie meinen, dass er Sie am liebsten hat.
Lassen Sie sich Zeit.
Und Sie lieben diesen Menschen doch auch, oder?
 Es ist doch fast unmöglich, nicht zu lieben,
wenn man geliebt wird, oder?
 Und nun phantasieren Sie einmal,
Sie sind zum Träumen eingeladen –
schließen Sie ruhig die Augen, wenn es Ihnen hilft.
Und nun stellen Sie sich vor, während Sie hier in der Kirche sitzen, geht mit diesem Menschen – ob er nun auch hier ist oder nicht –
eine wunderbare Verwandlung vor sich:
Wenn er Sie auch jetzt schon recht gut verstanden hat,
wenn er Sie auch bisher schon im Großen und Ganzen akzeptiert hat – heute, wenn Sie aus dem Gottesdienst zurückkommen,
werden sein Verständnis und seine Wertschätzung Ihrer Person vollkommen und durch nichts mehr zu erschüttern sein.

 Nicht wahr, es fällt schwer, sich dies vorzustellen?
Etwas, was Sie schon jahrelang mit sich herumtragen,
 was Sie bisher erfolgreich vor allen versteckt hielten,
was Ihnen aber doch irgendwie das innere Atmen erschwerte,
 etwas, das Ihr Vertrauen,
 Ihre Liebe zu sich selbst schwer beeinträchtigt hat –
 Sie konnten das einfach nicht mit dem sonst
von Ihnen gepflegten Bild über sich selbst in Einklang bringen
 – etwas, von dem Sie schon manchmal in Gedanken durchspielten, wie es wäre, wenn das andere wüssten –
kurzum, etwas, das Sie belastete,
eben weil es immer dicht verschlossen bleiben musste,
 eben weil dieses Verstecken so viel Mühe und Aufwand erforderte – dieses eine Etwas könnten Sie irgendwann in den nächsten Tagen aussprechen vor diesem Menschen, der sich nun so gewandelt hätte.

Und – kaum vorstellbar – Sie hätten das 100%ige Vertrauen:
Er verurteilt mich nicht – ich brauche nicht zu schwitzen,
muss nicht auf die Wahl meiner Worte
in der Darstellung dieses Etwas achten.
Was immer dies Etwas auch sei –
eine tief liegende, unergründliche Angst, eine abartige Veranlagung, ein Charakterzug, den Sie einmal in sich entdeckten,
und der Sie seitdem ängstigt, ein Erlebnis in der Vergangenheit,
 das Sie tief verletzt hat
oder in dem Sie eine Beziehung unwiederbringlich zerstörten,
eine traumatische Kindheitserinnerung –
was immer dies Sie umtreibende,
von anderen Menschen innerlich absondernde,
 bislang sorgsam geheim gehaltene Etwas auch sei –
es erschüttert diese Person, die Sie liebt, überhaupt nicht.

Ja, weit mehr –
Sie merken gleich und es bestätigt sich in den folgenden Tagen:
Liebe und Vertrauen wachsen auf beiden Seiten. –
trotzdem, ja es hat den Anschein: Deswegen!
Und Sie spüren: Absolut nichts mehr muss jetzt versteckt werden, denn: Das Wunder in dieser neu gewordenen Beziehung
besteht darin, dass für Sie immer deutlicher wird:
Ich werde eher geliebt mit meinem wirklichen, ungeschminkten Sein als mit meinem sorgsam, durch Verschwiegenheit hier
und Verstellung dort, gepflegten Image,
als mit dem Schein, den ich zu erwecken und zu erhalten suche.
Und weiter: Was nun auch immer noch über Sie herauskommen mag, evtl. auch durch das Geschwätz von anderen –
die Vertrauensbeziehung steht unerschütterlich.
Und schließlich: Auch wenn Sie sich erneut abkapseln sollten,
wenn sie erneut misstrauisch werden sollten,
und den andern so oder anders wieder verletzen sollten –
 es hat keinen Einfluss auf das in Sie gesetzte Vertrauen,
auf die spürbar echte Zuneigung des andern zu Ihrer Person!

Und wovon wir jetzt träumten, was wir uns ausgemalt haben,
 was unsere Phantasie zuweilen stark strapazierte –
das erlebt diese Frau,
die man traditionsgemäß die große Sünderin nennt.
Nicht erst, als ihr hörbar Vergebung ihrer Sünden zugesprochen wird, ist sie von Liebe überwältigt und handelt auf so überschwängliche befreite und mit Kopfschütteln kommentierte Art und Weise.
 Nein, sie hat nur von diesem Jesus gehört,
wie er anderen großen und kleinen Gaunern,
andern mit dem Leben nicht zurechtkommenden,
andern ins Abseits gedrängten verständnisvoll, j
a mit echter Sympathie begegnet war.
 Und ganz vertrauensvoll zieht sie den Schluss:
Nicht große oder kleine Sünden
wie auch nicht große oder kleine gute Taten
sind entscheidend für seine Zuneigung,
sie gilt schlicht und ergreifend allen Menschen
– also – es ist kaum zu glauben – auch mir!

Und während Simon, der Pharisäer,
aus Jesu annehmendem Verhalten folgert:
Der kann kein Prophet sein, der kann also nicht von Gott sein!
 kommt die Frau gerade zur entgegen gesetzten Überzeugung:
Das geht über das Menschenmögliche hinaus – das kommt von Gott! Sie weiß: Wenn einmal alle,
die mich verdammen längst vergessen sein werden,
dann steht seine Liebe zu mir immer noch unerschütterlich!
Warum also auf vergängliche Urteile
von vergänglichen Menschen setzen.
Ich habe nun die schöne Aufgabe,
Ihnen zuzusprechen,
was mir für die eigene Person manchmal schwer fällt zu glauben:
 Was wir vorhin miteinander erträumt haben
 und was diese Frau erlebt hat,
gilt Ihnen und mir
und zwar nicht von einem Veränderungen unterworfenen Menschen, sondern vom ewigen Gott.
 
Was soll der komisch-demütige Hochmut:
Vielleicht bin ich noch schlechter als diese Frau!
Und wenn?!
Weg mit dem Konfirmanden-Albtraum:
Herr, Du erforschest mich und kennest mich.
Ich sitze oder stehe oder tue sonst was, so weißt Du es.
Es gibt kein göttliches 1984 – keine einengende Überwachung, sondern nur das in Jesus geoffenbarte getroste Vertrauen:
Dich, du gütiger Vater, kann ich mit nichts mehr schocken!
Wo Menschen sich vor den Abgründen
meiner Seele erschrocken abwenden,
da erkennt ER und stillt meinen Hunger nach Liebe!
Deshalb keine Angst vor dem Aussprechen,
vor der mittelalterlichen Angst vor dem Aufbrummen einer Buße.
 Viel Vergebung setzt auch nicht das selbst zerfleischende,
nach Einzelheiten und Hintergründen suchende,
kritische Durchleuchten des eigenen verworrenen Seelenlebens voraus.
Viel Vergebung kommt von dem Zutrauen:
Wenn´s dieser Frau gilt – dann auch mir.
Zutrauen und Vergebung sind eins!
Und wenn dann wieder die anklagenden Stimmen kommen
und aufzählen, wie böse es bei uns aussieht,
wie Gottes Liebe und Geduld jetzt langsam doch überfordert seien – eins ist ganz gewiss:
Dies ist nie die Stimme Gottes, sondern die seines Widersachers.
Auf solche Anklagen lasst uns mit Luther antworten:
Sag er mir was Neues, Teufel, das weiß ich schon
und mein Herr Christus auch!
Trotzdem liebt er mich und lässt mich nie fallen!
Warum sollt ich dann je mich oder andere fallen lassen?

 

 

11. Sonntag n. Trinitatis 1997

Lukas 18,9-14

  • 9 Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: 10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. 12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. 13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
  • 14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Liebe Gemeinde!
Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen informiert uns Lukas,
für welchen Menschentyp Jesu Gleichnispredigt gemeint ist.
Zitat: „Jesus sagte aber zu einigen, die sich einbildeten,
fromm zu sein, und die andern verachteten, dies Gleichnis“
Das hört sich doch eindeutig so an,
als ob Jesu Gleichnis, das ich gleich vorlese,
für einen bestimmten Menschentypen gemeint sei.
Die sollen aufpassen, die andern können sich genüßlich zurücklehnen.
Hören Sie sich Jesu Kurzpredigt einmal an:
(Textverlesung)
Das geschieht dem frommen Kotzbrocken recht,
dass er bei Gott nicht ankam.
Unmöglich, wie der angibt.
Ärgerlich, wie der auf andere runterschaut.
Peinlich, wie fromm und selbstsicher der sich gibt.
Erlauben Sie mir heute einmal,
FÜR den Pharisäer zu sprechen,
zugegebenermaßen das erste Mal in meinem Leben.
Wenn sich alle so einig ist,
dass der Pharisäer abstoßend und der Zöllner vorbildlich ist,
dann muss man da mal neu nachdenken,
dachte ich am Freitagmorgen, als ich mit der Predigtvorbereitung anfing.
Denn wo alle sich meinungsmäßig vereinigen,
die Frommen und die Nichtfrommen,
die Reichen und die Armen,
da ist fast immer etwas faul,
das ist eine meiner Grundüberzeugungen.
Also behaupte ich mal:
Dem Pharisäer geschieht Unrecht,
 wenn er so einhellig fertiggemacht wird.

Sie sind wahrscheinlich ganz anderer Meinung:
Diese fromme Überheblichkeit, meinen sie,
die stinkt doch gen Himmel.
Da ist doch klar, dass sich Gott die Nase zuhält – igittigitt!
Und wenn so ein Verlierer kommt, wie der Zöllner,
ganz zerknirscht und am Ende,
da ist doch klar, dass Gottes väterlich-mütterliches Herz weich wird.
JA, das ist allgemein christliches Gedankengut geworden,
und es ist so wahr und auch – so grottenfalsch!!

Wir mischen uns mal mit etwas Phantasie unter Jesu Zuhörer:
Einige Pharisäer-Typen, ein paar Zöllner-Typen
und dann die Mehrzahl derer, die sich weder zu den einen,
noch zu den andern zählen – was ja ein Trugschluss sein könnte.
Da ist unter den Zuhörern Jesu dieser Kleinhändler.
Schnürsenkel, Seife, Schrubber usw.
Was er nach einem Zwölf-Stunden-Arbeitstag zusammenkriegt
ist für seine Familie zu wenig zum Leben, aber zu viel zum Sterben.
Gestern musste er nun an der Zollschranke der Römer vorbei,
wo der Zöllner ihm das Vierfache abknöpfte.
Der Händler fleht:
Sei barmherzig, heut Abend hat meine Familie nichts zu essen,
wenn ich dir so viel zahlen muss. ( Und das war nicht übertrieben)
Sei barmherzig – sei einmal zufrieden mit dem regulären Zoll!
Aber der Zöllner, sein Landsmann und Glaubensbruder,
Kollaborateur mit den verhassten Römern, meinte eiskalt:
Das ist dein Problem, nicht meins, und nahm das Vierfache!
Aber am nächsten Tag im Tempel nach Barmherzigkeit schreien!

Passt das? Finden Sie’s noch immer so gut,
wie gut der bei Gott ankommt und wegkommt?
Und unser Kleinhändler kommt nach Hause –
und bringt nicht genug,
um eine recht anspruchslose Familie zu ernähren
Die Kinder wieder hungrig ins Bett schicken?
Du, meint seine Frau, geh zum Priester in den Tempel,
der gibt dir was aus der Armenkasse.
Und woher kommt das Geld in der Armenkasse?
Von so Pharisäer-Typen, die 10% ihres Einkommens dafür spenden,
und das, obwohl deren Einkommen drastisch geringer ist,
 als das des Zöllners.
Und diese 10% können sie nur opfern,
weil sie keine Konsum-Typen sind und zweimal wöchentlich fasten.
Finden Sie es immer noch so toll, wie Gott die beiden beurteilt?
Der Zöllner ging angenommen von Gott in sein Haus,
der Pharisäer aber nicht!

Aber geben Sie nur nicht vorschnell auf! Sie werden sagen:
Das Ekelerregende beim Pharisäer sind ja nicht seine Wohltaten,
sondern, wie er sich etwas darauf einbildet,
dass er sich für besser als den Zöllner hält !
Und? Ist er nicht auch besser?
Wenn der Pharisäer ausgebeuteten Mensch hilft
und der Zöllner der ist, der sie ausbeutet,
darf dann der Pharisäer nicht ganz nüchtern von sich denken:
Ich bin besser als der.
Nehmen sie doch mal den Blickwinkel
des eben beschriebenen Händlers ein.
Wenn Sie der vom Zöllner Beschissene
und vom Pharisäer Unterstützte wären,
würden Sie dann immer noch verstehen und gut finden,
dass Gott den Zöllner, also Ihren Ausbeuter, annimmt
und den Pharisäer, also Ihren Wohltäter, abblitzen lässt???

Zwei lange Jahrtausende haben Aber-Millionen von Menschen
in Gottesdiensten und im Religionsunterricht auf den Pharisäer
runtergeguckt mit dem Gefühl:
Gott sei Dank bin ich nicht wie der!
Eugen Roth hat das knapp und trefflich so formuliert:
Ein Mensch betrachtete einst näher
die Fabel von dem Pharisäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei,
dafür, dass er kein Zöllner sei.
Gottlob! rief er in eitlem Sinn,
dass ich kein Pharisäer bin!
Und wieder gibt’s einen Pharisäer mehr auf der Welt.
Und er hat’s nicht gemerkt.
Ich möchte nicht wissen,
wie viele Menschen durch dieses oberflächlich betrachtete Gleichnis Jesu in Sekundenschnelle zum Pharisäer wurden,
ohne auch nur den Schimmer einer Ahnung
von dieser gefährlichen Verwandlung zu haben.

Sonntagmorgen – 5 vor 10
Ein braver Boxberger, damit’s konkret wird,
nennen wir ihn Hartmut Unkenpföter,
(Lautähnlichkeiten sind gewollt zufällig!)
ist auf dem Weg  zur Wölchinger Kirche,
das Gesangbuch sichtbar in der Hand.
Da sieht er, wie in einem Hof einer sein Auto wäscht,
Sonntagmorgen – 5 vor 10, und er denkt:
Mensch, das ist doch allerhand, der hätt’s auch mal wieder nötig,
in die Kirche zu gehen. Eine Schande ist das!
Und der Autowäscher –der bleibt anonym, weil frei erfunden, denkt:
Doo guck denn fromme In’d-Kerch-Schbringer ou,
der hott’s nöötich.
Preisfrage: Wieviele Pharisäer kommen in dieser Geschichte vor?
Booiiing! Der Kandidat hat 100 Punkte!
Nächste Preisfrage:
Wieviele Pharisäer sitzen heute morgen in dieser Kirche?
Durchzählen bitte!
Gegenprobe: Hand hoch, wer keiner ist! Niemand!

Dieses könnte der erste Gottesdienst sein,
in dem alle sich für Pharisäer halten. Ein guter Anfang!
Letzte Preisfrage:
Wieviele Zöllner sitzen heute morgen in dieser Kirche?
Durchzählen bitte! Gegenprobe: Hand hoch, wer keiner ist!
Danke! Spaß muss sein, auch in der Kirche, oder!?

Aber jeder hat gemerkt:
In dem Spaß ist eine ganze Menge Ernst versteckt.
Denn es kann ja jetzt nicht so weitergehen,
dass wir mit der Überzeugung, ALLE Pharisäer zu sein,
so umgehen, dass wir zum Motto der Kirche den Slogan ausrufen:
Ich bin Pharisäer und ich bin stolz darauf
und das moderne Psycho-Gesellschaftsspiel
Ich bin okay, du bist okay! spielen.
Das ist uns verwehrt, denn Jesus sagt klipp und klar:
Abgelehnt!
Der Pharisäer wird in der höchsten und letzten Instanz abgelehnt.
Eigentlich kann man das auch verstehen, wenn man bedenkt,
dass Gott die Liebe verkörpert und der Pharisäer die Lieblosigkeit.
Das passt nicht zusammen.
Ich habe keine Zweifel, dass das stimmt:
Alle Pharisäer werden von Gott abgelehnt.
Bildlich gesprochen: Alle Pharisäer kommen in die Hölle.
Verständlicher: Alle Pharisäer bleiben in der Gottesferne,
weil eben Liebe und Lieblosigkeit wie Feuer und Wasser sind.
Aber das ist ja zum Verzweifeln.
Liebe Gemeinde, das genau sagt Jesus!
Werfen Sie einmal
diesen ganzen gefährlichen und einschläfernden Wust
von schein-christlichen Überzeugungen über Bord.
Es ist brandgefährlich, zu meinen, der liebe Gott
wird uns schon in den Himmel bringen,
weil wir doch ab und zu mal was Gutes tun,
weil wir uns am 24. Mai 1992 bekehrt haben,
oder weil wir regelmäßig in die Kirche gehen.
Das alles sind keine Einlasskarten für das Reich Gottes.

Aber das ist ja zum Verzweifeln.
Ja, das ist es, aber gerade darin liegt der Schlüssel zum Himmelreich:
In der Verzweiflung des Zöllners
in dem Aufschrei: Gott sei mir Sünder gnädig.
Dieser aus tiefster Verzweiflung kommende Schrei:
Gott, ohne dich kann ich nicht mehr,
der öffnet die Himmelstür,
der treibt in die Arme des Retters, täglich und stündlich.
Diese aus der Verzweiflung geborene Überzeugung
hatte der Pharisäer verloren, das war sein Problem.
Er brauchte Gott nicht mehr wie der Verdurstende das Wasser.
Der Schrei Jesu am Kreuz:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen,
wird für uns zu Rettung,
wenn auch wir in diesen Schrei aus der Verzweiflung
über uns selbst einstimmen.
Das hat der Zöllner getan,
vor Gott, und nicht vor sich und in sich verkrümmt,
und deshalb sagt Jesus:
Den hat Gott angenommen

Ich hoffe nur für ihn und uns,
dass dieser Schrei auch am nächsten und am übernächsten Tag
noch Teil seines Gebetes war.
Und der Schrei bleibt ein echter ungeheuchelter Schrei, täglich,
wenn wir die Untiefen pharisäischer Lieblosigkeit in uns
ungeschönt im Licht Gottes erkennen – und erschrecken!!.
Das ist der hohe Preis dafür,
dass aus der Verzweiflung der Jubel bricht:
Ich bin angenommen.
Amen.

 

12. Sonntag n. Trinitatis 1988

Apg. 3, 1-16

  • 1 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. 2 Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. 3 Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen.
  • 4 Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! 5 Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. 6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! 7 Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, 8 er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.
  • 9 Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. 10 Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war. 11 Als er sich aber zu Petrus und Johannes hielt, lief alles Volk zu ihnen in die Halle, die da heißt Salomos, und sie wunderten sich sehr.
  • 12 Als Petrus das sah, sprach er zu dem Volk: Ihr Männer von Israel, was wundert ihr euch darüber oder was seht ihr auf uns, als hätten wir durch eigene Kraft oder Frömmigkeit bewirkt, dass dieser gehen kann? 13 Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unsrer Väter, hat seinen Knecht Jesus verherrlicht, den ihr überantwortet und verleugnet habt vor Pilatus, als der ihn loslassen wollte. 14 Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und darum gebeten, dass man euch den Mörder schenke; 15 aber den Fürsten des Lebens habt ihr getötet. Den hat Gott auferweckt von den Toten; dessen sind wir Zeugen. 16 Und durch den Glauben an seinen Namen hat sein Name diesen, den ihr seht und kennt, stark gemacht; und der Glaube, der durch ihn gewirkt ist, hat diesem die Gesundheit gegeben vor euer aller Augen.

 

Liebe Gemeinde,
auf den ersten Blick scheint das Schicksal
des Gelähmten an der Tür des Tempels
mit Ihrer und meiner Situation wenig zu tun zu haben.
Wir können uns frei bewegen,
er aber sitzt fest.
Wir sind weithin unabhängig von fremder Hilfe,
aber er braucht jene,
die ihn zum Ort seines Bettelns bringen
und solche, die ihm ihre Almosen geben.
Wir fühlen uns manchmal WIE gelähmt,
er aber IST es.

Aber wie so oft, bleibt der erste Blick
an der Oberfläche,
dringt nicht durch auf die Ebenen
und in die Dimensionen,
die unser Leben zutiefst bestimmen.
Und so möchte ich Sie einladen,
mit mir zusammen neu hinzuschauen.
Vielleicht sind wir dem Gelähmten ähnlicher,
als wir ahnen.
Dann allerdings könnte es auch für uns
Ein Happy End geben.
Es könnten einige unter uns
Auch bald befreit aufspringen
Und Gott loben.
Das wäre bewegter und bewegender Gottesdienst.

Da sitzt also ein von Geburt an gelähmter Mensch
An der sogenannten schönen Tür des Tempels in Jerusalem.
Wahrscheinlich war es ein Tor zum Vorhof des Gotteshauses.
Man kennt ihn dort, denn schon viele Jahre lang
Ist hier sein Platz, hier VOR dem Tempel.
Aber ist hier wirklich sein Platz,
VOR dem Gotteshaus?
Er sitzt hier zur Gebetszeit,
lässt uns Lukas, der Verfasser des Apg. wissen.
Viele strömen IN den Tempel,
um zu Gott zu beten,
er aber sitzt VOR dem Haus Gottes,
um Menschen anzubetteln.
Vor Menschen betteln
oder vor Gott beten.
Was bringt mehr, würde der moderne Mensch fragen.
Und unser Gelähmter in Jerusalem hat sich gewiss
vor Zeiten diese Frage auch noch gestellt,
aber seit Jahren hat er sie sich auch beantwortet:
Ich hab´s versucht mit dem Beten,
aber es hat nichts gebracht.
Wie oft habe ich um Heilung gebetet,
doch in meinen Gelenken hat sich nichts gerührt.
Und auch in seinem Herzen,
auch in seinen Erwartungen hat sich bald nichts mehr gerührt.
So hat er das Beten eingestellt,
dafür sich aufs Betteln eingestellt.
Betteln vor dem Gotteshaus
bringt greifbarere Erfolge als Beten im Tempel,
das ist die Summe seiner Lebenserfahrung.
Von Menschen Hilfe erwarten,
oder auf Gottes Hilfe warten?
Unser Freund in Jerusalem hat gewählt.
Die Brocken vom Tisch der Menschen werden sein Brot.
Vom Lebensbrot am Tisch Gottes erwartet er
weder Kraft noch Heilung.

Wie gut wir ihn verstehen können!
Wie viele scheinbar wirkungslose Gebete braucht ein Mensch,
um das Beten aufzugeben,
um im Betteln aufzugehen?
Ich bin sicher,
jeder unter uns könnte davon ein trauriges Lied singen.
So verständlich, aber auch so traurig,
weil wir vom erwartungsvollen Kind vor Gott
zum berechnenden Bettler vor Menschen verkommen.
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder,
SO könnt ihr nicht ins Reich Gottes kommen“-
Haben wir vorhin bei der Taufe gehört.

Arbeitslos – ich werde nicht mehr gebraucht.
Ehekrise – ich werde nicht mehr geliebt.
Jung – ich werde nicht für voll genommen.
Alt – ich werde zur Last für andere.
Da bin ich wie gelähmt,
sagen wir, wenn wir so etwas erfahren.
Und dazu kommt die Lähmung der Erwartungen,
bei uns wie bei dem Bettler in Jerusalem,
und die ist das wirkliche Leiden,
das nach Heilung schreit,
bei uns wie bei ihm.

Regt sich aber wieder etwas in den Erwartungen,
so bewegt sich bald auch etwas in den Lähmungen unseres Lebens.
Wunderbar ist, dass es,
GOTT SEI DANK, manchmal geschieht,
dass Gott ÜBER ERWARTEN hilft.
Denn der Gelähmte,
und das ist ein weiteres Zeichen seiner,
und vielleicht auch unserer Lähmung,
erwartet auch von den beiden Männern Gottes,
Petrus und Johannes, NUR Almosen,
um in seiner Lähmung zu überleben,
nicht aber den REICHTUM GOTTES,
um zu leben, wirklich frei und echt zu LEBEN.

Silber und Gold habe ich nicht,
hört er von Petrus.
Das mag ihn zunächst noch mehr gelähmt haben.
Die Enttäuschung!
Aber: Was ich habe, das gebe ich dir,
im Namen des Auferstandenen,
steh auf.

Weil da einer aufgestanden ist
Gegen alle Lähmung von Tod und Teufel,
gegen die MUTLOSIGKEIT AUS TAUSEND ENTTÄUSCHTEN HOFFNUNGEN,
gegen die Horizontverengung des gesenkten Blicks,
weil einer gegen all dies und viel mehr
aufgestanden ist,
STEH AUF!

Im Namen des Auferstandenen, steh auf,
du, der du meinst,
das Urteil deiner Lehrer,
sei das Urteil über deinen Wert,
Im Namen des Auferstandenen, steh auf,
Du, der du meinst,
weil du gestern versagt hast,
seist du ein Versager.
Im Namen des Auferstandenen, steh auf,

……
der du meinst,
weil die da oben bestimmen,
sei dein Leben bestimmt
Im Namen des Auferstandenen, steh auf,

…..
der du meinst,
Almosen von Menschen erbetteln
brächte mehr als Leben von Gott zu erbitten.
Im Namen des Auferstandenen
In Gottes Namen:
Steh auf!
AMEN

 

12. Sonntag n.Trinitatis1997

Markus 7,31-37

31 Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus,
kam er durch Sidon an das Galiläische Meer,
mitten in das Gebiet der Zehn Städte
32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war,
und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege.
33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite
und legte ihm die Finger in die Ohren
und berührte seine Zunge mit Speichel und
34 sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm:
Hefata!, das heißt: Tu dich auf!
35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf,
und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig.
36 Und er gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen.
Je mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus
37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen:
Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend
und die Sprachlosen redend.

Liebe Gemeinde!
Wahrscheinlich hat jeder Mensch Zeiten,
wo er besonders offen und daher besonders lebendig ist.
Bei mir sind das die 60er Jahre:
61 zum Glauben finden
62 die erste Liebe, die mehr war als ein Anhimmeln aus der Ferne
63 Berufswechsel und Beginn des Theologiestudiums
67 Ausreise nach USA  zum Weiterstudium
69 Verheiratung mit eben jener ersten Liebe
Und wahrscheinlich haben auch die meisten Menschen
ein oder zwei Bereiche,
aus denen sie wesentliche Interpretationen ihres Lebens lesen:
Die Geschichte, die Literatur, die Musik.
Die war’s bei mir, vor allem die Rock- und Popmusik.
Wo andere nur von Schrott und Teufelszeug redeten,
entdeckte ich Juwelen.

Ein solcher Juwel aus der Rock- und Popmusik der 60er Jahre
fiel mir sofort ein, als die Geschichte von der Heilung
des Taubstummen hörte:
Da gab’s in den 60ern dieses geniale Duo Simon&Garfunkel
und von ihnen den Klassiker „Sounds of Silence“
Ein absolut wunderschönes Stück Musik
und ein Text der Wahrheit pur liefert.
Darin geht’s  -wie oft bei S&G-  um die menschliche Tragödie
des Aneinandervorbeiredens, des nichtssagenden Geschwätzes,
der vielen Worte ohne Bedeutung.
Und darin kommt die Zeile vor
-zuerst für alle anwesenden Engländer  und Amis-
in der Originalsprache:
People talking without speaking, people hearing without listening
zu Deutsch: Menschen reden, ohne was zu sagen
Menschen hören, ohne zuzuhören.
Menschen reden, ohne etwas zu sagen,
Menschen hören, ohne zuzuhören.
So viele, die das Sagen haben wollen, haben nichts zu sagen.
So viele, die sagen: komm erzähl, das interessiert mich,
hören gar nicht hin.
Und dann sagen S&G über dieses geräuschvolle Schweigen:
silence like a cancer grows, es frisst um sich wie Krebs.
An diesem geräuschvollen Schweigen leiden
die Taubstummen unserer Tage,
und Jesus kann und will sie heilen.

Du bist schon einmal an einem offenen Grab gestanden,
hast deine drei Wurf Erde auf den Sarg prasseln lassen,
oder das Sträußlein Blumen auf ihn geworfen.
Aber in dir, geneigter Predigthörer und lieber Mitchrist,
war ein einziger stummer Schrei:
Ich hätte ihm oder ihr gerne noch so vieles gesagt.
Wir haben geredet über das Wetter, den Euro
und die unfähigen Politiker, aber über Wesentliches,
über das was Menschsein ausmacht oder bedroht,
darüber haben wir nie geredet.
Ich habe ihm auch nie gesagt, was er mir bedeutet,
wie sehr ich ihn mochte, ließ ihn nie teilhaben,
an dem, was mich wirklich bewegte.
Und all das kann ich jetzt nie mehr – vorbei!
Und du fragst dich: Warum?
Warum blieb ich stumm?

Und damit hast du dir die Antwort schon gegeben:
Du warst mit funktionierenden Stimmbändern stumm!
Und du sagst: Das wird jetzt anders werden,
jetzt wird über Wesentliches geredet,
jetzt werden Gefühle und Zuneigung ausgesprochen,
den Fehler mach ich nicht nochmal.
Aber schon nach wenigen Monaten hat sie dich wieder
die schreckliche und isolierende Krankheit des Stummseins,
des lärmenden Schweigens.
Menschen reden, ohne etwas zu sagen
Menschen hören, ohne zuzuhören
Und du erschrickst darüber, dass du wieder bist, wie man ist.
Und du seufzt: Hefata! Öffne dich!

Oder du denkst zurück an Zeiten, wo du mit Gott reden konntest
wie mit einem guten Freund,
wo du mindestens einmal am Tag alles vor ihm ausgebreitet hast.
das Banale und das welt- und dich bewegende.
Du warst vor ihm so offen und spontan wie ein Kind.
Beten war für dich wie Atemholen,
so natürlich, so spontan, so lebensnotwendig.
Und wie hast du dich dabei wohlgefühlt,
nicht nur wenn’s dir gutging, nein, auch, ja gerade,
wenn’s mal nicht so lief wie du dir das gewünscht hast.
Du hattest einen Gesprächspartner, der dich verstand.
Und heute, geneigter Predigthörer und lieber Mitchrist?
Heute verkehrst du mit Gott in starren Worthülsen
oder es herrscht die totale Funkstille.
Und du fragst dich: Was ist los?
Und du musst dir eingestehen:
Ich bin stumm! Stumm vor Gott, der Quelle des Lebens!
Und wieder dieser seufzende Schrei in dir: Hefata! Öffne dich!

Aber vielleicht ist es bei dir,
geneigter Predigthörer und Mitchrist,
wie bei den klassischen Taubstummen:
Die können oft nicht reden, weil sie nicht hören können.
Stumm weil taub.
Du kannst ja reden, aber du leidest daran,
dass dir für das Wesentliche die Stimme fehlt.
Doch wie kannst du erwarten Wesentliches zu reden,
wenn du tagein tagaus mit ätzendem Schrott zugedröhnt bist:
Alles Müller oder was?
BILD sprach mit dem Toten.
Johannes B. Kerner, Vera am Mittag, Sonja, Arabella
und die vielen Talkshows mit nichtssagenden Themen, wie
Ich bin doof! Du nicht?
Menschen reden, ohne etwas zu sagen
Menschen hören, ohne zuzuhören.

Aber wenn du, geneigter Predigthörer und lieber Mitchrist,
nun so ganz für dich meinst:
Ja, das mit dem Stummsein
und mit dem Taubsein für das Wesentliche,
das hat mit mir zu tun, das ist auch meine Krankheit,
dann bleib um Gottes willen
 nicht in deinem Problembewusstsein hängen,
sondern schau mit mir in die Geschichte
 vom geheilten Taubstummen,
wie Jesus mit dem umgeht, um ihn zu heilen.
Warum soll der auferstandene Jesus das nicht auch bei uns schaffen?

Zuerst nimmt Jesus den Taubstummen beiseite,
nimmt in raus aus der Menge der Menschen.
Der muss raus aus der einsamen Masse.
weg von denen, die taubstumm sind wie er, ohne es zu wissen.
Und übertragen auf uns:
Wie sollen nichtssagende Schwätzer genesen,
wenn sie unter nichtssagenden Schwätzern bleiben.
Wenn du plötzlich ins Krankenhaus musst,
wenn du deine Arbeit verlierst,
dann sind das Tragödien, die keiner schönreden darf.
Aber es stimmt auch: Jetzt ist deine Chance,
nachzudenken, zum Wesentlichen zu kommen
mit den Deinen zu reden und mit Gott.
In der Krise bist du beiseite genommen.
Die meisten Neuanfänge passieren in der Krise,
warum also diese panische Angst vor ihr.
Wenn’s bei dir kriselt und bröckelt und bröselt,
vielleicht ist das nur die Fassade
hinter der du ersticken könntest
und die dir die Wahrnehmung nimmt für alles Wesentliche,
für Liebe und für Wahrheit.
Hefata! Öffne dich!

Und dann berührt Jesus
die Ohren und die Zunge des Taubstummen mit Speichel.
Brrhhh – du wirst dich schütteln, wenn du an den Speichel
eines Fremden auf deiner Zunge denkst.
Mit Geduld und Spucke!
Aber mal ehrlich, mein geneigter Predigthörer und lieber Mitchrist:
Damals am offenen Grab, verzweifelt über dein elendes Stummsein,
wenn da ein Vertrauenswürdiger dir gesagt hätte:
Dieses Unangenehme, das bringt deine Heilung,
das öffnet deine Rede für Wesentliches, hättest du abgelehnt?
Es geht hier wohl kaum um Speichel oder nicht Speichel,
sondern um die Frage: Ist dein Leidensdruck schon groß genug?
Willst du wirklich heil werden, um jeden Preis.
Mag sein, dass du noch einiges mitmachen musst,
an Einsamkeit und zerbrechenden Beziehungen,
bevor du schreist, bedingungslos schreist: Hefata! Tu dich auf!

Und dann das Größte im Umgang Jesu mit dem Taubstummen:
Er seufzt für ihn! Der Taubstumme kann’s ja nicht selbst!
Er wäre gnadenlos überfordert.
Vielleicht hätte er  auch gar nicht die Richtung gewusst,
 für einen effektiven Seufzer.
Aber Jesus seufzt für ihn und er weiß die Richtung,
damit der Seufzer nicht wirkungslos verhallt.
Jesus seufzt für den Taubstummen zum Vater,
zu dem, dem nichts fremd ist, der echt versteht
und den du mit nichts schocken kannst.
Der seufzt auch für uns geschwätzige Stumme.
Das Wahrhabenwollen ist christlicher Glaube.
Nimms wahr! und man wird bald über dich sagen
wie über  den Taubstummen in der Bibel:
Und seine Zunge löste sich und er redete richtig!
Amen.

 

13. Sonntag n. Trinitatis 1988

Genesis 4, 1-16

  • 1 Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. 2 Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.
  • 3 Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4 Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6 Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7 Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. 8 Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.
  • 9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10 Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11 Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12 Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.
  • 13 Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. 14 Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. 15 Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. 16 So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.

 

Wer die ersten Seiten seiner Bibel aufschlägt,
und diese zunächst so fernen Bilder auf sich wirken lässt,
dem drängt sich immer wieder der Eindruck auf:
„So isses“ oder „So isser“ – der Mensch.
Adam und Eva werden plötzlich zu Spiegelbildern,
in denen ich mich selbst erkenne,
als der, dem das Streben, sein zu wollen wie Gott nicht fremd ist.
Die Turmbauer zu Babel,
die sich einen Namen machen wollen
aus Angst vor der Bedeutungslosigkeit,
werden meine Brüder, weil ich diese Angst auch kenne.
Und in den erlittenen Folgen dieser Angst,
nicht mehr sinnvoll miteinander reden zu können,
werden sie meine Leidensbrüder.

Wo ist dein Bruder? Wo ist deine Schwester?
Du kannst sie kennen lernen in den Gestalten der Urgeschichte
in Gen. 1 bis 11.
Adam heißt Mensch, Eva heißt Leben, Kain heißt Speer,
und Abel heißt Hauch, Babel heißt Verwirrung
die verwirrten Türmlesbauer von Babel
sie alle sind deine Schwestern und Brüder,
die dir den Spiegel vorhalten.
Hier geht’s um den Menschen und sein Leben,
als Täter und Opfer
als gründlich Verwirrte zur Kommunikation unfähig.

Erkennst du dich in ihnen wieder und bekennst:
So isses!?
Kain, der Speer, und Abel, der Hauch.
In wem erkennst du dich heute wieder?
Bist du heute der, der mit Worten, spitz wie Speere,
den andern verletzt, sein Schreien aber nicht hört.
Denn nicht nur Blut schreit zu Gott,
sondern auch die gequälte Seele deines Bruders, deiner Schwester. Ehrfurcht vor dem Leben
ist eben nicht bloß Ehrfurcht vor Leib und Blut,
sondern auch Ehrfurcht vor einer verletzlichen Seele.
Oder erkennst du dich heute in Abel, dem Hauch,
der zwar Gott auf seiner Seite glaubt, aber so unheimlich eingeengt,
in die Ecke gedrängt ist, so gefährdet, überfahren zu werden.
Wer bist du heute?
Der gefährliche Kain, der Speer, oder der gefährdete Abel, der Hauch?
Die Antwort fällt dir schwer, weil du ein ehrlicher und selbstkritischer Mensch bist:
Du weißt: Ich bin Kain UND Abel.
Ich bin gefährlich und gefährdet.
Ich verletze und bin verletzlich.
Ich gehe über Leichen und…werde übergangen.
Ja, du bist Kain und Abel, denn du bist jenseits von Eden.
Du bist nicht mehr im Garten der Lust, in Eden,
sondern im Lande Nod, im Land der Unstetigkeit.
Du bist nicht mehr in Harmonie mit der Schöpfung,
du verletzt sie und sie verletzt dich.
Du zerstörst die Ozonschicht und einige von denen,
die nach dir kommen, deine Nächsten, sterben an Hautkrebs.
Du bist jenseits von Eden, im Lande Nod, im Lande der Unstetigkeit.

Darum bist du auch nicht mehr in Harmonie mit dir selbst.
Du bist gespalten in Kain und Abel.
Zuweilen bist du dein eigener Kain,
du verletzt dich selbst, du gefährdest dein Leben,
du gefährdest deine eigene Seele,
du gefährdest sie durch Unterernährung,
weil nur noch das Haben zählt und das Sein verkümmert.

Du bist jenseits von Eden, jenseits von Harmonie,
auch in deiner Beziehung zu deinem Schöpfer.
Er erscheint dir manchmal wie ein willkürliches Monster.
„Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer,
aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.“
Unter dem Eindruck stehst du jenseits von Eden.
Und du bist immer Kain, denn du siehst an dein Leben und du siehst: Ich komme zu kurz.
Ich komme nicht so an.
Ich werde übergangen.
Meine Mühen zahlen sich nicht aus.
Meine Opfer an Zeit und Phantasie werden nicht gewürdigt.
Du siehst dich immer als Kain,
im Schatten der Ungerechtigkeit und der Vergeblichkeit.
Und dein Nächster ist aus deiner Sicht immer Abel.
Der kommt an, manchmal sogar ohne sich zu mühen.
Dem fliegen Sympathien geradeso zu.
Und wenn du jetzt all dies mit Gott in Verbindung bringst,
dann wird er zum willkürlichen Despoten,
zum fratzenhaften Monster,
das aus unerklärlichen Gründen deinen Bruder begünstigt,
und dich benachteiligt.
So siehst du das, jenseits von Eden,
im Lande Nod, im Land der Unstetigkeit.
So siehst du das, jenseits von Eden.

Aber ist es auch wirklich so?
Kain will es so sehen, daher senkt er finster seinen Blick.
Das, was er jetzt so sieht, wie er es sieht, will er weiter so sehen.
Das soll sich nicht durch neue Eindrücke korrigieren.
Er will nicht klagend aufblicken zu dem scheinbar ungerechten Gott
und er will auch nicht mehr vergewissernd
auf seinen Bruder Abel schauen,
ob da wirklich nur Segen und kein Fluch,
ob da wirklich nur Licht und kein Schatten zu entdecken sind.

Und Kain senkte finster den Blick. Wo ist dein Bruder?
O Kain, wenn du jetzt deinen Blick gesenkt hältst,
wenn du jetzt deinen Bruder nicht neu anschaust,
dann verletzt du ihn tödlich, schon jetzt und ohne Waffe.
Dann erstickst du ihn in dem Image, das du von ihm machst.
O Kain, wenn du jetzt deinen Blick gesenkt hältst,
dann bleibt dir verborgen, wie ähnlich ihr einander seid.
Dann fliegen unaufhörlich
die Speere von Projektion und Gegenprojektion.
Dabei bist du Kain UND Abel und dein Bruder ist Abel UND du.
Lässt du ihn als Feinbild verkümmern,
verkümmerst du mit.
Lernst du aber ihn lieben, lernst du auch dich lieben.
O Kain, wenn du jetzt deinen Blick gesenkt hältst,
dann bleibt dir das Bild des Schöpfers
als Zerrbild einer Fratze eingeprägt.
Und es wird dich prägen, du wirst zum Zerrbild, zur Fratze.
Drum schau auf.
Klage, stöhne, beschwer dich, aber schau auf!
Weine, lamentiere, ja, fluche, wenn du musst, aber:
Schau auf zu Gott.
Denn aufschauen zu Gott ist der Anfang der Ehrfurcht
vor dem Leben deiner verletzlichen Brüdern und Schwestern.
Senk nicht finster deinen Blick,
sondern schau auf in das verletzliche Antlitz Christi,
das mit dir und für dich leidet.
In seinem Zeichen wirst du leben – auch jenseits von Eden.
Amen

 

 

13. Sonntag n. Trinitatis 1989

Matthäus 6, 1-6

1 Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
2 Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen lassen, wie es die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, damit sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 3 Wenn du aber Almosen gibst, so lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, 4 damit dein Almosen verborgen bleibe; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.
5 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 6 Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.

 

Sie erwarten heute nach dem Hören des Predigttextes
 wahrscheinlich eine Predigt über Geld,
über seine Gefahren und Chancen.
Aber da machten wir es uns zu einfach,
denn es geht Jesus um viel mehr.
Er spricht uns auf das Intimleben unseres Glaubens an.
Wir benutzen das Wort Intimleben fast ausschließlich dann,
wenn es um Sex geht.
Und dahin gehört es auch, aber nicht nur dahin.
Es ist gut und wohltuend,
dass die schönsten Bereiche unseres Lebens geschützt sind
vor dem Zugriff anderer.
Da hat keiner reinzureden, reinzuglotzen,
das geht keinen was an, nur die, die sich lieben,
wenn sie sich denn lieben.
Und wer dennoch meint, daraus ein Spektakel
machen zu müssen, wer das Intime nach außen kehrt,
wer darin Zuschauer braucht,
der ist ein Exhibtionist,
und zeigt damit nichts als seine bedauernswerte Armut.
Und so sei das auch mit dem Glauben, sagt Jesus.
Matthäus fasst im 6. Kapitel seines Evangeliums
Worte Jesu über drei sichtbare Auswirkungen
 des Glaubens zusammen,
die aber nach Jesu Wort nicht auf ein Publikum zielen,
sondern sich allein vor Gottes Augen abspielen sollen.

Zunächst spricht er die aus dem Glauben wachsenden Wohltaten an,
so ist das griechische Wort
hinter dem deutschen Begriff Almosen besser übersetzt.
Um Wohltaten geht’s,
unser Verhältnis zum Nächsten ist angesprochen.
Danach geht’s ums Gebet, also um unsere Beziehung zu Gott,
und wie sie sich äußert.
Und schließlich eine dritte Auswirkung des Glaubens:
Das Fasten - wie geht der Glaubende mit sich selber um,
das Verhältnis zu sich selbst.
Und jedes Mal betont Jesus:
Macht kein Theater daraus,
weder aus euren Wohltaten, noch aus dem Gebet
und auch nicht aus eurer freiwilligen Selbsteinschränkung.
(Die entsprechenden Verse zitieren)
Da steht zweimal im Griechischen Urtext „Theathenei“ -
sie hören deutlich: Daher kommt unser Wort Theater.
Jesus warnt tatsächlich vor frommen Theater.
Habt acht auf eure Frömmigkeit,
übersetzt Luther den Satz in Vers 1, der alles überschreibt als Thema.
Habt Acht auf eure Frömmigkeit.
Jesus lädt uns als Meister in seine Schule ein.

Ich möchte gern in seine Schule gehen, gerne von ihm lernen.
Denn ich finde ihn einfach gut,
und wenn er sagt: Habt acht,
dann glaube ich, dass sich das Hinhören lohnt.

Hab acht auf deine Frömmigkeit!
Da steht eigentlich das Wort Gerechtigkeit.
Hab acht auf deine Gerechtigkeit!
Vom Alten Testament her versteht Jesus als frommer Jude das so:
Gerecht ist einer, wenn er berechtigten Erwartungen
in seinen Beziehungen gerecht wird.
Ein Vater ist z.B. gerecht, wenn er Zeit
und nicht nur Knete für seine Kinder hat,
denn ihn brauchen seine Kinder - und nicht Ersatz,
und deshalb dürfen sie seine persönliche Zuwendung erwarten.
Gerecht ist jemand, der berechtigte Erwartungen erfüllt.

Beziehungen gerecht werden, das ist Gerechtigkeit
und letztlich ist das echte Frömmigkeit.
Aber habt Acht, sagt Jesus,
nicht nur dass einer Beziehungen gerecht wird ist wichtig,
sondern auch wie und warum!
Das Wohltats-Motiv ist ebenso wichtig wie die Wohltat.
Wir denken manchmal:
Hauptsach, was Gutes wird getan!
Und kümmern uns dann zu wenig um das Warum hinter dem Tun.
Das ist eine typische Macher-Einstellung.
Das andere Extrem sind die Zaghaften:
Sie kommen nie zum Handeln,
weil sie immer meinen, ihre Motive seien nicht rein genug.

Warum ist Jesus das Wohltats-Motiv so wichtig?
Stellen wir uns doch noch einmal kurz den eben erwähnten Vater vor,
der keine Zeit für seine Kinder hat,
oder zutreffender gesagt, sich keine für sie nimmt.
Aber jetzt hat sich der Pfarrer zu Besuch angesagt,
weil der älteste Sohn konfirmiert werden soll.
Der Pfarrer wird um 8 Uhr abends erwartet
und ab ½ 8 sieht man den Vater
mit den zwei Kleineren spielend auf dem Teppich liegen.
Die freuen sich unheimlich,
endlich der Papa und kein Ersatz!
Aber der Konfirmand kriegt Brechreiz,
ihm wird speiübel wegen dieses Theaters.
Von außen betrachtet ist der spielende Vater
seinen Kindern und ihren Erwartungen gerecht geworden,
aber eigentlich hat er sie benutzt, ja ausgebeutet,
und der Sohn reagiert mit seiner Abscheu normal und angemessen,
denn Menschen benutzt man nicht.

Wohltaten! Nichts Schöneres, sagt Jesus,
aber kein Theater, keine Schauspieler,
da geht zu viel kaputt:
Zum einen im „wohltuenden“ Schauspieler,
der unter der Maske
mehr und mehr seine Lebendigkeit erstickt.
Es geht zu viel kaputt!
Zum andern in den Objekten der scheinbaren Wohltat,
denn sie fühlen meist, was ihnen angetan wird,
selbst wenn sie es nicht wissen.
Es geht zu viel kaputt.
Auch in denen, die notgedrungen Zuschauer werden:
In ihnen stirbt langsam aber sicher die Achtung,
von der alle Beziehungen leben.

Wohltaten! Nichts Schöneres, sagt Jesus,
aber ihre exhibitionistische Zurschaustellung
schafft nichts als grenzenlose Armut.
Denn der hat ja gekriegt, was er will.
Als der Pfarrer kurz nach 8 Uhr das Haus betritt
ruft der begeistert aus:
Das gibt es noch, Sie spielen mit ihren Kindern,
wo sie doch diese zeitraubende und verantwortungsvolle Position haben!
Da hat unser Theater-Vater ja was er will.
So sieht es Jesus auch:
Die Heuchler, sagt er, die haben ihren Lohn schon gehabt.
Wenn das alles ist, was sie wollen,
wenn sie damit zufrieden sind, bitte!
Gott drängt seinen Reichtum niemandem auf,
weder jetzt noch später.

Und so wird wachsende innere Armut
das Problem der Wohltats-Schauspieler.
Und das wird zum Teufelskreis:
Je größer die Armut,
desto irrer werden die verzweifelten Versuche,
die Armut zu verstecken im Wohltats-Theater.
Und die Selbstachtung sinkt.

Jetzt ist die Versuchung des Predigers groß,
sich selbst und seine Hörer auf den Röntgentisch zu legen,
und sein und der Gemeinde Handeln
nach den Motiven zu durchleuchten.
So nach dem Motto:
Liebe Leute, lasst uns unser Engagement
in der Paul-Gerhardt-Gemeinde nach den Beweggründen abklopfen.
Doch darin läge die Gefahr,
wieder zu selbstverkrümmt und ichbezogen
für sich selbst zum Zuschauer zu werden,
eine Nabelschau zu treiben, die nur Verzweiflung als Ende kennt.
Und es könnte ein Schauspiel daraus werden,
und das duldet die Intimsphäre des Glaubens nicht.
Wie Röntgenstrahlen könnte das gefährlich sein,
wenn von Menschen dosiert wird.
Die Dosierung ist Gottes Sache.

Entscheidender als solche Röntgentherapie
ist doch die Frage nach dem Impuls,
der hilft, aus dem Teufelskreis von innerer Armut
und äußerlichem Schauspiel auszubrechen.
Der Impuls ist der Vater im Himmel,
so sieht es Jesus.
Nur vor dem himmlischen Vater bleibt Selbstkritik hilfreich,
weil man gleich in der schmerzhaften Kritik die Hilfe ahnt.
Einen vom Arzt zugefügten Schmerz kann man aushalten,
ja, man sucht ihn.
Vor Gott kann ich mir meine Theater-Manieren eingestehen,
denn das weiß ich:
Er will und kann sie kurieren,
ohne mich unnötig zu traktieren.

Und ein Zweites:
Nur selbst erfahrende Wohltat
macht wohltuend frei für spielerische, aber nicht gespielte Wohltat.
Der Vater im Himmel ist der Lohn des Glaubenden.
Da sitzen wir 50 oder 60 Paul-Gerhardtianer
heute morgen im Gottesdienst.
Gott dient uns:
Mit froh- und getrost machenden Liedern,
mit der Möglichkeit, ganz offen mit ihm zu reden
mit dem Angebot
von seinem liebenswerten Sohn Jesus zu lernen.
Er dient uns.
Er tut uns gut.
Und er tat es auch in der Vergangenheit.
Jeder könnte von Gottes Wohltaten ein Lied singen:
Es wird ihnen und mir gut tun.
LOBE DEN HERRN MEINE SEELE
UND VERGISS NICHT,
WAS ER DIR GUTES GETAN HAT.
Sich darauf konzentrieren,
diesen Vers immer wieder meditieren,
vielleicht mit geschlossenen Augen - wenn Ihnen das hilft.
„Lobe den Herren meine Seele, und vergiss nicht,
wie er dir wohlgetan hat.
Das tut wohl und macht spielend frei für Wohltaten,
die wir alle so dringend brauchen.
LOBE DEN HERRN MEINE SEELE
UND VERGISS NICHT,
WAS ER DIR GUTES GETAN HAT.
Amen

 

14. Sonntag nach Trinitatis 2002

Johannes 5,1-18

 

1 Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem.
2 Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen;
3 in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte
»Sie warteten darauf, dass sich das Wasser bewegte. 4 Denn der Engel des Herrn fuhr von Zeit zu Zeit herab in den Teich und bewegte das Wasser. (So glaubte man) Wer nun zuerst hineinstieg, nachdem sich das Wasser bewegt hatte, der wurde gesund, an welcher Krankheit er auch litt.«
5 Es war aber dort ein Mensch, der lag achtunddreißig Jahre krank.
6 Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?
7 Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein.
8 Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!
9 Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber an dem Tag Sabbat.
10 Da sprachen die Juden zu dem, der gesund geworden war: Es ist heute Sabbat; du darfst dein Bett nicht tragen.
11 Er antwortete ihnen: Der mich gesund gemacht hat, sprach zu mir: Nimm dein Bett und geh hin!
12 Da fragten sie ihn: Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: Nimm dein Bett und geh hin?
13 Der aber gesund geworden war, wusste nicht, wer es war; denn Jesus war entwichen, da so viel Volk an dem Ort war.
14 Danach fand ihn Jesus im Tempel und sprach zu ihm: Siehe, du bist gesund geworden;  sündige hinfort nicht mehr, dass dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre.
15 Der Mensch ging hin und berichtete den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe.
16 Darum verfolgten die Juden Jesus, weil er dies am Sabbat getan hatte.
17 Jesus aber antwortete ihnen: Mein Vater wirkt bis auf diesen Tag, und ich wirke auch.
18 Darum  trachteten die Juden noch viel mehr danach, ihn zu töten, weil er nicht allein den Sabbat brach, sondern auch sagte, Gott sei sein Vater, und machte sich selbst Gott gleich.

Liebe Gemeinde,
wie einer aufstand gegen sein Festgelegtsein,
so könnte man diese Geschichte
aus dem Johannes-Evangelium überschreiben.
Aber dann hätte man den vergessen,
der dem Festgelegten zu seinem Aufstand verhalf.
Also besser: Wie Jesus mit einem Festgelegten den Aufstand probte.
Ja, da war mehr als ein „Auf-der-Matte-liegen“,
da war ein Festgelegtsein, wie wir bald sehen werden.
Und da war auch mehr als ein Aufstehen,
da war ein Austand, wie wir auch noch sehen werden.
Und da war mehr als Religion und Volksglaube,
da war Jesus,
wie wir auch so oft Festgelegten hoffentlich heute sehen lernen.

Und da war schließlich kein einmaliger Aufstand,
sondern eher eine Probe.
Eine Probe für das, was hier und heute geschehen kann,
wenn der Auferstandene sich als Sieger
über alles und jedes Festgelegtsein zeigt.

Jerusalem rüstet sich für ein Fest,
aber so viele haben keinen Grund zum Feiern,
denn sie liegen fest
und für die Festgelegten wird ein Fest
zum alles aufwühlenden Stachel.
Zu Festzeiten leiden die Festgelegten besonders:
Der Kontrast zwischen ihrer Not
und der Forderung, sich zu freuen und zu feiern,
ist eben auch zu deutlich.

Ach ja, festgelegt, wie oft fühlen wir uns festgelegt,
und keiner kann uns aus diesem isolierten und zementierten Dasein herausholen.
Festgelegt durch die Sicht unserer Mitmenschen:
„Der ist halt so,
das hat er von seinem Vater geerbt, der war auch schon so.
Da ändert sich auch nix mehr, der ist aus dem Alter raus.
Der muss so schwätzen, das gehört zu seiner Rolle.“
Festgelegt, auch in dem, wie wir uns selber sehen, resigniert:
„Und kriegt der A.... auch Falten, wir bleiben doch die Alten.“
Und können Sie und ich ganz sicher sein,
dass wir manchmal nicht am Festgelegtsein festhalten?
Das Jammern-Wollen, das Kokettieren mit den Problemen,
das Seufzen über die Zwänge, weil man Verantwortung scheut.
Aber wer kann befreien
vom Festgelegtsein aufs Festgelegtsein?

Der Volksglaube schafft das nicht:
Da liegen die Kranken an riesigen Wasserbecken
und man erzählt sich, dass gesund wird,
wer zuerst im Wasser ist, wenn es sich bewegt.
38 Jahre lang klammert sich einer schon an diese wackelige Hoffnung.
Aber wer will es ihm verübeln.
In der Not sucht man selbst im Aberglauben Hoffnung –
Hoffnung „Auf-Teufel-komm-raus“!
Aber der kommt nicht raus, der steckt noch ganz massiv drin.
Das zeigt sich, wenn man sich die vergiftete Atmosphäre vorstellt,
dort am Teich Bethesda, im sogenannten „Haus der Barmherzigkeit“:
Von Barmherzigkeit kann wohl kaum die Rede sein,
denn Gesundstoßen kann sich, wer den andern wegstößt
oder ihn einfach liegen lässt.
So sind die Regeln, wo jeder für sich alleine glaubt,
wo der Mitleidende zum mitleidslosen Konkurrenten wird,
wo die körperliche Krankheit
zum Zeichen für seelische Vergiftung wird.
Wie fromm sich diese „Auf-Teufel-komm-raus“-Hoffnung auch kleidet,
sie muss ihren Bankrott offenbaren in der Klage:
Ich habe keinen Menschen!
Da glaubt jeder für sich,
da hofft jeder für sich,
da liebt jeder – sich!
Jeder bleibt in tödlich-teuflischer Isolation,
auch wenn er mitten unter Menschen ist,
auch wenn sie alle im gleichen Boot sind
und eigentlich Verständnis füreinander haben müssten.
Jeder bleibt festgelegt, weil man an bewegte Wasser,
oder an den unbewegten Beweger der Philosophen,
aber nicht an den bewegten Beweger glaubt.

Ich habe keinen Menschen.
Ein Satz, der unter die Haut geht.
Ein Satz den viele nachfühlen, aber kaum einer nachsprechen kann.
Der kommt schwer über die Lippen,
gerade wenn man offensichtlich Menschen „hat“:
Ehepartner, Kinder, Freunde, Kollegen ...
Trotzdem: Ich habe keinen Menschen??
Da sind doch Menschen!
Was aber, wenn die auch alle festliegen,
festliegen in dem Zwang, zuerst dran zu sein,
vielleicht sogar fromm festgelegt sind,
zuerst dran zu sein – bei Gott??!
Solcher (Aber)Glaube lässt allein.
Jede bleibt des andern Wolf.
Ich habe keinen Menschen.
Hatten die langen 38 Jahre diesen Satz
aus dem Festgelegten herausbrechen lassen?
War das Maß einfach voll?
Nein, Jesus hat ihn zum Aussprechen dieses Bekenntnisses befähigt.
Seine zunächst so eigenartige, scheinbar total überflüssige Frage
„Willst du gesund werden“,
die gab den Anstoß.
Nicht irgendwelche Behinderung ist des Gelähmten größtes Leiden.
„Ich habe keinen Menschen“ – daran geht er zugrunde.
Das muss er wenigstens einmal so sehen,
das muss er wenigstens einmal aussprechen,
so ganz ohne Selbsttäuschung,
so ganz ohne eine rosarot eingefärbte fromme Brille.
Das ganze fromme System
von Engelglaube und Wasserbewegung hat versagt:
Es ließ ihn festgelegt – 38 Jahre lang,
38 Jahre Wüste – so nah am Wasser.

Man kann auch 38 Jahre lang in die Kirche gehen –
und festgelegt bleiben.
Man kann bei allen möglichen kirchlichen Aktivitäten mitmachen:
Ältestenkreis, Besuchsdienst und anderes ,
und dennoch dieses verdammt hartnäckige Gefühl:
Ich habe keinen Menschen.
Ich bin festgelegt.
„Willst du gesund werden?“
Der Behinderte am Teich Bethesda gesteht sich ein:
Mein ganzes religiöses System hat versagt,
meine Hoffnungen haben getrogen,
mein Glaube war Aberglaube,
erfahrene Liebe war letztlich kruder Egoismus.
Aber da steht JETZT einer vor ihm,
vor dem kann er sich das alles eingestehen.
Da steht jetzt einer vor ihm,
der macht ihm keine Vorwürfe
wegen seiner Selbsttäuschung.
Der reibt ihm nicht unter die Nase,
dass er verkehrt geglaubt hat,
dass er vielleicht sogar nicht einmal
wirklich hat gesund werden wollen.

Und weil der so total ohne Vorwürfe vor ihm steht,
kann er sich eingestehen, was sein tiefstes Problem war:
Er hat immer Menschen angebettelt,
die doch alle selbst Bettler waren.
Er hat Zuwendung von solchen erwartet,
die selbst danach gehungert und darum gebettelt haben.
Er hat Heilung erwartet von solchen, die doch selbst heillos waren.
Er hat darum andere immer maßlos überfordert –
und sie ihn.
Das alles kann er jetzt sehen,  einsehen und –
davon absehen, wegsehen, davon nicht mehr gebannt sein,
denn da steht der vor ihm, der ihm nichts vorwirft,
der ihn nicht wieder auf seine Vergangenheit festlegt.
Er hört von ihm kein „Du hättest...“,
auch kein „Du solltest....“,
sondern nur JETZT , jetzt steh auf,
steh auf gegen alle Festlegungen,
steh auf gegen alle „Auf-Teufel-komm-raus“-Hoffnungen,
steh auf gegen dein Betteln von Bettlern
und.....
schwelge im Reichtum von Gottes Freigiebigkeit!
Mach mit bei Gottes Aufstand gegen alle Festlegungen.
Diesen Aufstand proben – täglich – das ist christlicher Glaube.
Denn Christus hat ihm ja nicht einfach seine alten Hoffnungen erfüllt,
hat ihn nicht in den Teich getragen,
so wie er sich das 38 Jahre lang erträumt hat.
Manchmal muss man aufstehen:
Gegen die alten zerschlissenen Hoffnungen,
die nichts als Illusionen waren.
Manchmal muss man aufstehen:
Von den gewohnten Grundlagen, die so bequem waren,
weil sie die eigene Verantwortung leugneten.
Manchmal muss man aufstehen:
Gegen die eigenen Festlegungen und die der anderen Festgelegten.
Und da ist einer, nur einer,
der uns diese Art Aufstand glaubhaft proben lässt:
Der Auferstandene, der gegen den Festleger aller Festleger,
den Tod, aufgestanden ist.
Der kann einem sogar raten:
Nimm deine Pritsche,
nimm das Zeichen deines Festgelegtseins,
nimm‘s , und trag’s als Zeichen des Festes deiner Befreiung.
Vielleicht kriegt so noch mancher Lust auf diese Art Aufstand.
Aber da ist natürlich gleich ein Gegenaufstand:

Für alle Buchstaben-Religiösen gibt es nichts Störenderes
als einen Befreiten,
als einen, der auf alle tödlichen Festlegungen fröhlich pfeift.
Solange der Gelähmte festlag,  war er denen egal,
da hat er ihr System nicht gestört, da konnten sie für ihn beten.
Aber jetzt, wo er nicht festlag,
sondern fest feiern wollte und Grund dazu hatte,
das Fest der Festlegungsbefreiung zu feiern,
jetzt soll er wieder auf Buchstaben und Paragraphen festgelegt werden.
„Am Sabbat trägt man sein Leid, aber nicht das Zeichen der Befreiung!“
Zynismus pur!
Wie pervers ist doch dieser religiöse Typ.
Und wie wohltuend ist dagegen doch der Christus-Glaube:
Der Sonntag ist der Tag der Auferstehung,
der Tag, wo im Gottesdienst der Aufstand geprobt wird,
gegen den Buchstaben und für den Geist kindlicher Freiheit,
gegen die Illusionen und für begründete Hoffnung,
gegen den Tod in allen seinen Varianten
und für das Leben in seiner Vielfalt,
gegen die Herren und für den HERRN.
Und eben dieser HERR,
der Herr auch über den Tod jetzt und dann,
der rät dem Aufgestandenen:
Sündige nicht mehr!
Das heißt: Lasst euch nicht mehr festlegen,
weder auf abergläubische Illusionen,
noch auf Gott und Menschen verachtende Paragraphen,
weder auf das versäumte Gestern noch auf das ängstigende Morgen.
Jetzt
jetzt steh auf!
Du tust dann nur, was der Auferstandene bereits getan hat.
Jetzt steh auf.
Du tust nur das, wofür er es getan hat.
Jetzt steh auf,
und die Klage „Ich habe keinen Menschen“
wird in den Jubel verwandelt:
„Ich habe Menschen gefunden“
Denn Aufständische finden immer Gesinnungsgenossen
im und durch den Auferstandenen.
Und das feiern Christen jeden Sonntag.
AMEN

 

18. Sonntag n. Trinitatis 1991 - Markus 12,28-34

  • 28 Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen? 29 Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, 30 und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften« (5.Mose 6,4-5). 31 Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.
  • 32 Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Meister, du hast wahrhaftig recht geredet! Er ist nur einer, und ist kein anderer außer ihm; 33 und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. 34 Als Jesus aber sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.

Liebe Mitchristin,
lieber Mitchrist,
wenn Krücken knicken
und Fassaden fallen
dann fängst Du wieder an, Fragen zu stellen,
Fragen wie dieser Schriftgelehrte, der zu Jesus kam.
Fragen nach dem, was wirklich zählt
Fragen nach der Mitte
Frage nach den Prioritäten, sagt man heute in Neudeutsch.

Du bist ganz schön weit gekommen mit Deinen Krücken,
mit den Dingen an die Du Dich klammerst,
die Dich aufrecht halten, Dir Selbstwert vermitteln:
Da ist das Häusle, für das Du geschuftet hast,
die Vorzeige-Familie, in der alles in Ordnung ist,
die Position, auf die Du stolz sein kannst.
Sei dankbar für das alles,
lass es Dir von keinem madig machen
aber
bleib wach und offen
wenn etwas passiert, das Dich fragen lässt:
Ist das alles , oder gibt es Höheres, Zentraleres?

Für solche Fragen gibt's viele Auslöser:
Vielleicht hast Du morgens in der Zeitung
die Todesanzeige gesehen
von einem aus Deinem Jahrgang.
Ersticke nicht Deine Betroffenheit,
sondern gib Deinen Fragen Raum!
Vielleicht ist in Deinem Freundeskreis
eine Ehe zerbrochen.
Rede Dir nicht auf Teufel-komm-raus ein,
das könne Dir nicht passieren.
Lass getrost alles zu was Dich fragen macht
lass es ganz cool zu,
wenn Haus und Position Dir plötzlich als Krücken erscheinen
wenn die Fassade Deiner Rechtschaffenheit bröckelt,
denn in Deinen Fragen nach Letztgültigem
nach Bleibendem, nach Ewigem,
da winkt die Freiheit vom Gelebtwerden
und Leben, das den Namen verdient,
kommt Dir zum Greifen nahe.

Aber dann greif auch zu!
Lass die Fragen rumoren
aber bleib nicht an und in ihnen hängen!
Fragen verlangen nach Antworten.
Bleib nicht der ewige Frager um des Fragens willen
sondern such Antworten.
Aber wo?

Es ist recht selten, dass Du Dir die Antwort selbst geben kannst,
wenn Deine Frage echt und existentiell ist,
wenn sie etwas betrifft, was unbedingt angeht,
wie es der Theologe Paul Tillich formuliert hat.
Unser Mitfrager, der Schriftgelehrte aus dem heutigen Evangelium,
sucht die Antwort bei einem,
den seine Kollegen geradezu hassen.
Die stellen Jesus zwar auch Fragen, aber es sind Fangfragen
es sind rhetorische Fragen,

Aber er hat den Mut, auszuscheren aus seiner Zunft,
Fraktionszwang akzeptiert er nicht,
er riskiert es, Jesus zu fragen, echt zu fragen.
Ich habe keine Ahnung, lieber Mitchrist,
wie es Dir mit diesem Jesus geht,
ob Du zu ihm gehen würdest mit Deinen Fragen.
Ob er Dir genügend vertrauenswürdig, sympathisch
und lebenserfahren wäre.
Aber vielleicht geht es Dir wie den meisten,
die ich kenne:
Jesus mag zwar in manchem etwas steil,
extrem, außergewöhnlich oder einseitig sein,
aber sympathisch ist er sogar den meisten
meiner Berufsschüler in Mosbach,
die sich sonst nicht als fromm verstehen.
Lass Dich eben mal für ein paar Minuten darauf ein,
auf seine Antwort zu hören.
Du hast ja immer noch die Freiheit,
was er sagt, als Antwort für Dich abzulehnen.
Die Freiheit lässt er Dir, garantiert,
denn geistige Vergewaltigung war noch nie sein Stil,
das haben erst seine machthungrigen Nachläufer eingeführt.
Einseitig, einzigartig, ja einfältig
ist seine Antwort auf Deine Frage
nach dem Höchsten, dem Zentralsten:
LIEBE
Liebe in allen Beziehungen:
zu Gott, meinem Mitmenschen und zu mir selbst.
Das sei das Wesentliche
gegenüber dem alles andere
zweitrangig oder abgeleitet sei.
LIEBE
Mag sein, dass Du jetzt innerlich abschnallst,
weil Dir dies Thema entweder zu abstrakt
oder zu sentimental erscheint.
Mag aber auch sein,
dass du das Thema innerlich abhakst:
Das weiß ich schon -
nichts Neues!
Dann lass Dir allerdings sagen:
Es geht nicht ums Wissen
sondern ums Tun
und zum andern:
Das Schicksal Jesu beweist,
dass er Liebe weder abstrakt noch sentimental verstand,
sonst wäre er mit 84 im Bett
und nicht mit 30 am Kreuz gestorben.
Seine Liebe ist ihm teuer zu stehen gekommen,
weil sie so konkret, so direkt und unverbogen war.
Wenn er also von Liebe spricht,
dann meint er keinen schwülstigen Gefühlsschwall,
sondern ein parteiergreifendes und freiheitseröffnendes Handeln,
das sich an der Not des Nächsten
und nicht an meinen Gefühlen orientiert.

Erlaube mir, dass ich nun konkret werde,
dass ich direkt etwas anspreche,
was dieser Tage allen sensiblen Menschen auf der Seele brennt:
Stichwort Hoyerswerda und anderswo
Wenn's um Nächstenliebe ging,
war Jesus so konkret, dass er die
anstößige story erzählte von einem,
der unter die Räuber fiel
und halbtot am Wegrand liegenblieb.
Zwei Fromme gehen aus guten Gründen,
aber eben eiskalt, vorbei.
Ein Samariter, fast ein Ausländer, ein Andersgläubiger,
der hält, macht sich dreckig, nimmt Ausgaben auf sich,
versorgt ihn.
Der, der Samariter ist zum Nächsten geworden
hat Nächstenliebe geübt, sagt Jesus.

Was er wohl zu Hoyerswerda sagt?
Lass mich konkret bleiben:
Laß mich die Geschichte von Jajanath erzählen,
er ist Tamile und wohnte in Sri Lanka(Ceylon).
Als ich ihn traf, sah ich die Brandwunden an seinen Armen.
Singhalesischer Mob hatte sein Geschäft angezündet,
nur weil er der tamilischen Minderheit angehörte.
Tausende tamilischer Geschäfte wurden 1983 und danach
so niedergebrannt.
Regierungstruppen schützten die Brandstifter.

Jajanath's Frau hat man mehrfach vergewaltigt und dann
viehisch umgebracht.
Als er mir das alles und mehr erzählt
1984 auf einer Straße in Kandy,
da zittert er, denn die Erinnerungen sind schrecklich,
und die Zukunft ist schrecklich,
denn jeden Tag kann es wieder losgehen.
Er bettelt, er hat nichts mehr außer den
grauenhaften Erinnerungen und der nackten Angst.
Kommt Jajanath aber nach Hoyerswerda
oder in den Bahnhof von Boxberg-Wölchingen
dann ist er nur ein Asylant,
manche nennen ihn Wirtschaftsflüchtling,
manche nennen ihn Vieh,
wie am vergangenen Mittwoch es einer in der TV-Sendung
"Im Brenpunkt" tat.
Aber keiner kennt seine Geschichte,
keiner will sie kennen,
sonst könnte man ihn ja nicht mehr mit diesen
üblen Etiketten versehen.

Schau! Nächstenliebe heißt ganz nüchtern:
Einen und sein Schicksal näher kommen lassen.
Immer nur einen, nie die ganze entmutigende Masse.
Einen auf Boxbergs oder Wölchingens Straßen ansprechen,
so wie Du Deinen Nachbarn ansprichst:
S'is koold häut, gell!
Un for de Auslänner übersetscht halt:
Es ist ein wenig kalt heute, nichtwahr.
Vielleicht lässt er Dich wissen,
dass er immer friert, auch im Sommer, innerlich!
Oder einen der seelisch Kranken aus dem Altenheim ansprechen
Vielleicht kommt ein stockendes Gespräch in Gang.
Vielleicht hörst Du seine Geschichte.
Vielleicht werdet ihr Freunde.
Eins aber ist sicher:
Nie wieder wirst Du pauschal
über die in der Klapsmühl oder die Asylante reden können.
Nächstenliebe heißt: Einen und sein Schicksal anhören,
betreffen lassen, betroffen werden, mitleiden.
Das kannst Du tun,
Deine Gefühle ändern sich hinterher.
Aber die ändern sich wirklich, und das ist Deine Belohnung:
Für Dein banales, aber mutiges
"S'is koold häut" in Hochdeutschübersetzung
wird Dich einer lieben und verehren,
wird Dich von weitem grüßen,
wird Dir etwas aus seiner Heimat schenken
und Du... Du wirst dieses eigenartige,
wohltuende wärmende Gefühl in Dir spüren -
und dann is nimmi koold.
Und Du wirst merken,
dass Du gar nicht der sture Hund bist,
für den Du dich hieltest,
dass Du gar nicht so verklemmt bist
wie Du immer meintest.
Du wirst Dich wieder ein bisschen mehr lieben können,
weil da zwischen Dir und einem Mitgeschöpf Gottes
der Teufelskreis der Vorurteile gewendet
und ein Gotteskreis der Nächstenliebe lebendig wurde.
Und Deine Prioritäten werden sich ändern, ganz langsam:
Das Höchste sind nicht mehr Haus und Posten,
sondern Liebe, konkret und auf Bedürftigkeit bezogen.
Du brauchst keine Krücken mehr, du kannst gehen - frei
und Du brauchst keine Fassaden mehr,
Du hast ein neues Gesicht, ja eine Vision.
Und plötzlich wirst Du glauben können,
dass auch Dir gilt, was Jesus dem Schriftgelehrten sagte:
Du bist nicht fern vom Reich Gottes,
denn Du bist in die Nähe Jesu gerückt,
und diesen in ihm
sichtbar werdenden sympathischen Gott wirst Du lieben können
ohne Krampf, von ganzem Herzen.
Angst vor Gott,
Angst vor dem Ausländer,
Angst vor Dir selbst
werden zu Fremdworten werden,
das wünsche ich Dir und mir.
Amen.

                                                                                  

 18. Sonntag n. Trinitatis 1981

Markus 10, 17-27

  • 17 Und als er sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? 18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. 19 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.«
  • 20 Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. 21 Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! 22 Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
  • 23 Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen! 24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! 25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. 26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? 27 Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott

iebe Gemeinde,
der Verhaltensforscher Konrad Lorenz
hat in einem lesenswerten Buch
„Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“
solche Verhaltensweisen zusammengetragen und erläutert,
die den Menschen letztendlich kaputtmachen.
Die vierte Todsünde nennt er, des Menschen Wettlauf mit sich selbst. Er zeigt aus dem Bereich der Natur,
wie Konkurrenz zwischen den Arten diese lebensfähiger macht.
Ohne Katzen und andere Feinde wäre die Maus wohl nicht so flink. Wenn eine Art aber mit sich selbst in den Wettbewerb tritt,
so führt das in vielen Fällen
zu erschreckend abträglichen Entwicklungen.

 Lorenz zeigt dies am Beispiel des Argusfasans:
Ähnlich wie beim Pfau herrscht bei den Argusfasanen
zur Zeit der Balz (Paarung) Damenwahl.
Das Weibchen sucht sich den Partner,
der die schönsten Schwungfedern hat.
So stehen also die Fortpflanzungsaussichten des Argusfasans
 in einem ziemlich geraden Verhältnis zu der Stärke des Reizes,
den sein Balzorgan, seine Schwungfedern, auf die Hennen ausübt.
 In dieser Spannung durch den Wettbewerb der Art mit sich selbst, ändert sich das Erbgut:
 Die Schwungfedern werden länger und länger,
der Argusfasan kann dadurch den Weibchen besser imponieren.
 Aber: Er kann kaum noch fliegen!
Die überlangen Federn sind ihm im Weg.
Sein Imponiergehabe macht ihn nahezu flugunfähig.
Armer Argusfasan!
Dem Boden verhaftet – eigentlich zum Fliegen geschaffen!
Gebunden und behindert – ursprünglich aber leicht und frei!
Armer Argusfasan! Tragisches Schicksal!

Ein junger Mensch mit ähnlichem Schicksal sucht Jesus auf.
 Ein junger Mensch – zum Himmel berufen, aber der Erde verhaftet! Ein junger Mensch – für die Ewigkeit geschaffen,
aber der Zeitlichkeit verfallen!
Ein junger Mensch – Lösung – Erlösung –Freiheit –
seine Berufung und – seine Sehnsucht,
aber seine Erfahrung sind Gebundenheit und lähmende Schwere.
Ein junger Mensch – kein eingefleischter Materialist.
 Nein – an Gott glaubend, seine Gebote befolgend,
ewiges Leben suchend!
Sein Vater ebenfalls fromm, ebenfalls reich, meint:
„Danke Gott für Deinen Reichtum!
Deine Sparbücher, deine Liegenschaften,
sie halten dir den Rücken frei,
sie nehmen dir das Sorgen vor dem Morgen,
sie ermöglichen dir, Wohltäter zu sein.
Danke Gott dafür.“

 Aber dem Sohn fällt das Danken schwer.
Er ist nicht undankbar – nein!
Aber er hat das Gefühl, als ob sein Vermögen seine Sorgen,
seinen Stress nur vermehrte.
Er merkt nichts von freiem Rücken! Reichtum verpflichtet!
Aber unter diesen Pflichten leidet er, unter dem Druck,
 sich entsprechend zu kleiden, sich standesgemäß zu geben,
 das Vermögen zu mehren und zu sichern,
er wirft sich vor,
 nur aus einem verkrampften Pflichtgefühl heraus Wohltäter zu sein, nicht aus Liebe, Barmherzigkeit und Zuneigung.
Ein junger Mensch, die Berufung des ewigen Gottes verspürend – unter den behindernden zeitlichen Zwängen leidend.

 Von Jesus hat er gehört, auch von Leuten, die ihm folgten,
von Leuten, die sich von Bindungen befreiten,
von Leuten, die wieder fliegen –
Verzeihung, die wieder leben lernten.
 Leben mit Richtung und Sinn,
Leben vom Gesandten des ewigen Gottes zur Ewigkeit befreit.

Er begegnete getrosten Leuten, gewiss gemachten Leuten,
Leuten mit einem Schatz im Himmel.
Ihrem Lehrmeister will er begegnen,
von ihm will er das Geheimnis ewigen Lebens erfahren.
 Jesus verweist ihn auf die Gebote.
Mit offenem Blick sieht der junge Mann Jesus an –
mit gutem Gewissen antwortet er:
„Meister, das alles habe ich gehalten, von Jugend an!“
Das ist echt, das ist rührend, kein heuchlerischer Krampf,
 keine oberflächliche Selbsttäuschung!
Jesus gewinnt ihn lieb, er liebt dieses Echte, Gerade.
Er liebt diese Sehnsucht nach Befreiung.
Er will diesen Durst nach ewigem, nach echtem Leben stillen. 
Er will ihm die Tür zeigen, die es aufzustoßen gilt,
Jesus will ihm den Ballast zeigen, der auf ihm lastet – zeigen,
nicht nehmen!
Jesus will ihn
auf die überlangen Imponierfedern aufmerksam machen,
die ihn daran hindern, sich frei zu machen,
 die ihn ans Sein mit mangelnden Dimensionen binden.

 Jesus ruft: In die Nachfolge – auf den Weg des Lebens!
 Jesus lockt: Mit dem Schatz im Himmel
(hierauf müsste der reiche junge Mann anzusprechen sein).
 Jesus rät: Verkaufe, was Du hast!
 Jesus deckt auf: Den Armen hilft Dein Reichtum, dir aber schadet er!
 Also mache ein Geschäft, bei dem alle nur gewinnen können!

Aber die hoffnungsvolle Begegnung
wird zur gescheiterten Berufung.
Er wird kein weiterer Apostel, den wir von Kirchenfenstern,
vielleicht aber auch von biblischen Büchern kennen könnten.
Was hätte er, der einstmals am Reichtum hängende,
aber dann befreite,
uns, den am Überfluss erstickenden nicht alles sagen können.
Seine Briefe wären evtl. heute bedeutsamer
als die des Völkerapostels Paulus.

Aber die Berufung scheitert, die lästigen Federn, die Schwungfedern, die keinen Schwung mehr geben, sie sind einfach zu schön,
zu gewohnt, zu imponierend, um so rigoros beschnitten zu werden. Vielleicht war er sich doch nicht ganz im Klaren,
dass ihm die Imponierfedern der Zeitlichkeit
doch wichtiger und gewohnter waren als die Schwingen der Ewigkeit – vom Sohn Gottes verheißen.

In der konkreten Entscheidungssituation wird erschreckend deutlich, dass seine Habseligkeiten stärker zogen als die Seligkeit.
So kehrt er eben zu diesen Habseligkeiten zurück,
aber in dieser Wendung erfährt er keine Seligkeit,
kein Glück, keine Erfüllung, keine Befreiung.
Er ist niedergeschlagen und traurig.
Bonjour tristesse ist sein letztes Wort in seiner Begegnung
mit dem, der freudiges, ewiges Leben anbietet.
Auch Jesus ist tief bewegt.
Es bricht aus ihm heraus:
Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!

Kein Lehrsatz! Jesus doziert nicht!
Aber der traurige Abschied des jungen Menschen tut ihm weh!
 Er hatte ihn lieb gewonnen! Wie schwer….!
Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.

 

Wie schwer sind sie doch, die im Überfluss leben!!
Wie unbeweglich, wie gebunden, wie erdverhaftet!
Suchet, was droben ist!
Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit. Sie hören es, machen ein paar müde Flügelbewegungen
und geben niedergeschlagen und traurig auf.
Traurigkeit und Niedergeschlagenheit –
das deprimierende Schicksal derer im Überfluss.
Sie haben und wollen mehr, als sie zum Leben brauchen –
aber paradoxerweise ist ihnen gerade deshalb
der Weg zum Leben versperrt.

Die Berufung des jungen Menschen im Überfluss
und aus dem Überfluss ist gescheitert.
Im Licht der Ewigkeit ist er eine gescheiterte Existenz.
Zu Hause hört er sich wieder
des Vaters Lob – und Dankreden auf den Überfluss an.
Fromme Reden – aber im Überfluss  - eben überflüssige Reden.
 Hat der Sohn je wieder das Fliegen probiert?

Nun ist er also doch noch in die heiligen Schriften eingegangen,
 aber in welch traurigem Zusammenhang!
Die Geschichte vom reichen Jüngling macht die Runden
in den ersten Gemeinden Jesu Christi.
Sie wird weiter erzählt.
Für viele der ersten Christen ist es keine anstößige,
keine angriffige Geschichte,
denn das Problem des Überflusses hatten wenige unter ihnen.
Wenn sie das Wort Jesu vom beinahe unmöglichen Zugang
der Reichen zum Reich Gottes hörten,
so dachten sie an die Begüterten außerhalb der Gemeinde.
Aber nicht nur an sie,
denn es gab auch in den eigenen Reihen solche,
die sich einen gewissen Luxus leisten konnten.
Und die diskutierten das Wort Jesu über die Reichen unaufhörlich!
 Kann man dies Wort so stehen lassen?
Hat Jesus es wirklich so gemeint?
Man kann doch auch begütert sein und trotzdem Jesus nachfolgen, trotzdem ins Reich Gottes eingehen, trotzdem ewiges Leben erlangen! Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.
Die Diskussionen entbrennen auch an diesem Wort „Nadelöhr“. Vielleicht hat Jesus damit ein so genanntes kleines Tor
in Jerusalem gemeint?
Wir Reichen wollen auch ins Reich Gottes. Es muss möglich sein!
Bei Gott sind alle Dinge möglich!
Sind das die Stimmen,
die im zweiten Teil unseres Predigttextes zu Wort kommen?
Hören wir vielleicht hier nicht die Stimmen Jesu
und der ersten Jünger,
 sondern die der zweiten oder dritten Generation?

Das Evangelium nach Markus wurde ja erst Jahrzehnte nach Jesu Tod und Auferstehung niedergeschrieben.
 Warum sollte Jesus sein radikales Wort von Kamel und Nadelöhr beinahe im selben Atemzug so abschwächen
und auf Gottes Möglichkeiten verweisen?
Sonst ließ er seine radikale Botschaft
doch auch in ihrer ganzen Radikalität stehen (Beispiele).
Es ist doch ohnehin klar,
dass der Eingang ins Reich Gottes
 nicht im Bereich menschlichen Wollens und Vollbringens liegt.
Die Reichen wie die Armen
sind von Gottes heimsuchendem Liebeswillen abhängig.
Was soll also dieses Wort an dieser Stelle?
Und warum sollten die ersten Jünger, die ja alles aufgegeben hatten, also in keinster Weise im Überfluss lebten,
warum sollten sie so abgrundtief erschrecken
über Jesu Wort im Überfluss und seinen furchtbaren Folgen?

Die Frage also ist,
ob wir hier schon im NT
eine Jesu Wort abschwächende Diskussion miterleben.
Viele Bibelkenner glauben das,
es weisen noch andere Umstände darauf hin.
Die Diskussionen um Jesu hartes Wort vom Überfluss
 und vom verfehlten ewigen Leben
gingen weiter durch die Jahrhunderte.
Am heftigsten wird diskutiert zu Zeiten und in Gruppen,
 in denen Überfluss herrscht.
 Es wird diskutiert in Pfarrkonventen und Jugendkreisen,
 in Seminaren und Familien.

Und, liebe Gemeinde, Hand auf´s Herz,
sind nicht auch wir geneigt,
nach kurzem und oberflächlichem Erschrecken
uns wieder zu erholen,
und in frommer Manier den letzten Satz des Predigttextes zu zitieren: Bei Gott sind alle Dinge möglich –
um dann bequem in die Bank zurückzusinken
und ohne Änderung von Sinn und Lebensstil weiterzuwursteln, letztendlich traurig und niedergeschlagen?!
Am Boden bleibend –
sich nicht erhebend in neue, ewige Dimensionen!
 Lebenshunger – aber mit Brechreiz in der Seele!
Von Wohltaten redend –
aber widerwillig überflüssige Reste verteilend.
Das freisprengende Dynamit dieses Angebotes Jesu
zerdiskutierend
(Alles verkaufen – das kann doch nicht gemeint sein).

 Kein Text zum Diskutieren.
Es kommen ja doch nur faule Ausreden heraus.
Anleitung zum Fliegen!
Die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft,
dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.
Nachfolger Jesu sind keine lahmen Argusfasane.
 Ihnen liegt am Fliegen, nicht am Imponieren.
Der Schatz im Himmel lockt.
Lasst doch die frommen Schwätzer einen teuren Orientteppich kaufen – der Jünger Jesu gibt etwas her für Gottes arme geplünderte Erde
und kauft sich eine Wärmepumpe,
auch wenn sie sich in hundert Jahren nicht amortisiert.
Macht doch teure Reisen in ferne Länder –
der Jünger Jesu finanziert einen lebensnotwendigen Brunnen –
auch in fernen Ländern.
Lasst doch die im Überfluss lebenden
sich ausgefallene und überflüssige Klunker suchen:
Einer fehlt ihm noch – ein Steinchen von einem anderen Stern!!!
Der Jünger Jesu wird Christi Wort „Eins fehlt dir noch“
nicht los.
 Er diskutiert nicht weg – aber den Ballast seines Lebens wird er los.  Gezogen von Gottes Ruf zu ewigem Leben,
wirfst er manchen Plunder über Bord
 und stellt erleichtert fest: I
ch hab nichts verloren, sondern gewonnen.
In diese Erfahrung ruft der lebendige Christus.
Es ist kein Befehl,
sondern ein Chancen eröffnender liebevoller Ruf.
Das ist unsere Berufung –
soll sie scheitern wie beim reichen Jüngling?
Soll sie scheitern an unseren erdverhafteten Ausreden?
Sollen wir die Ewigkeit verfehlen?
Nur wegen lumpiger, vergänglicher und überflüssiger Nichtigkeiten?

 

21. Sonntag n. Trinitatis 2006


Jeremia 29, 1,4-7,10-14

4 So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels, zu den Weggeführten, die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen: 5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; 6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. 7 Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl.
10 Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. 11 Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe das Ende, des ihr wartet. 12 Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten und ich will euch erhören. 13 Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, 14 so will ich mich von euch finden lassen, spricht der HERR, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der HERR, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.

Sein Lebensanfang signalisierte schon:
Hier bist du nicht willkommen, hier ist kein Platz für dich.
Mit 12 benahm er sich befremdlich, folgte seinen Eltern nicht,
wurde von Ihnen nicht verstanden, diskutierte mit Theologen.
Noch mehr ins Abseits geriet er,
als er Wasser zu Wein wandelte und nicht umgekehrt,
als er die Frommen
getünchte Gräber und Schlangenbrut nannte,
und als er meinte, Gott sei wichtiger als Gesetze.
Und als er dann eine Ehebrecherin in Schutz nahm,
Frauen als seine theologischen Schüler zuließ
und sich weigerte,
ein politischer Befreier für sein unterdrücktes Volk zu werden
Da war es nur verständlich,
dass man diesen beunruhigenden Fremden loswurde,
ihn zum Kriminellen stempelte und umbrachte,
vorher noch verraten durch eine Kuss
und verleugnet von einem großmauligen Schüler.

0 Jesus, du warst ein Fremder in unserer Welt,
kaum jemand machte sich die Mühe, dich zu verstehen,
wer dir zujubelte tat es aus Gründen,
die mit dir und deinen Ideen nichts zu tun hatten,
Zuneigung fandest du nur
bei Gescheiterten und kindlichen Gemütern.
„Er kam in sein Eigentum,
aber die Seinen nahmen ihn nicht auf"
Ein befremdlicher Fremder
erleidet die Bedingungen der Fremde.

Das ging so weit, dass er den Schrei ausstieß:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Und diesen Fremden verehren wir als unsern Herrn -
Befremdlich, wo wir’s doch sonst nicht so mit Fremden haben.

Gut 600 Jahre vorher
war beinahe sein ganzes Volk in der Fremde,
im sog. Babylonischen Exil.
Nebukadnezar hatte es satt, dass dieses kleine Völkchen
immer wieder die Seiten wechselte:
Einmal wollten sie den Schutz der Ägypter gegen die
Babylonier, dann wieder umgekehrt.
Und der babyl. König besetzte nicht das Land zur Strafe,
sondern deportierte seine Einwohner nach Babylon,
in zwei Wellen, erst die Oberschicht, dann das gemeine Volk.
Und dort saßen sie an den Wassern von Babylon,
wie Boney M das erfolgreich besangen, und litten.
Sie litten in der Fremde, an der Fremde,
hatten zwar viel Freiheit dort,
wollten oder konnten diese aber kaum mit Leben füllen:
Die Fremde lähmte sie in allen möglichen Bereichen,
auf alle möglichen Weisen.
Und da kommt ein Brief von einem Mann namens Jeremia.
Und der Brief fängt steil an:
„So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels"
(Text verlesen)

Jeremia sagt also nicht: Mein Tipp für euch im Exil wäre
auch nicht: Die Lage fordert dies und das
und schon gar nicht: Überlegt mal selbst .
Nein - „So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels"
Das ist eindeutig - Zweifel unerwünscht.
Baut Häuser, pflanzt Gärten, zeugt Kinder!
Richtet euch ein für längere Zeit -‑
ihr bleibt ein ganzes Menschenleben in der Fremde.
Klare Worte, Worte des Sprachrohrs Gottes, des Propheten.
Wie gut hatten die es damals, so möchte man denken:
Wer wirklich Gottes Willen wissen wollte,
der musste nur auf seine Propheten hören.
Aber heute scheint alles komplexer und verwirrender.
Lassen Sie uns mal nachdenken:
Wir sind hier zusammengekommen, um Gottes Wort zu hören,
so sagt man doch, oder nicht?
Als biblischer Text ist uns für den heutigen Sonntag das
prophetische Wort des Jeremia gegeben, das Wort Gottes.
Also hören wir auf die Worte des alten Propheten.
Und? Haben wir dann Gottes Wort gehört?
Wissen wir danach Gottes Willen, für uns, für heute?
Sollen wir die Worte des Jeremia einfach 1:1 umsetzen?
Wenn da steht: Baut Häuser, pflanzt Gärten, zeugt Kinder,
dann dies einfach tun? Ist dann Gottes Wille erfüllt?
Oder suchen wir uns einfach den Vers aus, wo es heißt:
Ich habe Gedanken des Friedens über euch!
Das passt immer, das tut immer gut, meinen viele.
Aber ist es auch immer das, was Gott uns jetzt sagen will?

Der macht's heute aber kompliziert, seufzt mancher jetzt.
Und was ist, wenn ich's nicht kompliziert MACHE?
Wenn es schon immer kompliziert war?

Stellen Sie sich vor,
selbst in Jeremias Tagen war es nicht einfacher als heute.
Da gab es nämlich zeitgleich mit Jeremia einen,
der sagte auch: „So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels"
genau wie Jeremia, aber er predigte das genaue Gegenteil!
Er hieß Hananja, sagte, die Zeit in der Fremde sei bald vorbei,
Konsequenz: Richtet euch nicht ein in der Fremde,
haltet euch startbereit für eine baldige Heimkehr.
Und wer von beiden ist nun Sprachrohr Gottes,
wer von beiden verkündet Gottes Willen?

Wir brauchen die Daimler-Teststrecke, die einen!
Wir dürfen sie nicht bauen, die andern.
Ich habe das damals nur aus der Ferne mitbekommen,
aber ich hatte manchmal den Eindruck,
dass beide Seiten Gott auf IHRER Seite wähnten.
Oder hat gar keiner danach gefragt,
wirklich gefragt, bereit, die EINE Wahrheit zu suchen?
Ja, man kann für jede Meinung Belege in der Bibel finden.
Nicht, weil die Bibel so ein konfuses Sammelsurium wäre,
sondern weil unsere Herzen und Sinne so verkorkst sind,
interessengeschädigt, den kurzfristigen Erfolg im Visier,
die langfristigen Konsequenzen verdrängend.

Wenn wir also herausfinden wollen,
was Jeremias Worte für uns heute bedeuten,
so müssen wir wohl fragen,
ob auch wir in einer Babylonischen Gefangenschaft,
in der Fremde sind.
Offensichtliche sind wir heute im buchstäblichen Sinne
nicht in der Fremde.
daher kann realer Häuserbau und Familienplanung wohl kaum
das Gebot der Stunde aus diesem Jeremia-Text sein.

Es könnte sein, dass wir tatsächlich in einer Art babylonischer
Gefangenschaft existieren, das ist meine Befürchtung.
Aber unsere heutige Gefangenschaft, unsere heutige Fremde
ist ganz anderer Art, als die Israels vor 2600 Jahren.
Was mich seit Jahren umtreibt,
ist die Beobachtung, dass Jesus in seiner doch fromm
geprägten Welt ein Fremdkörper war,
wir aber heute als Christen nicht Außenseiter sind
und schon gar nicht verfolgt werden.

Wir verstehen uns als Nachfolger Jesu Christi,
aber hieße das nicht, dass dann auch unser Schicksal
Fremdsein, Benachteiligung und eine Art Mobbing sein müsste?
Das ist aber nicht der Fall.
Woran könnte das liegen?

Weil ich nicht mehr viel Zeit habe,
möchte ich nur kurz eine mögliche Erklärung andeuten,
 und Sie können, wenn Sie wollen,
zuhause weiter darüber nachdenken.
Ich befürchte, dass bei uns niemand mehr Gottes Willen sucht,
mit der Bereitschaft, ihn auch zu TUN.
Ich befürchte, dass auch wer die Bibel kennt,
in seinem Leben Bereiche hat,
in die er Gott nicht hineinreden lässt.
Ich befürchte, dass die Meinung von Hinz & Kunz
meist mehr Einfluss auf unser Leben hat,
als Gottes im Leben und Leiden Jesu Christi offenbarter Wille.
Dann ist klar, dass Jesu Fremdsein uns fremd ist.
Dann ist unsere Fremde,
dass wir von unserem Herrn entfremdet sind.

Ihr sucht der Stadt Bestes,
wenn Jesus, und nicht Hinz und Kunz,
das Sagen bei euch hat,
so könnte Jeremias Wort Gottes heute lauten,
für uns in der Babylonischen Gefangenschaft.
Amen

 

 

 

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