Septuagesimä 1984 |
Römer 9, 14-24 |
Gottes willkürliche Treue |
Septuagesimä 2011 |
Lukas 17, 7-10 |
Vom Selbstverständnis der Christen |
Sexagesimä 1986 |
Hebräer 4, 12-13 |
Die Kirche muss unter’s Messer |
Sexagesimä 1987 |
Markus 4, 26-29 |
Der hohe Preis von Ansprechbarkeit |
Estomihi 2003 |
Markus 8, 31-38 |
Du meinst nicht was göttlich ist |
Invokavit 1985 |
Offenbarung 21, 1 |
Chaos und Kosmos |
Invokavit 1989 |
Lukas 22, 31-34 |
Wenn der Hahn kräht |
Lätare 2001 |
Johannes 6, 47-51 |
Lebenshunger |
Judika 2004 (…. Die Unvollendete) |
Hebräer 5, 7-10 |
Die Unvollendete |
Judika 1989 |
Johannes 11, 47-53 |
Wenn der Nutzen als Gott verehrt wird |
Palmsonntag 1987 |
Lukas 7, 36-50 |
Eine buchstäblich anstößige Frau |
Karfreitag 1989 |
Matthäus 27, 31-50 |
Um Gottes Willen,steht ihm keiner bei!? |
Ostern 1995 |
Matthäus 28, 1-10 |
Ist Matthäus ein Hollywood-Autor? |
Quasimodogeniti 1990 |
Jesaja 40, 26-31 |
Huhn oder Adler |
Quasimodogeniti 2005 |
Johannes 21, 1-14 |
Wie lange dauert Ostern? |
Miserikordias Domini 2008 |
Johannes 10, 11-16 |
Eine gestörte Idylle |
Kantate 2006 |
Apostelg. 16,23-34 |
In tiefster Nacht |
Kantate 2009 |
Matthäus 11, 25-30 |
Der Heilandsruf |
Rogate 2003 |
Lukas 11, 5-13 |
Der bewegte Beweger |
Himmelfahrt 1978 |
Kolosser 3, 1-4 |
Gott in der Höhe – Gott in der Tiefe |
Pfingsten 2002 |
Römer 8, 1-2;10-11 |
Verdammt nochmal |
Pfingsten 1983 |
Johannes 4,19-26 |
Theologische Diskussion als Flucht |
Pfingsten 2008 |
Apostelg. 2, 1-13 |
Mit einer Liebesgeschichte fing es an |
Pfingst-Montag 1990 |
Genesis 11,1-9 |
Babel ist überall |
Septuagesimä 1984 - Römer, 9, 14-24
- 14 Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! 15 Denn er spricht zu Mose (2.Mose 33,19): »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.« 16 So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. 17 Denn die Schrift sagt zum Pharao (2.Mose 9,16): »Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.« 18 So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. 19 Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? 20 Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so? 21 Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen? 22 Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren, 23 damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit. 24 Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.
Kaiser, wie viel Schritte schenkst du mir? Ein Kinderspiel! –
Sie kennen es wahrscheinlich auch.
In unserer Gegend nennt man dies Spiel zuweilen auch
„Mutter, Mutter, wie weit darf ich reisen?
Ein Kind ist Kaiser oder Mutter.
Die anderen Mitspieler stehen in einiger Entfernung und fragen demütig der Reihe nach: Kaiser, wie viel Schritte schenkst Du mir?
Und nun liegt es ganz im Ermessen des Kaisers,
wie weit er die einzelnen Mitspieler näher zu sich kommen lässt.
Er kann Elefantenschritte, aber auch nur Gänsefüßchen gewähren,
er kann einen bezeichnenderweise ins Himmelreich kommen lassen, aber auch zurück zum „Gänse füttern“ schicken.
Es liegt alles an des Kaisers oder der Mutter Wohlwollen,
ob nun einer vorrückt oder zurück muss,
ob einer sich lange in der Nähe des Ausgangspunktes herumquälen muss…
oder ob einer- was eigentlich noch schlimmer ist- sich immer nur wenige Schritte vor dem Ziel geringfügig hin- und herbewegen darf – ohne je wirklich ins „Himmelreich“ zu kommen, um den Kaiser abzulösen und des Vorgängers Willkür zu überbieten.
(„Darf ich?“).
Meine Töchter haben dieses Spiel zusammen mit anderen zuweilen im Hof gespielt - Gerade, wenn eine der beiden nie recht zum Zuge kann, weil der Kaiser eben andere bevorzugte,
hätte es mich manchmal gereizt,
rauszugehen, um meine Kinder von der absoluten Dummheit des Spiels zu überzeugen und sie von der Willkür des Kaisers zu befreien. Ich habs nie getan, denn eins war immer deutlich:
Die Kinder, und zwar nicht nur der Kaiser, spielten mit Begeisterung
An dieses Kinderspiel musste ich denken,
als ich einzelne Verse aus dem heutigen Predigttext las (Vv.16. 18, 20-21 zitieren!)
Treibt denn Gott sein Spiel mit uns?
Der eine strampelt sich ab und kommt nie zum Ziel –
ein anderer lehnt sich lässig zurück und macht dennoch das Rennen!!!??? Nun ja, wenn das im Leben so ist – das kann ja noch angehen.
Aber wenn es um unsere ewige Bestimmung geht – um das Himmelreich??!! Das riecht doch nach Willkür!
Und der Geruch ist uns doch zuwider!
Willkür! Handeln ohne berechenbare und faire Maßstäbe!
Da ist doch keiner unter uns, der in Schule, Beruf, Familie oder sonst wo nicht schon unter der Willkür von Lehrern, Vorgesetzten oder Familienmitgliedern gestöhnt hätte.
Wird man willkürlich behandelt, so weiß man nicht, warum man diese Zurücksetzung oder jene Benachteiligung verdient hat.
Und je mehr einer unter uns unter der Unberechenbarkeit anderer gelitten hat, desto stärker wird sein Widerwille sein auch gegenüber Aussagen von Gottes Vorausdenken!
Doch hier liegt doch eigentlich schon das Problem:
Die Erfahrungen eines Menschen mit einem anderen werden übertragen auf Gott.
Diese Übertragungen sind doch schon unter Menschen höchst unfair und gefährlich (Beispiel mit meiner Reaktion auf das Spiel „Kaiser“ der Kinder – meine Erfahrungen von Willkür auf das Spiel übertragen!!! Andere Situationen).
In unserem Text geht es um Gottes Vorausdenken
über das wir nachdenken dürfen,
es kann aber eben nur ein Nachdenken sein.
Im Nachdenken über Gottes Vorausdenken wurden wir gerade an den ersten wichtigen Gesichtspunkt erinnert, den es zu bedenken gibt:
1. Das echte Nachdenken über Gottes Vorausdenken geschieht vor Gott.
Gottes Vorausdenken ist eine Wahrheit des Glaubens.
Glauben aber ist eine Beziehungssache,
also darf über Gottes Vorausdenken nicht beziehungslos spekuliert oder situationsvergessen diskutiert werden.
Vor Gott nachdenken heißt: Betend nachdenken!
So kann Gott selbst alles abschirmen, was unser Nachdenken verdrehen könnte: die miesen Erfahrungen mit Menschen und ihrer Willkür, von der Gott Lichtjahre weit entfernt ist.
Auch Paulus denkt vor Gott nach, denn die Kap. 9-11 des Römerbriefes, denen unser Predigttext entnommen ist,
bilden eine Einheit und sind an Anfang und Ende von des Apostels anbetendem Lobpreis umschlossen!
Geschieht Nachdenken über Gottes Vorausdenken vor Gott,
so geschieht Befreiung von unbedachten Übertragungen auf Gott und auch Befreiung von der Schein-Logik menschlichen Denkens, das, wenn es um Gott geht, immer um einige Dimensionen zu arm ist.
Das Nachdenken über Gottes Vorausdenken geschieht vor Gott,
damit keine unbedachten Übertragungen geschehen,
aber es kommt nicht ohne Gleichnisse aus unserer Erfahrungswelt aus:
Dabei kann deutlich werden:
2 Nicht alles, was nach Willkür aussieht, ist es auch.
Wenn zwei das Gleiche tun, so ist es noch lange nicht dasselbe (Beispiele: Verbot von Süßigkeiten für das Kind, Kind erlebt es im Vergleich zu andern Kindern, die Süßigkeiten essen dürfen, als reine Willkür) Kind Himmel Hölle! (Ohne Vergleich – kindl. Vertrauen) Wenn das schon unter Menschen gilt, wie viel mehr zwischen Gott und Mensch.
3. Unser öffentliches Nachdenken über Gottes Vorausdenken muss ein seelsorgerliches Ziel haben
(Beispiel des Paulus: Heidenmission – Israels Ablehnung Jesu Christi – Heiden: Können wir auch Erwählte Gottes sein?
Juden: Hat Gott seine Erwählung aufgegeben?
Seelsorgerliche Antworten!
Was aber ist nun das seelsorgerliche Anliegen der Botschaft von Gottes Vorausdenken für uns?
Unser Nachdenken über Gottes Vorausdenken soll und kann bewirken,
dass der Pharisäer in uns untergeht,
damit der Jünger in uns auferstehen kann! (Iwand).
Nur wenn der Pharisäer in uns in den Tod gegeben wird, kann der Jünger in uns auferstehen.
Das Gefährliche am Pharisäer in uns ist, dass er absolut fromm ist.
Er nimmt Gott sehr ernst – sich selbst aber auch!
Es geht ihm um Gottes Ehre – aber die seine soll auch nicht zu kurz kommen.
Er rühmt Gottes Gnade und Barmherzigkeit –
freut sich aber auch besonders über seinen Beitrag zu seiner Rettung. Wie gesagt, das ist keine Beschreibung irgendeines Einzelnen, sondern von dem Gespenst unserer selbst gestrickten Frömmigkeit,
die sich Gottes Wirken entgegenstellt.
Wer glaubt, der Pharisäer in uns sei durch die Bekehrung ersäuft,
kann bald wie jener Bruder aus einer Gemeinschaft mit Schrecken feststellen:
Das Aas kann schwimmen!
Er beobachtet: Es gibt Glaubende und nicht Glaubende!
Ich habe mich geöffnet, bin gefolgt, habe mich bekehrt etc.
Er kommt zu dem Schluss:
Die Eigenbeteiligung macht den Unterschied! Wie bei der Kasko-Versicherung: Je mehr Eigenbeteiligung, desto billiger! Billige Gnade! So wird Gott zum billigen Jakob! Aber Gott teilt seine Ehre mit keinem Menschen – besonders nicht wenn es um die Rettung von Menschen geht!
Das tut sein Sohn allein! Ohne mein Zutun! Ja, ohne dein Zutun!
Aus reinem Erbarmen! O wie tut das dem Pharisäer in uns weh!
Es könnte sein Todesstoß sein! Jetzt könnte der Gott ganz vertrauende und ihn allein lobende Jünger verstehen.
Aber der Bursche ist hartnäckig.
Jetzt wird offenbar, dass der Pharisäer nicht länger oder überhaupt nicht Gottes Vorausdenken nachdenken möchte,
sondern aus dem Nachdenken wird ein Vorschreiben:
Lieber Gott, nach meinem Gerechtigkeitsgefühl ….
Er denkt scheinbar fürsorgend an andere:
Gott, du kannst doch nicht einfach so bestimmen,
dass einer ein Gefäß zu Ehren, etwa eine Orchideenvase ist,
und der andere ein Gefäß zu Unehren, also vielleicht ein Nachttopf! Wenn einer Orchideenvase wird - dann aus Eigenbeteiligung,
wenn einer Nachttopfwird - dann aus eigenem Verschulden!
(Ehre –Unehre – aus menschlicher Sicht).
Wie sträubt sich doch der Pharisäer gegen den Gedanken von Gottes freier, souveräner Gnadenwahl!
Es könnte sein Leben kosten! Aber das soll es ja gerade!
Sonst kann der Jünger nicht auferstehen!
Und auf einmal steht der Pharisäer in uns da,
er wähnt sich gerechter als Gott, fürsorgender als Gott,
ja sogar liebevoller als Gott –
Er stellt sich selbst hin und wähnt sich als Vorbild für Gott!
Wird er nun erkannt als der satanische Betrüger!?
Möchte ich, dass er stirbt?
Ja – er soll zerbrechen immer wieder – zerbrechen an Gottes souveräner Barmherzigkeit.
In ihr liegt Trost für die Angefochtenen und heilsame Verunsicherung für die Selbstsicheren.
Beides geschieht aus Gottes Sorge, seine Fürsorge um unsere Seele
Amen
Septuagesimä 2011 - Lukas 17,7-10
Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? 8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken? 9 Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? 10 So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
Liebe Gemeinde,
es gab mal eine Zeit in meinem Leben,
so zwischen 14 und 20,
da nannte man mich Kamerad Ulshöfer, das war beim Roten Kreuz,
auch Kollege Ulshöfer wurde ich genannt, und zwar in der Gewerkschaft
und schließlich war ich auch der Bruder Ulshöfer, bei den Liebenzellern.
Das kam mir manchmal lustig vor,
denn ich ich war doch immer und überall derselbe Helmut Ulshöfer.
Und manchmal kam es zu interessanten Anreden,
zum Beispiel wenn es den Jungschar-Buben komisch vorkam,
mich Bruder zu nennen.
Dann war ich für sie ab und zu der Herr Bruder.
Kamerad, Kollege, Bruder, wie auch viele andere ähnliche Begriffe
sind ja nicht vorrangig Anreden.
Nein, sie bringen eine besonders geprägte Beziehung zum Ausdruck.
Wer mal mit anderen RK-Helfern zu einem schweren Unfall kam,
wer diese erste Hilflosigkeit,
dann aber auch das gemeinsame konkrete Helfen,
das aufeinander Angewiesensein erlebt,
der weiß, warum er und die anderen Helfer sich als Kameraden verstehen.
Und so ist es auch mit Kollege und Bruder;
es sind besonders geprägte Beziehungs-Begriffe.
Jeder hat seinen eigenen inneren Klang,
ja, jeder schafft eine bestimmte Atmosphäre, bestimmte Gefühle,
ein gewisses Selbstverständnis.
Es kommen also nicht vorrangig Funktionen zum Ausdruck,
sondern Einstellungen, Bilder von sich und den andern.
War ich unter Kameraden nahm ich mich selbst anders wahr
als unter Brüdern oder unter Kollegen.
Und ich hab die andern auch anders gesehen.
Und man hat in jedem Kontext eine andere Sprache gesprochen.
Ja, in gewissem Sinn hat man sich anders verhalten,
weil man sich selbst und die eigene Rolle
in jeder Umgebung anders verstanden hat.
Welches Selbstverständnis man von sich hat
wirkt stark auf die Gefühle, das Tun und das Reden.
Im für den heutigen Sonntag vorgeschriebenen Bibeltext
konfrontiert uns Jesus als seine Jünger mit einer harten Forderung:
Versteht euch als Sklaven – und zwar als unnütze!
Nix Kamerad, nix Kollege, nix Bruder.
Auch nix Kind oder Geschöpf Gottes.
Nein, versteht euch als unnütze Sklaven.
Hören Sie selbst aus Lukas 17, 7-10:
(Textlesung)
Wie bitte, möchten wir ausrufen, das ist merkwürdig?
Deshalb schaue ich als gelehriger Schüler von Klaus Berger nochmals hin
Er hat mir beigebracht, dass merkwürdige Worte Jesu merk-würdig sind.
Jesu Gleichnis besteht zunächst aus drei rhetorischen Fragen:
Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch?
Antwort der Hörer Jesu wie aus einem Mund: Natürlich niemand!
Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken?
Antwort der Hörer Jesu wie aus einem Mund: Aber natürlich!
Die dritte:
Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war?
Antwort der Hörer Jesu: Niemals!!
Da sind sich alle einig, bei allen drei Fragen Jesu:
Genau so geht’s zu zwischen Herren und Sklaven.
So isses!
Das alles ist für Jesu Hörer selbstverständlich – nur für uns nicht!
Wir regen uns schon über die drei rhetorischen Fragen Jesu auf.
Nur als Nebenbemerkung sei gesagt:
Ob wir wirklich Grund haben uns aufzuregen weil unsere Zeit so viel aufgeklärter und demokratischer und emanzipierter sei,
ist nicht so sicher.
Es könnte ja sein, dass die Sklaven-Herren-Beziehungen heute
nur verborgener, hinterhältiger und besser verbrämt sind.
Aber das ist eine andere Baustelle.
Jesus hat also seine Zuhörer durch geschickte Fragen
dahin gebracht, wo er sie haben wollte:
Sie sollen ein bestimmtes Verhalten zwischen Herren und Sklaven
als völlig selbstverständlich bejahen.
Auch seine zwei Ausflüge ins Reich der Fantasie
- dient der Herr zu Tische oder dankt er dem Sklaven -
haben dieselbe Stoßrichtung:
Es ist normal und völlig selbstverständlich,
dass der Sklave dem Herrn seine völlige Arbeitskraft schuldet,
für Dank oder sonstige Erwähnung der Leistung besteht kein Grund.
Das ist unerträglich für uns Heutige,
aber der eigentliche Hammer kommt erst noch,
und zwar für damalige und für heutige Hörer des Gleichnisses:
So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
So wie ich mich beim Roten Kreuz als Kamerad,
bei den Liebenzellern als Bruder und in der Gewerkschaft als Kollege verstanden habe,
so soll ich mich vor Gott als Sklave verstehen.
Im Vergleich zu Sklave sind Kamerad, Bruder und Kollege
ja recht angenehme Varianten von möglichen Selbstverständnissen
Da sträubt sich doch alles in uns gegen dieses Wort Jesu.
Das passt doch auch nicht zu allem wie er sonst seine Nachfolger sieht
als Kinder oder Geschöpfe Gottes.
Oder, wenden Bibelfeste ein, Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße,
der Herr verhält sich wie ein Sklave, seine Schüler werden Herren.
Das passt doch nicht zusammen mit dem heutigen Predigttext..
Aber der nachdenkliche Teil in mir beobachtet:
Wie oft passen scheinbar gegensätzliche Dinge zusammen,
gehören manchmal sogar zusammen!
Passen nicht Güte und Strenge wunderbar und notwendig zusammen?
Zunächst überwog bei mir allerdings auch das kritische Fragen
Aber im Verlauf der Jahre habe ich gelernt,
dass harte Worte Jesu mehr Wahrheit und Schönheit in sich haben
als die einschmeichelndsten Weisheiten mancher Schönredner.
Wie oft wollte ich bei der Predigtvorbereitung
auf einen andern Bibeltext als den vorgeschriebenen ausweichen,
weil der zu hart, zu unangenehm, zu ärgerlich war.
Und jedesmal hab ich nach quälenden Stunden
der Beschäftigung mit einem sperrigen Wort Jesu gemerkt:
Das Wort ist eine Kostbarkeit und tut mir sooo gut.
Und ich greife jetzt vor wenn ich Ihnen verrate,
dass es diesmal mit dem anstößigen Wort vom Sklaven wieder so war. Sie werden denken: Der ist total meschugge
wenn ich Ihnen sage:
Ich habe entdeckt, dass es in diesem Wort vom Sklaven
paradoxerweise um Freiheit geht,
dass darin wunderbare, echte und nachhaltige Freiheit zu finden ist.
Wenn das nicht faszinierend ist:
Verstehst du dich als Sklave vor Gott findest du Freiheit.
Aber wie soll das zugehen?
Es geht eindeutig und allein um unser Selbstverständnis vor Gott.
Jesus will also nicht, dass wir uns vor Menschen als Sklaven verstehen.
Das Dumme ist nur:
Wir brauchen immer Bilder und Vergleiche
vom Menschen und seinem Leben
um Gott auch nur annähernd zu verstehen.
Jesus selbst braucht ja Gleichnisse,
Vergleiche aus dem Leben der Menschen,
um Gott und sein Reich verständlich zu machen.
Also wage auch ich, von Menschen zu reden,
will damit aber etwas verständlich machen,
was Gott betrifft, was vor Gott gilt:
In der eingangs bereits erwähnten Zeit bei Roten Kreuz
erlebte ich so mit 17 oder 18 etwas sehr Eindrückliches:
(nicht geehrt, obwohl seit 50 Jahren beim DRK)
Noch viele Jahre erlebte ich diese Frau als ein Häuflein Elend:
Sie fühlte sich sooo verletzt, übergangen, beleidigt.
Und das änderte sich auch nicht,
nachdem man die Ehrung nachgeholt hatte.
Und irgendwann kam für mich der Riesen- Schock
als es mir dämmerte, dass ich auch so bin, wenigstens manchmal.
Manchmal ein Sklave von Anspruchs-Denken und Ehrenkäserei.
Wie kann man doch leiden unter nicht genügender Beachtung!
Wie kann man sich doch erniedrigen und zum Bettler werden,
wenn man meint, zu kurz zu kommen!
Wie kann man doch beinahe kaputt gehen,
wenn man meint, es wird einem verdiente Ehre vorenthalten!
Das ist wahrhaft Sklaverei.
Die Sklaverei des überzogenen Anspruchs.
Die Knechtschaft der ehrenkäsigen Bettlerei.
Die Abhängigkeit von Lob, von Dank, von Würdigung.
Wie ist das doch alles so entwürdigend, so kleinlich, so beschämend.
Und da hinein erklingt Jesu Ruf in die Freiheit:
Sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
Es ist als wollte Jesus sagen:
Ihr müsst umdenken,
wenn ihr vom versklavenden Anspruchsdenken frei werden wollt.
Eine neue Sicht der Dinge braucht ihr zu eurer Freiheit.
Am besten ihr fangt in eurem Glauben an,
erneuert euer Selbstverständnis vor Gott,
das wird sich dann auswirken auf euren Alltag.
Wollt ihr frei werden von der Sklaverei der Ansprüche von Menschen,
dann gebt zuerst eure Ansprüche vor Gott auf.
Denn wenn ihr ehrlich und unverkrampft seid
werdet ihr selbst merken, dass ihr vor IHM keine Ansprüche habt.
ER ist der Heilige, der HERR, der Schöpfer!
Was wollt ihr denn vor IHM geltend machen?
Die 50 Euro für Brot für die Welt?
Eure Zeit im Engagement für die Kirche?
Oder dass ihr manche der 10 Gebote so leidlich gehalten habt?
Wollt ihr von solchen peanuts Ansprüche vor Gott ableiten?
Allen Ernstes?
Das sind doch Selbstverständlichkeiten
wenn man Gottes Größe und die eigene Armseligkeit einmal nüchtern gegenüberstellt
Das sind doch Selbstverständlichkeiten
wenn man sich vor Augen führt, wie gut es uns geht.
Das sind doch Selbstverständlichkeiten
wenn man nur anfängt zu bedenken
was es Gott gekostet hat, uns zu erlösen.
So gehört es zu unserem Selbstverständnis vor Gott,
dass wir diese Selbstverständlichkeiten
in allen Sprachen kommentieren mit:
Kein Thema!
Don't mention it!
oder besonders schön im Französischen:
de rien
frei ins Deutsch der Schüpfer- und Umpfertäler übersetzt:
Dess iss doch niggsch!
Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht:
Wir sind unnütze Knechte;
wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.
Amen
Sexagesimä 1986
Hebr. 4, 12-13,
(Einführung in Bruchsal)
12 Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. 13 Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.
Liebe Gemeinde,
beinahe hätte ich meinen Dienst in Bruchsal mit einer Flucht begonnen.
Als ich nämlich vor einiger Zeit nachschaute,
über welchen Bibeltext ich heute zu predigen habe,
traf dieser mich wie ein Hammer.
Der für den heutigen Sonntag Sexagesimä vorgeschriebene Text besteht zwar nur aus zwei Versen, aber die sind so hart,
erscheinen nahezu brutal, dass ich mir zunächst einen anderen aussuchen wollte. Aber hören Sie diese Verse selbst.
12 Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. 13 Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.
Das geht durch Mark und Bein!
So soll es nach diesen Worten auch sein!
Aber da regt sich doch beinahe so etwas wie Widerwillen,
oder nicht!?
Ein Gott, der mich seinem Wort einem schneidend und gnadenlos durch die Rippen fährt.
Unwillkürlich drängt sich das Bild von einem Schlachter auf!
Ein Gott, der uns die Kleider vom Leib reißt?!
Gott als Voyeur?? Ist das nicht ein ekliges Bild!
Ja, aber warum predige ich nun doch über diesen Text?
So als Gehorsamsübung gegenüber meiner Kirchenleitung?
Zwei Dinge haben mich dazu veranlasst:
- Ein altes Märchen, über das ich gestolpert bin;
- Die Nachrichten der letzten Wochen.
Lassen Sie mich mit dem zweiten Grund, mit einigen von mir selbst formulierten Schlagzeilen beginnen:
Ronald Reagan probt Kriegsspiele vor der Haustür eines Irren in der Großen Syrte.
Frohe Weihnachten in Afghanistan bedeutete den Beginn des siebten Jahres sowjetischer Unterdrückung.
Ein hoher Richter philosophiert über den Wert menschlichen Lebens. Unsere Erde wird durch den rasant steigenden CO²-Gehalt in wenigen Jahrzehnten zum Treibhaus.
Bei Boxberg versuchen Holzfäller des Guten Sterns das Tempo des Waldsterbens zu übertrumpfen.
Die Aufnahmefähigkeit für Skandale ist beim Durchschnittsmenschen erschöpft.
Diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Ich nehme an,
dass jeder unter uns so seine eigene Nachrichtenliste hat,
die ihm die Frage stellt: Wie soll denn das noch alles weitergehen? Kann das gut gehen? Ist da nicht etwas krank?
Muss da nicht mal aufdeckend, klärend, schneidend, richtend dazwischengefahren werden?
Wo ist das befreiende Wort, das es Menschen und Systemen ermöglicht, aus Teufelskreisen von Gewalt und Gegengewalt, aus Lug und Trug auszubrechen?
Von einem solchen Wort, unschuldig, aber treffend, hart aber befreiend, handelt das bekannte Märchen von „Des Kaisers neue Kleider“.
Da gab´s in einem fernen oder nicht so fernen Land einen Kaiser,
der viel von schönen Kleidern hielt.
Eigentlich waren Kleider sein Lebensinhalt.
Zwei Gauner suchen diese Macke ihres Regierenden zu ihren Gunsten auszunutzen.
Sie gaben vor, die besten Weber von Kleiderstoffen zu sein. Unvergleichliche Farben und ausgefallenste Muster seien ihre Spezialität. Und noch eine Besonderheit sei ihren Stoffen eigen:
Sie blieben unsichtbar an jedem, der zu seinem Amt nicht tauge.
(Wie bin ich froh und wie können Sie erleichtert aufatmen,
dass mein Talarstoff nicht aus deren Werkstatt stammt!!!)
Eben diese Eigenart der neuen Stoffe, unsichtbar für Unfähige,
war dem Kaiser besonders wichtig, denn er gedachte,
damit seine Räte und Beamten zu testen und zu entlarven.
Schließlich sind des Kaisers neue Kleider fertig.
Um sich keine Blöße zu geben, gibt natürlich jeder vor,
die Kleider tatsächlich zu sehen und zu bewundern,
der Kaiser und seine Beamten eingeschlossen.
Und als nun der feierliche Zug durch die Straße zieht (und nun zitiere ich das Märchen wörtlich) „lobte jeder, was nicht zu loben war, da es überhaupt nicht bestand“.
Mitten hinein in diese Situation von Täuschung und Selbsttäuschung fällt aber nun ein Wort – nur ein Satz:
„Der hat ja gar nichts an!“ Es ist nur das Wort eines Kindes –
aber dennoch richtet es gerade das aus, was der heutige Predigttext gerade auch dem Wort Gottes zuspricht:
Es deckt Lug und Trug auf und trifft den Kaiser,
die Räte, die Gauner und auch die gaffenden Zuschauer bis ins Innerste. Aufgedeckt liegt der ganze Schwindel vor jedermanns Augen!
Es wäre nun für mich ein Leichtes,
die Situation unserer Welt mit der des Märchens zu vergleichen. Genügend Anschauungsmaterial ließe sich ja leicht finden.
Der Schluss könnte dann gezogen werden:
Ja, und so wie im Märchen das Wort des Kindes muss das Wort Gottes, das in der Kirche gepredigt wird, schneidend in die Verhältnisse dreinfahren und Schwindel und Korruption in der Welt aufdecken.
Da ist ja sicher auch etwas Richtiges dran – ABER, wenn das alles wäre, brauchte man die, die mit dem Wort Gottes betraut sind,
ja nur zum Training in die SPIEGEL-Redaktion
oder zu G. Walraff schicken,
denn dort könnte man im Aufdecken von Skandalen geschult werden (und das soll an dieser Stelle gar nicht grundsätzlich madig gemacht werden). Doch für die Kirche wäre das entschieden zu wenig,
dies allein wäre geradezu katastrophal!
Denn wenn wir wirklich Kirche sind,
dann sind wir zunächst und zuallererst Kirche unter dem Wort!
Um bei dem Bild des Textes und der Sprache der „Schwarzwaldklinik“ zu bleiben:
Die Kirche muss unter´s Messer – Sie und ich!
Liebe Gemeinde, ich weiß, das klingt nicht sehr angenehm,
aber dabei bleibe ich ja nur beim Tenor unseres Predigttextes!
Ja, die Kirche, Sie und ich, wir müssen unter´s Messer!
Denn sehen Sie, wer mit offenen Augen und ohne Täuschung und Selbsttäuschung erkennt, dass unsere Welt krank ist,
der muss in aller Fairness und Nüchternheit erkennen,
dass die Kirche, die Gemeinschaft,
die sich unter Gottes Wort sammelt, eben an denselben Krankheiten teilhat.
Wer die Welt oder einfach die andern als krank,
die Kirche oder sich selbst aber als gesund sieht,
der krankt dann an der schlimmsten Krankheit,
dem Pharisäismus, der dem fleischgewordenen Wort Gottes,
Jesus Christus am allerwiderlichsten war,
und der ihn schließlich ans Kreuz schlug.
Der Unterschied zwischen Kirche und Welt
liegt nicht im Gegensatzpaar hier gesund, da krank,
sondern lediglich darin, dass die Kirche einen guten Hausarzt hat. Deshalb singt uns nachher der Chor auch die Verheißung zu:
„Ein Arzt ist uns gegeben“.
Wenn also Kirchgänger von anderen hämisch kommentiert werden mit: „Na ja, die werden´s nötig haben!, dann trifft das exakt den Sachverhalt, denn auch vom Menschen, den wir eine Arztpraxis betreten sehen, nehmen wir folgerichtig an, dass er nicht zu seinem Vergnügen hingeht!
Wenn das verkündigte Wort Gottes zuweilen weh tut,
so liegt das nicht am raffiniert zu Tage tretenden Sadismus des Pfarrers, sondern eben am Hausarzt, dessen Handlanger der Prediger zu sein hat. Aber bitte beten Sie für Ihren Pfarrer,
dass er sich immer zuerst selbst unter´s Messer des Wortes Gottes begibt,
dass er sich wieder und wieder selbst in der Praxis des Hausarztes einfindet,
denn nur so kann er im Segen und in Glaubhaftigkeit Arzthelfer sein!
Nun wäre es aber geradezu tragisch, wenn Gemeinde unter dem Wort sich nur um die eigenen Wehwehchen kümmerte.
Dann würden Hypochondrie, fortwährende Nabelschau und geistliches Pulsfühlen in ihr Urstände feiern.
Wie verfehlt wäre es, wenn aus der Kirche fortwährend wegen Besitz des eigenen Krankenscheins Hallelujas zum Himmel stiegen,
die Welt aber vor die Hunde ginge.
Nein, der heutige Text erinnert uns:
Wir müssen Rechenschaft ablegen vor Gott, und Verantwortung ist nach gesamtbiblischen Zeugnis universal,
sie gilt Gottes ganzer geliebter Welt!
Wer sich nur um die eigene Gesundheit, sprich Rettung oder Seligkeit müht, der vergräbt sein Pfund.
Das Wort darf, ja, muss, sich durch die dicke Haut der Kirche nach draußen schneiden,
sie kann auch der Welt nicht ersparen,
sich diesem scharfen Instrumenten auszusetzen.
Deshalb sind auch die anfangs in Schlagzeilen
erwähnten Probleme unserer Welt nicht tabu.
Wer meint, man müsse die Welt ihrer Eigengesetzlichkeit überlassen, überlässt sie dem Untergang.
Wichtig ist nur, dass dieses lebendige Wort über eine Gemeinde nach draußen dringt, die sich zuvor selbst von ihm richten ließ.
Dann wird nicht lieblos, distanziert und besserwisserisch angeprangert, sondern mitleidend und mittragend
in echter Solidarität der Sünder um Heilung gerungen.
Auf das fleischgewordene Wort Gottes, Jesus Christus,
beziehen wir die alttestamentlichen Worte:
Fürwahr, er trug unsere Krankheit, und nahm auf sich unsere Schmerzen.
Als Christusnachfolger, die ihr Kreuz auf sich nehmen,
wird uns das anvertraute Wort Schmerzen verursachen,
aber dieses Wort ist für uns eine Gotteskraft, die uns richtet, zurechtrichtet und aufrichtet,
so dass diese Schmerzen uns zum Segen werden,
uns und der ganzen von Gott so geliebten Welt.
(Nochmals Textverlesung Hebr. 4, 12-13)
Amen
Sexagesimä 1987
Markus 4,26-29
26 Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft 27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. 28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. 29 Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da
Heute sind Menschen angesprochen, denen nicht alles egal ist, Menschen, die sich engagieren,
Menschen, denen das Wohl und Wehe ihrer Mitmenschen nahegeht, Menschen, sich aktiv für die Zukunft unserer Erde interessieren.
Sie werden heute durch Jesu Gleichnis von der selbstwachsenden Saat oder vom geduldigen Landmann, wie es auch genannt wird,
ganz besonders angesprochen.
Sie lassen sich ansprechen,
ansprechen von den Nöten ihrer Mitmenschen,
ob sie nun fern oder nah sind. Sie lassen sich ansprechen,
ansprechen sogar von der nur scheinbar sprachlosen Natur, sterbenden Bäumen, verunreinigten Flüssen und gequälten Tieren.
Sie lassen sich ansprechen,
ansprechen von den Millionen von Geiseln der modernen Abschreckungspolitik.
Wer sich so ansprechen lässt,
wird ganz ordentlich in Anspruch genommen.
Das wissen wir, weil so viele unter uns zu diesen Menschen gehören. Wir werden in Anspruch genommen,
weil wir uns so leicht ansprechen lassen.
Sind wir zuweilen nicht überbeansprucht?
Kommen wir nicht manchmal hart an den Rand unserer Ansprechbarkeit?
Wie kann man weiterhin offen bleiben, ansprechbar, interessierbar, motivierbar, aktivierbar, wenn jede Nachrichtensendung
und vielleicht auch manche Beobachtung im näheren Umkreis
unserer Familien und Nachbarn
den Erfolg unserer Ansprechbarkeit in Frage stellt?
Durchaus möglich, dass unter uns Menschen sind,
die einmal zu den Ansprechbaren gehörten,
nun aber nur noch müde mit den Schultern zucken können
und resigniert abwinken, wenn sie angesprochen werden.
Durchaus möglich, dass heute Menschen diese Predigt hören,
die in jedem Angesprochenwerden
auch gleich die drohende Überbeanspruchung wittern,
und aus diesem Grund Ohren und Herzen verschließen.
Wie verständlich ist das, weil doch wie alles auch unsere Ansprechbarkeit eine Grenze hat.
Dann kommentieren wir Nachrichten vom Hunger in Äthiopien nur noch mit einem Seufzer –
aber die helfende Tat bleibt aus.
Dann brüllen wir Kinder oder Enkel nur noch an,
wenn ihr Lebensstil nach unserer Erfahrung stracks ins Chaos führt,
und die geduldige, helfende Begleitung hat ihr Ende.
Ja, wie leicht kommt unsere Ansprechbarkeit an ihre Grenzen und weicht einer lähmenden Müdigkeit.
Aber der uns heute anspricht, spricht eine andere Sprache.
Jesus geht es in diesem Gleichnis nicht um ANspruch,
sondern um ZUspruch.
Er verfolgt mit diesem Bild aus der Landwirtschaft keine uns aktivierende Absicht,
sondern es geht ihm um unsere gelassene ZUversicht.
Jesus spricht von der Gottesherrschaft.
Ohne müde zu werden, aber auch ohne sich zu wiederholen erzählt er ein Gleichnis nach dem andern,
um dies eine anschaulich, verstehbar, glaubbar zu machen:
Das Reich Gottes -die Gottesherrschaft-
ist in seiner Person schon angebrochen
und sie wird unaufhaltsam an ihr von Gott gesetztes Ziel kommen.
Und mit dieser Gottesherrschaft wird all das,
wonach sich die Ansprechbaren so sehr sehnen,
wofür sie sich einsetzen, ohne Zweifel verwirklicht werden.
Mit der Gottesherrschaft ist es wie mit einem Sämann...er sät.
Und dann kann Jesus nicht deutlich genug
seine Untätigkeit ausmalen.
Sie haben richtig gehört:
Jesus unterstreicht die Untätigkeit des Bauern nach dem Säen
mit einer Fülle von Wortbildern.
Er schläft und steht auf, es wechseln Tag und Nacht,
der Same geht auf und wächst - er weiß nicht wie!!!
Nachdem er gesät hat, ist der Bauer weder von seinen Aktivitäten her, noch in seinen Gedanken mit der ausgestreuten Saat beschäftigt.
Von selbst bringt die Erde die Frucht hervor.
Von selbst - automate steht da im griechischen Urtext.
Automatisch - ohne weiteres Zutun entwickelt sich,
entfaltet sich, reift heran, was später geerntet werden wird.
Und so, betont Jesus, ist es mit der Gottesherrschaft.
Aber.... aber, kommen da nicht
allerhand kritische Gedanken in uns hoch!?
Erstens, ist das wirklich zutreffend,
dass der Bauer zwischen Aussaat und Ernte
nichts mehr tut draußen auf dem Acker?
Und zweitens, will Jesus in diesem Gleichnis irgendetwas sagen
gegen das Engagement der Ansprechbaren?
Will er uns ermutigen, die Hände in den Schoß zu legen?
Und drittens ……….
Und nun könnten wir den Rest der Predigt zubringen
mit Einwänden und Gegeneinwänden,
mit Erklärungen und Gegenerklärungen usw.
Aber nun gilt es,
dass wir ehrlich gegenüber uns selbst bleiben.
Wenn wir spüren, dass Jesu Gleichnis
von der Gelassenheit des Landmanns
uns einerseits ganz positiv berührt,
uns andererseits aber auch zum Widerspruch reizt,
so sollten wir selbstkritisch fragen:
Woran liegt denn das?
Liegt das nur in irgendwelchen eventuellen Widersprüchlichkeiten in dem von Jesus verwendeten Bild,
oder liegen die Spannungen in mir selbst begründet?
Wenn uns Jesus durch dies Gleichnis zuruft:
Seid getrost! Gott bringt seine Sache zum Ziel!
... was regt sich dann bei uns?
Ist unsere erste Reaktion: Ja sicher, er bringt sie zum Ziel,
ABER wir müssen auch etwas dazu tun!?
Sehen Sie, liebe Gemeinde, so richtig dies natürlich ist,
so nachdenklich macht es mich dennoch,
wenn sofort nach dem gelassen machen wollenden Gleichnis,
so innerhalb weniger Sekunden unser Augenmerk schon wieder auf unserem und nicht auf Gottes Tun liegt!
Sind wir so narzisstisch, so selbstverliebt in unser Tun,
dass der zuversichtliche Glaube an Gottes Tun so seltsam unterentwickelt bleibt?
Wir, die wir uns den Anspruch dieser Welt und ihren Nöten stellen,
sind wir denn auch noch offen für Gottes Anspruch,
der uns zuallererst in der froh und gelassen machenden Form des Zuspruchs erreichen will?
Oder haben wir so offensichtlich Ansprechbaren nur noch die Ansprechbarkeit der Martha, aber nicht mehr die der Maria?
Der dem Herrn zuhörenden, sich seinem Zuspruch öffnenden Maria, ihr wird vergleichend mit Martha gesagt:
Maria hat das beste Teil erwählt!
Ja, ich weiß, einige unter uns haben nun Angst,
dass der Glaube nun Ersatz werden könnte
für das engagierte Handeln.
Niemals! Aber besteht nicht andererseits auch die Gefahr,
dass das Handeln zuweilen den Glauben ersetzen soll?
Ist die engagierte Einstellung:
Auf unser Tun kommt alles an, nicht in der Gefahr,
eher ein Ausdruck des Unglaubens als des Glaubens zu werden? Worum geht's in dem Glauben den Jesus lebt und den er predigt? Geht's um die anbrechende GOTTESherrschaft oder um eine Welt,
wo wir alles beherrschen mit unseren wohlmeinenden Zielen?
Selbstverliebt ins eigene Engagement
kommt zuweilen die paradoxe Situation,
dass wir erst wenn unser Handeln nichts mehr bewirkt,
seufzend und etwas resigniert meinen:
Jetzt hilft nur noch beten!!! Jetzt kann nur noch Gott helfen!
Aber darf Gott denn zum Lückenbüßer
für unsere Enttäuschungen werden?
Wie alle Enttäuschungen ist auch diese das Ende einer Täuschung.
Die Täuschung lag von vorneherein darin, dass Gottes Handeln unsere "Handelnslücken" füllen sollte, falls es je solche geben würde. Aber ist es nicht eher umgekehrt,
dass Gott uns in seiner Freiheit und Großzügigkeit und in seinem erstaunlichen Vorschußvertrauen "Lücken zum Handeln" überlässt,
die er allerdings auch ohne weiteres
und viel effektiver selbst ausfüllen könnte?
Gott ist nicht der Lückenbüßer für unsere Enttäuschungen,
sondern der Grund unserer Hoffnung und erst von daher,
der Motor unseres Handelns.
Wo alle Hoffnung in der Welt und für die Welt
nur abhängt von denen,
die ansprechbar sind durch die Nöte dieser Welt,
da werden die Nöte zum antreibenden Gott,
die einem durch ihren irren Anspruch aber Mangel an Zuspruch schließlich in Resignation und Hoffnungslosigkeit stranden lassen.
Wo alle Hoffnung in der Welt und für die Welt
allerdings in dem Gott liegen, der einst sprach:
Und siehe es war gut! und dies wahr machen wird,
da herrscht eine Gelassenheit,
die zuweilen als Gleichgültigkeit missverstanden werden kann.
Wie anfangs erwähnt gilt Jesu Gleichnis von der selbstwachsenden Saat oder vom geduldigen Landmann denen,
die sich ansprechen lassen von den Nöten dieser Welt.
Manche Ausleger meinen,
es sei in Jesu Tagen an Zeloten gerichtet gewesen,
den Eiferern,
die mit ihren Mitteln
die Herrschaft Gottes quasi herbeizwingen wollten.
Sie und ihre Sache sind
im Chaos untergegangen.
Von einem der aktivsten Christen der Kirchengeschichte,
von Martin Luther, wird uns folgendes Wort überliefert:
Aus Luthers 2. Invokavit-Predigt: „Das Wort hat Himmel und Erde geschaffen und alle Dinge, das muss es tun und nicht wir armen Sünder. Summa summarum: Predigen will ich's, sagen will ich's, schreiben will ich's. Aber zwingen, dringen mit der Gewalt will ich niemand, denn der Glaube will willig, ungenötigt angezogen werden. Nehmt ein Exempel von mir. Ich bin dem Ablaß und allen Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt, ich habe allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst habe ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich wittenbergisch Bier mit meinem Philippus und Amsdorf getrunken habe, so viel getan, dass das Papsttum so schwach geworden ist, dass ihm noch nie kein Fürst noch Kaiser so viel abgebrochen hat . . . Wenn ich hätte wollen mit Ungemach fahren, ich wollte Deutschland in ein groß Blutvergießen gebracht haben, ja ich wollte wohl zu Worms ein Spiel angerichtet haben, dass der Kaiser nicht sicher wäre gewesen. Aber was wäre es? Ein Narrenspiel wäre es gewesen. Ich habe nichts gemacht, ich habe das Wort lassen handeln"
Man könnte zu dem ketzerischen Schluß kommen,
dass ein vergnüglich und gelassen getrunkenes Bier
zuweilen auch ein Zeichen von Gottvertrauen sein kann.
Doch das sei nur den Eiferern,
den Ansprechbaren ins Poesiealbum geschrieben.
Estomihi 2003
Markus 8, 31-38
31 Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. 32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. 33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten. 36 Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? 37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.
Liebe Gemeinde,
am Mittwoch fängt die Passionszeit an, die Leidenszeit.
Wir aber bleiben ganz gelassen, denn es ist nicht unsere Passionszeit,
die anfängt.
Ganz anders würden wir uns fühlen,
wenn unser Land vom aggressiven Diktator Adolfam Hitlussein regiert würde,
wenn wir in Berlin lebten und wüssten, dass ein Teil der freien Welt uns befreien möchte.
Bombentod oder langsames Verrecken, Vertreibung Hunger, Elend, Seuchen –
das scheint programmiert –
und die Menschen, die es treffen wird,
sind kein bisschen schuldiger als Sie oder ich.
Und sind genauso hilflos?
Passionszeit - als Schicksal?.
Seit Wochen treibt mich das um, Tag und Nacht.
Hilflos. Was könnte man tun, um das abzuwenden?
Und plötzlich traf mich ein Gedanke,
der mich seitdem nicht mehr loslässt:
Was wäre wenn......
wenn Chefinspekteur Hans Blix
bei seinen Waffen-Inspekteuren im Irak
für eine Idee werben würde, eine mutige:
Männer, wenn die Nachricht der Amis kommt,
wir sollen raus aus dem Irak, weil jetzt gebombt wird,
dann geh ich nicht,
dann bleibe ich hier, die UNO will mich hier,
und ich lade jeden von euch ein, auch hier zu bleiben.
Wir sind hier im Auftrag der Weltgemeinschaft,
und wir bleiben hier, bis unsere Mission erfüllt ist.
Dann werden einige der Inspekteure einwenden:
Die Amis bomben trotzdem. Kann wohl sein.
Es würde den Zynismus der Macht entlarven.
Kann aber auch nicht sein–und millionenfaches Elend wäre abgewendet.
Ehefrauen würden –verständlicherweise- ihre Männer anflehen:
Mach da nicht mit, halt dich das raus, komm nach Haus.
Verständlicherweise – das ist menschlich, nur allzumenschlich.
So wie Petrus seinen Herrn und Meister Jesus anfleht:
Halt dich raus, ändere deinen Kurs, sei ein wenig vorsichtiger,
halt dich nicht zu den Gescheiterten,
decke nicht die Menschenverachtung in frommen Regeln auf,
rede nicht ganz so deutlich, sei diplomatischer,
dann brauchst du nicht so jung zu sterben,
dann kannst du noch der Messias,
der Befreier unseres unterdrückten Volkes werden.
Dein Tod wäre sinnlos, Höheres wartet auf dich.
Ich mag dich, Jesus, ich möchte dir das ersparen.
Die Sprache der Liebe, oder nicht?
„Du Satan“ fährt in Jesus an – Das ist heftig, unfair, übertrieben?
Offenbart diese Heftigkeit Jesu Versuchbarkeit, seine Anfechtung?
Zeigt sie, dass er nahe dran ist, seinen Kurs aufzugeben?
Versucht in allen Dingen, gleichwie wir, sagt der Hebräerbrief.
Wir verstehen - wieder einmal - Petrus, aber nicht Jesus.
Wie kann man einen, der es nun offensichtlich gut mit einem meint,
so anfahren, ihn als Widersacher Gottes bezeichnen?
„Du meinst nicht, was göttlich ist!“ urteilt Gottes Sohn.
Liebe Gemeinde, nun lauern 1000 Versuchungen auf den Prediger,
das zu glätten, zu harmonisieren, zu erklären, bis es passt.
Bis der sperrige Jesus zum pomadigen Weich-Ei wird,
bis alles wieder in unser Schema passt –
dem biblischen Text alle Knochen gebrochen sind,
aber auch, bis die Wahrheit verraten und verkauft ist.
Die Wahrheit, um die es hier geht,
und die uns im konkreten Fall so unheimlich ist, heißt:
Gerade im Erhalten-Wollen des Lebens wird es verloren,
und im rechten Riskieren wird es gewonnen.
Es gibt einen „Schaden an der Seele“,
der gar nicht wie ein Schaden aussieht.
Petrus verkörpert ihn, und weil wir Petrus so gut verstehen ,
ist anzunehmen, dass auch wir an diesem Schaden teilhaben.
Aber dieser Schaden sieht aus wie Liebe,
er ist also prima getarnt – wo doch Liebe so was Wunderbares ist.
Wer will schon etwas Wunderbares kritisch durchleuchten?
Jesus sagt: Ich habe einen Kurs für mein Leben,
und so wie die Welt ist, wird man mich wegen dieses Kurses fertigmachen,
ich werde mein Leben verlieren.
Und Petrus sagt: Dann ändere deinen Kurs,
dann passiert dir das nicht.
Siehst du Petrus, sagt Jesus, das ist de Schaden an deiner Seele:
Der Lebenserhalt ist dein allerhöchstes Gut.
Aber Chef, das ist doch das Normalste vom Normalen,
das Menschlichste vom Menschlichen,
das Verständlichste vom Verständlichen.
Frag Millionen – und sie werden mir und nicht dir Recht geben,
Sicher Petrus, aber deswegen sieht’s in der Welt auch so aus,
der eine braucht eine Schüssel Reis zum Lebenserhalt,
ein anderer Schnitzel und Sahnekuchen.
Dasselbe Stückchen Land brauchen zwei,
zum Lebenserhalt, sagen beide.
Wer kriegts, Petrus?
Der Stärkere, aber das kann man doch friedlich lösen, oder nicht?
Sicher Petrus, aber warum soll einer, der die Macht hat,
sich dieser komplizierten und irre mühsamen Lösungs-Prozedur aussetzen.
Aber Petrus, ich kann’s dir nicht ersparen:
Dein Gott ist die Angst!
Wie bitte?
Lebenserhalt ist ja gar nicht dein höchstes Gut,
da steckt mehr dahinter oder da steht noch was drüber.
Wie bitte? Was steckt dahinter.
Der Lebenserhalt wird deshalb dein höchstes Gut,
weil du panische Angst hast vor dem Lebensverlust.
Du wirst bald behaupten, dass du mich gar nicht kennst,
um dein Leben zu erhalten, weil du Angst hast, es zu verlieren.
Chef, bitte.....
Nein, im Ernst, du Petrus im Jahre 2003, ich will dich nicht quälen,
aber überleg doch mal:
Steht hinter vielen deiner Aktivitäten und Engagements nicht wirklich die Angst.
Die Angst unbedeutend zu werden,
deswegen deine Kandidatur zum Vorsitzenden des Vereins für so was.
die Angst als Mauerblümchen zu gelten,
deswegen dein wildes Disco-Treiben.
Die Angst vor dem Altwerden,
deswegen –zig Cremes und Wässerchen.
usw. usw.
Du, Petrus und Petrine, im 21. Jahrhundert,
Bist du dir wirklich ganz sicher,
das hinter deinem Streben nach Leben nicht vielfach die Angst lauert
Könnte es nicht sogar sein,
dass es die Angst war,
die den Lebenserhalt zum Gut Nummer 1 machte?
Streng logisch weitergedacht
wäre dann aber nicht der Lebenserhalt dein Gut Nummer 1,
sondern die Angst, die dahintersteckt und darum - drübersteht.
Dann würde man auch verstehen,
warum bei so vielen von uns, dieser Schaden an der Seele
als Schaden am Körper sichtbar wird.
Jetzt wird klar, warum Jesus so heftig auf Petrus reagiert:
Der Lebenserhalt auf Teufel-komm-raus offenbart,
dass die Angst regiert,
dass sie Gottes Stelle eingenommen hat.
Die Angst ist der übelste aller Götter.
Du Satan, komm raus,
du meinst nicht, was göttlich ist.
Und Jesus bleibt auf seinem Kurs:
Er kennt zwar die Angst, a
ber sie übernimmt nicht Regie in seinem Leben.
Regie führt bei ihm Gott, und Gott allein, und Gott ist Liebe.
Und so kann er ein Leben leben,
bei dem nicht alles durch den mickrigen Filter
,,Was bringt‘s mir ODER Was schadet‘s mir läuft.
Und deswegen ist er so frei,
einen aus der Lähmung Erwachten
seine Pritsche schwenken zu lassen,
am Sabbat, gegen unmenschliche Regeln.
Er ist so frei, eine in flagranti ertappte Ehebrecherin in Schutz zu nehmen und ihre Richter
mit dem trefflichen Satz zu konfrontieren:
Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.
Nach unseren oberflächlichen Petrus-Maßstäben
hat ihm das alles geschadet.
Es brachte ihn ans Kreuz.
Aber uns die Erlösung, glauben wir.
Erlösung vom Schaden an unserer Seele?
Er ruft uns auf seinen Weg,
finden wir‘s raus!
(34-36 nochmals lesen)
Amen
Invokavit 1985 -
Offb. 21,1
(nach Rückkehr aus Sri Lanka)
1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr
Seit mir die Bibel etwas bedeutet, faszinierten mich besonders ihre ersten drei und ihre letzten zwei Kapitel.
Die Vision des Sehers Johannes im Buch der Offenbarung
von einer neuen Welt hörte nie auf, mich in ihren Bann zu schlagen. Das ABC menschlichen Leidens, Auschwitz, Biafra und Colombo, ließ sich für mich nur aushalten mit Gottes fester Zusage als Gegengewicht.
Seine Zusage in Offb. 21 ist: „… und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen. „
Nur mit dieser Gewissheit im Rücken lernen wir,
das ABC des Mitleidens nachzubuchstabieren,
freiwillige Annäherung an die Armut,
Bereitschaft zu handeln für die Befreiung anderer und Christusnachfolge im Chaos.
Dies ist das (doppelte) ABC des praktischen und christlichen Mitleidens.
Nun steht in diesem verheißungsvollen Bild von Gottes neuer Welt ein Satz, der zunächst wenig zu sagen scheint, aber die Grundlage für meine heutige Predigt bilden soll.
In Offb. 21,1 heißt es plötzlich: …und das Meer wird nicht mehr sein!“ Es passt nicht mehr in Gottes neue Welt! Warum?
Warum das Meer?
Von den Bergen wird das nicht ausgesagt,
auch von den Flüssen nicht!
Aber: … „das Meer wird nicht mehr sein!“ Warum?
Um diese biblische Aussage und ihre Bedeutung für uns soll es in dieser Predigt gehen.
Wohin man in Sri Lanka geht,
nach Norden, Süden, Osten oder Westen-
man erreicht immer wieder das Meer –
so ist das eben mal auf einer Insel!
Immer wieder neu beeindruckt das Meer.
Zuweilen lädt es ein zur Erholung,
es ist ruhig und sein rhythmischen Bewegungen verleihen dem Beobachter etwas von seiner Ruhe.
Zu anderen Zeiten aber, wenn der Monsun tobt,
erscheint es als bedrohliches Monster.
Letztes Jahr am Tag nach Weihnachten brach sich unsere Tochter Daniela den Arm,
weil sie von einer großen Welle mit Macht erwischt wurde.
Es kann Dämme und Straßen, Fischerhütten und auch relativ stabile Hotels wegwaschen.
Das Meer ist zuweilen absolut unberechenbar –
sozusagen aus dem Nichts kann plötzlich eine Riesenwelle auftauchen und unmäßige Zerstörungen anrichten.
Was wundert es, dass im alten Israel,
wo die Wellen des Mittelmeers an seine Strände schlugen,
dieses Zwiespältige und Unheimliche des Meeres
auch in den Bildern der biblischen Gedichte und Geschichten sich niederschlug.
Vor allem in den Psalmen, aber auch in Hiob, 2. Mose und Jesaja gibt es viele Stellen, in denen das Meer als Symbol erscheint,
und zwar als Symbol für Chaos.
Das Meer ist nach den Psalmen und Hiob die Wohnung der Chaosmonster Leviatan und Tannin.
Das Meer als dem Trockenen gegenüberstehende und es bedrohende Macht wird zu einem Symbol,
das im Kontrast zu Kosmos, zu allem Wohlgeordneten steht,
ja, es wird zum Bild für die Mächte,
die sich Gott und den Menschen bedrohend und zerstörerisch entgegenstellen.
Ist also das Meer in der Bibel weithin ein Symbol für Chaos,
so bedeutet das, dass eine- wie vorhin versprochene – Theologie des Meeres eigentlich eine Theologie des Chaos meint.
Aber was ist der Sinn, von einer Theologie des Chaos zu sprechen? Steht Gott nicht für Kosmos und ist absolut unvereinbar mit Chaos?
Man könnte dies sofort mit einem klaren Ja beantworten
und das Thema „Theologie des Chaos“ als reißerisches Stilmittel abtun, wenn nicht unsere Bibel von einem eigenartigen Zwiespalt gekennzeichnet wäre, wenn es um das Meer geht.
Einerseits ist das eindeutig ein Symbol für Chaos,
andererseits aber wird recht unbefangen gesagt, dass Gott das Meer geschaffen habe.
Stehen diese beiden Aussagen sich total ungewollt,
zufällig und recht inkonsequent gegenüber, oder ist der Kontrast gewollt?
Könnte hier ein Hinweis versteckt sein, dass wirklich alles, selbst das Chaotische auf irgendeine Weise von Gott kommt
Jes. 45,1
Seelsorgerliche Bedeutung! Kein ernstzunehmender Theologe meint hierzu eine logisch nachvollziehbare Lösung zu haben!)
Interessant ist, dass in vielen Geschichten der Bibel,
in denen das Meer eine zentrale Rolle spielt,
immer drei theologische Themen wiederkehren:
Gericht, Rettung, und Schöpfung, d.h. Neuerschaffung.
(Zeige dies an 1. Jona, 2. Schilfmeerwunder, 3. Jesus auf dem Meer (Stillung des Sturmes und Wandel auf dem Meer.), 4. Taufe.)
Was bedeutet das alles für uns, wenn wir dem Chaos ausgesetzt sind, wenn unser Lebensschiff so gebeutelt wird,
dass scheinbar kaum Überlebenschancen bleiben,
wenn die Wellen zu hoch und zu zerstörerisch sind?
Für Glaubende – die drei selben Elemente:
Gericht
Niemand ist nur armes Hascherl, über den das Chaos total unschuldig hereinbricht –
nicht nur um uns ist Chaos, sondern auch in uns.
Vielleicht hat uns der Schöpfer an diese Tatsache eine kleine Erinnerung eingepflanzt:
Wir sind 80% Wasser und der Salzgehalt dieses Wasser ist gleich mit dem des Meeres, dem Symbol für Chaos?!!???
Leiden, Chaos, auch immer Gericht über das Chaos in mir!
Rettung
In jeder Art von Chaos hat Gott eine besondere Art von Rettung bereit – allerdings nicht immer die, die uns als die erstrebenswerteste erscheint:
Jonah- Petrus (der Sinkende, vom Meister gerettet)
Parallelen?!?!
Schöpfung- neues Leben
Chaotischer Gipfelpunkt des Chaos in dieser Welt:
Das Kreuz –
der einzig Gerechte muss wie ein Krimineller elendiglich verrecken- Finsternis- Vorhang zerreißt.
Warum endet Christus so? Gottes Plan?
Richtig ABER auch, weil er sich auf einen dem Chaos entgegen gesetzten Kurs des Mitleidens begab, gegen Krankheit, Hunger und religiöse Verklemmung.
Hätte er sich nur auf sein eigenes Leiden und Sterben konzentriert, wäre er evtl. trotz Gottes Plan mit 84 ruhig in seinem Bett gestorben.
Aber da war Leid und Chaos in Antiochia, Bethlehem und Cäsarea! Deshalb setzte er diesem ABC des Leidens sein ABC des Mitleidens gegenüber:
Freiwillige Annäherung an die Armut (auch geistig und geistlich) der Menschen, Bereitschaft zur Befreiung des andern, Christussein (Rettersein) im Chaos.
Und heute gibt es Leid nicht nur symbolisiert in den Namen Auschwitz, Biafra und Colombo, sondern auch in Aglasterhausen, Buchen und (gibt’s in der Nähe einen Ort dessen Namen mit C beginnt?)
Vielleicht gibt’s dort Asylanten, Behinderte oder chronisch Kranke – immer wieder dieses ABC.
Der Teufel will uns immer wieder weismachen,
das Chaos in unserem Leben, das wir durch unser sich um uns selbst drehen verursachen,
sei nur ein Vorgeschmack, auf das Chaos,
das folgt, wenn man sich auf das ABC des Mitleidens einlässt.
Der größte Betrug!
Deshalb flüstert er uns ein, einen Gesangbuchvers flach zu verstehen:
Rühret eigner Schmerz irgend unser Herz,
kümmert uns ein fremdes Leiden,
oh so gib
Geduld zu beiden!
Wirklich zu beiden? Geduld auch zum fremden Leiden?
Geduld zu Hunger, Krankheit und Unterdrückung anderer?
Heilige Ungeduld gegenüber fremden Leid führt in das ABC des Mitleidens – Chaos! Ja! ABC?!!!!!
Es ist dies die einzige Art des Chaos,
die absolut schöpferisch sich auswirkt – für alle Beteiligten!
Neues Leben!
Wenn im Nachbuchstabieren des ABC des Mitleidens es so richtig chaotisch wird, dann stirbt etwas total zerstörerisches,
nämlich das Selbstmitleid!
Kräfte, ungeahnte Reserven für ein Neues Leben!
Das meint man auch mit der Auferstehung Christi –
Der Gipfel des Chaos im Mitleiden wurde zu einem Übergang zu Gottes neuer Welt!
Wer diesen Übergang existenziell mitmacht,
wird in der Verheißung, dass in der neuen Welt kein Meer,
also kein Chaos mehr sein wird, nicht eine opiumartige Vertröstung erkennen, sondern das Prinzip der Hoffnung, das ihn hebt und trägt.
Invokavit 1989 - Lk. 22, 31-34
31 Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. 32 Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder. 33 Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. 34 Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.
Als ich so alt war wie die Konfirmanden, gab es einen Schlager,
den ich gern hörte und begeistert mitsang:
Geliebt zu werden ist alles Glück auf Erden.
Denn ich hatte damals so einen „Schwarm“
und manchmal glaubte ich Anzeichen zu entdecken,
dass ich von der Angebeteten auch geliebt wurde.
Und dann sang ich: Geliebt zu werden ist alles Glück auf Erden.
Aber die andere Erfahrung machte ich in jener Zeit auch:
Gesiebt zu werden ist alles andere als Glück.
Da bewarb ich mich beim Vermessungsamt um eine Lehrstelle
und es waren fünf Bewerber,
aber nur einer konnte die Stelle bekommen.
Und da hat man uns gesiebt:
Wir mussten zeichnen, rechnen, Berichte schreiben usw.
Wir wurden gesiebt und das erlebte keiner von uns als Glück,
obwohl ich nachher Glück hatte und die Stelle bekam.
Die Liebe erfährt man als Himmelsmacht und man bringt sie mit Gott in Verbindung,
aber das Sieben (Prüfungen, Tests usw.) im Leben
erlebt man eher als etwas Teuflisches.
So wundert es nicht, dass im heutigen Predigttext das Sieben der Jünger dem Satan zugeschrieben wird,
das Lieben aber dem Sohn Gottes,
der für den gefährdeten Petrus betet, dass sein Glaube nicht aufhöre. Denn solange die Glaubenden glauben, werden sie gesiebt,
manchmal so sehr, dass der Glaube aufzuhören droht,
so sehr, dass die bange Frage aufkommt:
Werde ich denn noch geliebt? Passt sieben und lieben zusammen? Das Gespräch zwischen Jesus und Petrus
gibt dem Glaubenden tiefe Einsichten in dieser Frage.
Lassen Sie uns den Bewegungen dieses Gesprächs
nachempfinden und nachdenken:
Jesus ist bereits von Judas verraten,
hat mit seinen Jüngern das Abendmahl gehalten
und will sie nun auf das Kommende vorbereiten.
Er will nicht, dass das Sieben der kommenden Krise sie unvorbereitet trifft. Sie sollen wissen, was auf sie zukommt und worauf es dabei ankommt. Was auf sie zukommt, ist der große Test der Passion Jesu: Jesus wird als Verbrecher behandelt werden.
Das jubelnde Hosianna der Massen wird verstummen
und in ein wüstes Kreuzige umschlagen.
Jesus wird als Versager, als Volksverführer,
als Gotteslästerer verdammt werden.
Das wird kommen. Und wie werden sich seine Jünger verhalten?
Es ist doch so schwer anders als die Masse zu handeln,
gegen den Strom zu schwimmen.
Wer wird noch zu Jesus halten,
wenn man mit ihm nicht mehr umjubelt,
sondern auch mit ihm verspottet und verachtet wird?
Dieser Sieb-Test wird kommen.
Und worauf wird es dabei ankommen?
Wenn wir jetzt aus dem Munde Jesu hören würden,
es käme auf Mut, auf Zivilcourage, auf Treue an,
wir würden alle zustimmend nicken.
Aber von nichts dergleichen ist die Rede.
Worauf wird´s aus der Sicht des Meisters ankommen?
Ihr werdet gesiebt ABER sagt Jesus „ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.“
In anderen Worten: Das Durchschütteln in der Krise durchstehst du, nicht durch etwas, was du tust,
sondern wegen etwas, das ich für dich tue.
Wenn dein Glaube nicht aufhört,
dann liegt das an meinem Gebet und nicht an deiner Anstrengung. Wenn es eine Zukunft für dich gibt,
dann nur, weil dir nach dem Durchfallen die Chance der Umkehr gegeben wird.
Du kannst umkehren, weil ich dir eine Tür aufhalte.
Deine Brüder kannst du nur stärken,
wenn dir deine eigene Schwäche bekannt ist und du sie annimmst und dich offenhältst für Gottes Möglichkeiten.
Ohne es zu merken, wird Petrus hier schon gesiebt.
Worauf wird er sich verlassen:
Auf seine Stärke oder auf Jesu Schwäche für ihn?
Kann es sein Stolz zulassen,
dass es mehr auf Jesu Fürbitte für ihn
als auf seine Fürsprache für Jesus ankommt?
Gleich werden wir merken,
dass Petrus die Wichtigkeit der Fürbitte Jesus überhaupt nicht hoch einschätzt und eben deshalb wird wenig später auch des Petrus Fürsprache nicht gelingen.
Er verleugnet Jesus.
Jetzt tun wir einen erschütternden Blick
in das Herz des Petrus und
es ist ein Blick in das Herz des Menschen schlechthin.
Es ist absolut unannehmbar für ihn, dass alles auf diesen Jesus,
seine Fürbitte und seine offene Tür ankomme.
Im Brustton der Überzeugung – und ist es nicht auch Überheblichkeit – spricht er sein Glaubensbekenntnis:
Herr, ich bin bereit mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.
Es ist sein Bekenntnis zu seinen Fähigkeiten –
und die sind total verkehrt eingeschätzt, wie die Zukunft zeigen wird. Und es ist ein NEIN zu Jesu liebevollem Angebot:
Dein Gebet für mich ist schon recht, Herr,
aber ich schaff das auch alleine.
Dein Angebot der Umkehr, lieb gemeint,
aber ich bin doch schon jetzt ein Mordskerl.
Auf mich kommt´s an, Jesus, nicht auf dich!
Damit hat er Jesus jetzt schon verleugnet,
bevor er jene bekannten Worte zu einer Magd sagte:
Ich kenne diesen Menschen nicht.
Er ist hier schon durchgefallen,
denn er hat sich selbstverkrümmt auf sich
und nicht selbstaufgebend auf Jesus konzentriert.
So ist tragischerweise, aber auch logischerweise,
die zweite Verleugnung eine Folge dieser ersten:
Bevor der Hahn kräht,
also wenige Stunden nach den großen Tönen,
die er hier gespuckt hat, wird er Jesus gleich DREIMAL verleugnen – und wird es wieder nicht merken.
Bis ihn der Blick Jesu trifft- da weint er bitterlich und kehrt um.
Dass uns doch dieser Blick Jesu heute treffen könnte,
uns, die wir wie Petrus durch beide Siebe gefallen sind.
Als unser Land arm und am Boden war,
konnten wir viele Millionen Flüchtlinge aufnehmen.
Heute, wo wir eines der reichsten Länder der Erde sind,
erscheint es uns unmöglich,
auch nur einen Bruchteil der damaligen Vertriebenen aufzunehmen. Heißt nicht, sich zu Jesus bekennen,
auch seine Brüder und Schwestern zu stärken,
ob sie nun braun sind oder aus dem Osten?
Und heißt nicht, Jesus verleugnen, auch seine Brüder zu verleugnen, ob sie nun braun sind oder aus dem Osten?
Ein Sieb Gottes? Durchgefallen?
Gewogen, gewogen und zu leicht befunden?
Aber der Schaden liegt tiefer.
Wie bei Petrus ging der offensichtlichen Verleugnung Christi eine verborgene voraus.
Aus einem Gefühl von Reichtum und STÄRKE achtet er gering,
was Jesus für ihn tut.
Nur was er tun will für Jesus, kommt in sein Blickfeld.
WAS Jesus für ihn tun will, blendet er aus.
Petrus will für Christus sterben, ist aber blind dafür,
dass dieser für ihn stirbt.
Petrus will sich nicht die Füße von ihm waschen lassen,
das will er tun, für den Meister.
Er glaubt an sich, aber nicht an IHN.
Jesus darf seine Lebensränder verbrämen,
aber das Zentrum darf er nicht einnehmen.
Petrus konzentriert sich verbissen darauf, gesiebt zu werden,
aber achtet es gering, von Gott geliebt zu werden.
So ist er für mich Vor- und Ebenbild des sogenannten modernen Menschen.
Ich lese seine Biographie, und merke:
Das bin ich.
Ich möchte Asylanten helfen, aber lasse mir nicht helfen.
Ich möchte für Jesus da sein, aber lasse IHN nicht für mich sein.
O Jesus, schau mich an, wie du einst den Petrus angesehen hast.
Ich bin ihm so ähnlich. Gilt dein Wort auch mir?
Betest du auch für mich, dass mein Glaube nicht aufhört?
Darf ich mich auch wieder bekehren,
obwohl ich so oft durchgefallen bin?
Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!
Und dann, Jesus, schau mich an durch die Augen
deiner Brüder und Schwestern,
die durch Krieg, Folter und Ungerechtigkeit so sehr gesiebt werden…
Ich weiß, ich muss bitterlich weinen,
wenn ich ihren traurigen Augen nicht ausweiche,
denn sie wollen auch geliebt werden.
Nimm mir die Angst vor diesen Tränen.
Herr, du hast Wasser in Wein verwandelt.
So wandle auch diese Tränen in den Wein der Freude,
Freude über deine Geduld,
Freude über deine Fürbitte,
Freude über die offene Tür zur Umkehr und
Freude über dein Zutrauen,
dass Schwache deine Brüder und Schwestern stärken können.
Lass dies Wunder unter uns geschehen. Amen.
Lied 365
Lätare 2001
Johannes 6,47-51
48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe. 51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.
Liebe Gemeinde,
noch immer sehe ich den verständnislosen Blick meines Gegenübers. Das darf doch nicht wahr sein, stand in seinem Gesicht geschrieben.
Vielleicht konnte man auch darin lesen: Der ist ja nicht ganz dicht.
Auf jeden Fall hatte ich ihm eine Antwort gegeben,
die ihn sichtlich verunsicherte.
Dabei hatte meine Antwort aus nur einem Wort bestanden:
Lebenshunger, hatte ich geantwortet,
auf seine Frage „Was war denn das?“
Er hatte mich angesprochen auf mein Verhalten, das ihm Spanisch vorkam, das nicht in seine Welt passte, das ihm fremd war.
Richtig entgeistert fragte er: „Was war denn das?“
Lebenshunger, antwortete ich ganz cool.
Cool, war ich das wirklich?
Kann man denn ganz gelassen über seinen Lebenshunger reden? Bekennen, dass man manchmal so leer, so tot ist,
dass man eher gelebt wird als zu leben?
Ja, es kann ganz schick sein,
über Depressionen, Ängste, Probleme zu reden,
so wie es uns in den Talkshows am laufenden Band vorgemacht wird.
Aber über Lebenshunger?
Würden gute Freunde oder Partner das überhaupt verstehen?
Lebenshunger! Da würde man ja zugeben, dass man Mangel hat,
Und das in unserer Spaß-Gesellschaft,
wo wir doch trainiert sind,
auf jedes „Wie geht’s?“ mit GUT zu antworten,
wo Keep smiling und Don’t worry, be happy Programm sind.
Noch weiter: Dürfen Glaubende Mangel haben und es zugeben?
Wo wir doch im Psalm vom Guten Hirten bekennen:
Mir wird nichts mangeln.
Christus spricht: Ich bin das Brot des Lebens.
Moment mal, das heißt doch,
dass er von meinem Lebenshunger ausgeht, ja, dass er ihn voraussetzt, oder nicht?
Wenn Christus sich als Brot des Lebens anbietet,
dann ist das doch eine Sache von Angebot und Nachfrage, oder nicht?
Dann wäre ja Lebenshunger geradezu die Voraussetzung,
um Christus zu entdecken, um an ihn zu glauben.
Dann würde er mich nicht so entgeistert anschauen,
wenn ich ganz offen und ehrlich vor ihm zugäbe,
dass ich einen Riesen-Lebenshunger verspüre,
dass ich nicht satt und zufrieden bin.
Christus, das Brot des Lebens,
Christus, der deinen Lebenshunger kennt.
Wie wohltuend, einmal nicht den großen Macker, den tollen Hecht,
den satten Erfolgsmenschen spielen zu müssen.
Wie entspannend, vor einem, der es versteht,
alles mal ungefiltert rauszulassen:
Jesus, Sohn Gottes, ich bin so durcheinander,
es läuft nichts so wie ich’s mir erträume,
ich strenge mich an, ich versuche alles Mögliche,
aber Glück und Zufriedenheit
scheinen in immer weitere Ferne zu rücken.
Oft erreiche ich genau das Gegenteil.
Manches Mal jage ich einer Täuschung nach:
Ich suche Anerkennung, dabei sehne ich mich eigentlich nach Liebe.
Ich suche Abwechslung, dabei will ich Leben.
Ich verlange nach Sicherheiten, doch brauch ich eigentlich Gewissheit.
Da vor Christus ist dein und mein Platz.
Da können wir gelassen alle Facetten unseres Lebenshungers und unserer manchmal fragwürdigen Versuche der Sättigung aussprechen.
Der guckt dann nicht auf uns runter,
denn der Gekreuzigte ist der Gott in der Tiefe,
der Gott in uns und mit uns - in der Tiefe.
Ja, das ist schon fast die halbe Miete,
seinen Lebenshunger aussprechen zu können,
vor einem, der davon ausgeht, dass wir hungrig sind.
Aber jetzt, liebe Gemeinde, kommt’s deftig:
Christus stellt sich nicht nur als Brot des Lebens vor,
sondern er spricht ganz konkret von seinem Fleisch und Blut,
und verspricht den daran Teilhabenden, dass sie nicht sterben.
Und dann erklärt er noch das Manna in der Wüste,
das Brot vom Himmel als untauglich,
denn die es aßen auf dem Weg ins Gelobte Land,
seien trotzdem gestorben. Harte Brocken.
Das war mir zuerst alles zu absolut, zu markig, zu überzogen;
ich wollte mir daher einen andern Bibeltext als den hier vorgeschriebenen aus Johannes 6 für meine Predigt suchen.
Aber wie so oft, entdeckte ich auch diesmal,
dass in der härtesten Schale oft die schmackhaftesten Kerne versteckt sind.
Stundenlang klopfte ich den Bibeltext ab nach der Frage:
Worin besteht denn das Brotsein Christi,
oder anders gefragt: Was genau macht ihn denn zur Sättigung
für meinen Lebenshunger???
Wenn da von Christi Fleisch und Blut die Rede ist,
wird doch die bessere Sättigung nicht im häufigeren Besuch des Abendmahls liegen? Befremdlicher Gedanke.
„Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.“ (v.51)
Da, genau da, muss die Antwort auf meine Frage liegen.
Womit stillt Christus den Lebenshunger?
Mit seinem Fleisch,
darf man sagen, mit seiner Person mit seiner Existenz,
die er gibt für das Leben der Welt,
mit seinem Leben, das er hingibt???
Geht’s um Hingabe? Ist es Hingabe, die den Lebenshunger stillt?
Da könnte was dran sein, dachte ich.
Dann entdeckte ich ein paar Verse vorher, im selben Kapitel,
die Geschichte von der wunderbaren Speisung von Tausenden.
Da geht’s ja auch um Hunger und um Stillung desselben.
Warum werden ALLE satt?
Weil alle, die etwas haben, es hingeben,
es teilen, sich mitteilen,
die Sicherung der eigenen Existenz auf- und hingeben.
Der gleiche Gedanke: Wo Hingabe geschieht, wird Hunger gestillt.
Jesus, Brot des Lebens, durch seine Hingabe?
Und nun werden viele gleich ans Kreuz Christi denken:
Da hat er sich hingegeben,
geopfert für unsere Sünden, nach Gottes Willen.
Halt, halt und noch mal Halt,
jetzt passiert eine schreckliche Verkürzung
Jetzt passiert, was Tilman Moser vor Jahren Gottesvergiftung nannte:
Gott wird zum Sühne fordernden Monster
und Jesus zum dumpfen Opferlamm, das alles auf sich nimmt.
Aber zunächst einmal ist Jesu LEBEN Hingabe,
nicht sein davon isolierter Tod.
Da rennt einer jubelnd durch die Straßen,
schwingt über sich seine Pritsche,
auf der er jahrelang gelähmt gelegen hatte.
Das darf er nicht, murren die frommen Paragraphenreiter.
Aber der Jesus habe ihn geheilt und gesagt:
Nimm dein Bett und wandle!
Das darf der auch nicht. Schon jetzt blitzt ferne das KREUZIGE auf.
Aber Jesus bleibt auf diesem Kurs, riskiert sein Leben,
lebt seine Hingabe an Menschen, an ihre Freude und an ihr Leid.
Und wehrt damit der Gottesvergiftung:
So ist Gott, heilend, aus Festlegungen befreiend,
nicht säuerlich missgünstig die Regeleinhaltung überwachend.
Oder Jesus beruft als erster Rabbi Frauen als seine Schüler,
Sie heißen Maria, Johanna und Susanna.
Nur Lukas erwähnt sie, warum die andern nicht???
Die waren vielleicht wütend, weil ein Männerprivileg am Bröseln war.
Einige fangen jetzt schon an,
die Nägel für Jesu Kreuzigung zu schmieden
Er weiß das, aber es bringt ihn nicht von seinem Kurs ab.
Es ist ein Kurs liebevoller Parteinahme, aktiver Hingabe.
Und auch damit wehrt er der Gottesvergiftung:
Es ist nicht Gott, der die Hälfte der Menschheit
vom Studium seines Wortes ausschließt.
Oder er erzählt von einem, der im Tempel nicht richtig beten kann,
sondern nur stöhnt: Gott, sei mir Sünder gnädig.
Der sei von Gott angenommen, nicht der wortgewandte fromme Profi.
Das tat manchen sooo gut, aber andern soooo weh!
Oder von einem Vater, der eine wilde Party organisiert,
weil sein missratener Sohn wieder heimgekrochen kam.
Der ist doch nicht dicht, der Alte. So sei Gott.
Und wieder blitzt bei einigen Hoffnung auf, bei andern der kalte Hass.
Nicht dumpf und passiv ist Jesu Hingabe,
sondern aktiv teilnehmend an dem was Menschen umtreibt,
immer Partei ergreifend für das Bedrohte und an den Rand Gedrängte,
immer das Risiko einer gewalttätigen Reaktion vor Augen.
Auf Teufel komm raus steuert er diesen Kurs,
ja, damit der Teufel rauskommt aus den vergifteten Mustern der Religion
So versteht er Hingabe.
Und schließlich wird uns noch erzählt von einer,
die auf seine Hingabe mit ihrer Hingabe antwortet,
so wie sie diese eben versteht, eindeutig zweideutig.
Eine stadtbekannte Sünderin benetzt Jesu Füße mit ihren Tränen,
und trocknet sie mit ihren Haaren.
Und das in der Öffentlichkeit, im Hause eines Pharisäers.
Und Jesus distanziert sich nicht, sondern macht sie zum Vorbild:
„Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt;
wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.“ Lk 7,47
Und spätestens jetzt ist seine Ermordung beschlossene Sache.
Begeisternd, dieser Jesus, ein neuer Geist der Hingabe.
Nahrung gebend für Hoffnungen und Träume
Mitreißend, dass solche aktive und Partei ergreifende Hingabe
ab und zu auch in unserem Leben aufblitzt.
Könnte es sein, dass so dein und mein Lebenshunger gestillt wird?
Wer sein Leben gewinnen will, der wird’s verlieren,
wer aber das Leben um meinetwillen hingibt,
der wird’s gewinnen.
(Mt.10,39)
Amen
Die Unvollendete
Judika 2004
Hebräer 5,7-10
7 Und er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. 8 So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. 9 Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden, 10 genannt von Gott ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks.
Liebe Gemeinde,
wenn ein Soldat ALLE Befehle seiner Vorgesetzten erfolgreich befolgt,
ist er dann ein guter Soldat?
Sicher – aus der Sicht seiner Führer.
Und aus Gottes Sicht?
Wenn ein Mensch alle 10 Gebote befolgt,
den Sonntag hält, nur an einen Gott glaubt, nicht lügt, stiehlt usw.,
kommt er dann in den Himmel?
Sicher – aus unserer Sicht. Aber wie sieht Gott das?
Das ist doch eine wichtige Frage, denn da wollen wir ja alle hin,
in den Himmel, oder nicht?
Und wenn Jesus brav alle 10 Gebote gehalten hätten,
hätten dann Juden und Römer ihn nichtgekreuzigt?
Und wenn Jesus die 10 Gebote gehalten hätte,
sich auch hätte foltern und ermorden lassen,
könnte er dann unser Erlöser sein?
Sicher – aus unserer Sicht. Aber wie sieht Gott das?
Interessiert Sie das?
Oder ist Ihnen das sch..nitzpiepe, weil Sie sich eh Ihren Glauben selber basteln?
Nein, es reicht nicht in den Himmel,
nein, es qualifiziert nicht zum Erlöser,
wenn wir nur an die machbaren (und doch so schweren)Gebote denken,
die uns so in den Sinn kommen.
Nur weil einer ein paar miese Dinge NICHT tut,
kommt keiner in den Himmel, erlöst auch keiner diese Welt,
garantiert nicht, da bin ich mir ganz sicher, da ist die Bibel eindeutig.
Aber da ist dieser Donnerschlag, gleich am Anfang der 10 Gebote:
Anoki Jahwä Eloheika!
Das steht über den Geboten und zwischen jeder Zeile:
Anoki Jahwä Eloheika!
Das ist Voraussetzung, Inhalt und Gewalt jedes einzelnen Gebotes:
Anoki Jahwä Eloheika!
Jetzt dreht er durch, befürchten Sie,
jetzt sollen wir Hebräisch lernen,
jetzt wird’s ein wenig einseitig.
Ja, einseitig, Anoki Jahwä Eloheika!
Ich bin der Herr, dein Gott,
damit ist jedes Gebot überschrieben, durchdrungen und gezeichnet.
Anoki Jahwä Eloheika! Ich bin der Herr dein Gott.
Wer das vergisst, weiß nicht was Gottes Gebote sind.
Wer ohne das Missetaten vermeidet,
nicht lügt, stiehlt, die Ehe nicht bricht,
kann auch nur ein Feigling sein.
Wer ohne das Anoki Jahwä Eloheika! Lebensrichtlinien einhält,
mag klug und weise sein,
hat aber keine Ahnung, was Gehorsam gegenüber Gott ist.
Denn WER ist dieser Gott?
Es ist der Gott der Liebe, der Gott, der Liebe ist!
Der Gott der Liebe, der dich aus der Sklaverei geführt hat.
Du stiehlst nicht? Prima, wirklich gut für dich.
Tust du’s nicht, weil du deine Mitmenschen liebst – prima!
oder weil du Angst vor Strafe hast – Feigling!
oder weil du in den Himmel willst – Egoist.
Du brichst die Ehe nicht? Prima, wirklich gut für dich.
Tust du’s nicht, weil du deine Frau liebst – prima!
oder weil du Angst vor Chaos hast – Feigling!
oder weil du in den Himmel willst – Egoist.
Nur wer Gebote hält, weil er liebt, tut’s in Gottes Sinn,
alles andere ist im besten Fall Klugheit,
im schlimmsten Selbstbeweihräucherung, Feigheit oder Egoismus.
Nur wer Gottes Gebote hält, weil er liebt,
tut’s im Sinne des Gottes der Liebe, der ist ihm gehorsam.
(1. Korinther 13, 1- 3 vorlesen)
Liebe Gemeinde, wenn Sie bis jetzt mit mir nach-gedacht haben,
dann haben Sie eine Ahnung, welcher Art der Gehorsam Jesu war,
den wir besonders in der Passionszeit bedenken und von dem der Hebräerbrief spricht.
Kein Kadavergehorsam, sondern
Judika 1989 -
Johannes 11, 47-53
47 Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen. 48 Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute. 49 Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in dem Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts; 50 ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe.
51 Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in dem Jahr Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk 52 und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen. 53 Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn töteten. 54 Jesus aber ging nicht mehr frei umher unter den Juden, sondern ging von dort weg in eine Gegend nahe der Wüste, in eine Stadt mit Namen Ephraim, und blieb dort mit den Jüngern.
Liebe Gemeinde, der Gott der Menschen heißt NUTZEN,
damals wie heute.
Was einen Menschen umtreibt,
sein Denken, Planen und Handeln bestimmt, das ist sein Gott.
Wenn es nutzt, wird gelogen, und es wird dabei nicht nach Gott gefragt, denn der Nutzen, wohlgemerkt der eigene Nutzen, bestimmt das Handeln, ist also Gott.
Wenn es nutzt, wird betrogen, Versicherungen, Ehepartner, Kollegen, da wird nicht nach Gott gefragt,
denn der Nutzen hat ja seine Stelle eingenommen.
Wenn es der Karriere nutzt, wird nicht gefragt, was Gott dazu meint oder ob es den Kindern schadet, denn der eigene Nutzen sitzt auf dem Thron.
Wenn es nutzt, wird das Grundrecht geändert,
und Asylsuchende in das Land des Mörders Chomeni oder in Länder folternder Offiziere abgeschoben.
Wenn es nutzt, so sagte sich vor fast 2000 Jahren der Hohepriester Kaiphas, dann ist es besser EINEN umzubringen, als VIELE in Gefahr geraten zu lassen.
Was Gott dazu meint, diese Frage stellt er sich schon gar nicht mehr, obwohl er Priester ist.
Denn er war zu einem Hohepriester des Nutzens geworden, politisches Kalkül stand ihm näher als Gottes Gebot.
Und Kaiphas liegt ja nicht falsch in seiner Einschätzung der Lage: Schwerbewaffnete römische Besatzer waren im Land,
bereit auch nur den kleinsten Unruheherd im Keim zu ersticken. Misstrauisch verfolgten sie die Bewegung um den Wanderprediger Jesus.
Das Volk lief ihm nach, man sagte ihm Wunder nach.
Von ihm ging für viele eine eigenartige Faszination aus.
Viele vermuteten in ihm den Messias.
Klar, die Römer erkundigten sich, was denn das sei, ein Messias.
Sie fanden heraus, dass viele darunter einen Befreier verstanden.
Sie wurden hellhörig. Befreier von wem?
Von den Römern?
Sollte Jesus ein Anführer von Terroristen sein oder werden?
Wenn das Volk Jesus mehr und mehr nachlaufen würde,
würden die Römer eingreifen,
brutal, willkürlich und ein Exempel statuierend.
Sie konnten es sich nicht leisten,
den Widerstand im besetzten Land hochkommen zu lassen.
Auch sie fragten nach dem Nutzen und nicht nach Recht.
Vielleicht konnte sich Kaiphas so gut in das Denken und wahrscheinliche Verhalten der Römer hineindenken,
weil er selbst aus dem gleichen Holz geschnitzt war,
weil er selbst den gleichen Gott anbetete: das eigene Interesse,
den eigenen Nutzen, die Zweckmäßigkeit.
Kaiphas verstand sich zwar als Angehöriger des Volkes Gottes,
ja als Priester Gottes, aber wenn es darauf ankam,
hatte er dieselben Maßstäbe und Werte wie die Römer.
Einen Unschuldigen opfern, wenn es zweckmäßig ist,
ein Zweckmäßigkeitsopfer, warum nicht?
Wenn ich mir es recht überlege,
sind die Römer eigentlich konsequenter und ehrlicher:
Sie bekennen sich offen zur Vergottung von Menschen,
sie lassen ihre Cäsaren als Götter verehren, ganz offiziell.
Das ist bei Kaiphas schon ganz anders:
Er und seine Leute haben Gott dauernd auf den Lippen,
aber im Denken und Handeln
haben sie sich längst selbst an Gottes Stelle gesetzt.
Wenn da etwas als nützlich erscheint,
fragt keiner mehr nach Recht, Wahrheit und Liebe –
und eben dafür steht Gott –
sondern dann ist sich jeder selbst sein eigener Gott.
Und diese Linie wurde bis heute konsequent fortgesetzt.
Auf allen Ebenen leitender Gremien in der Kirche ist folgendes zu beobachten:
Am Anfang und am Schluss einer Sitzung stehen Gottes Wort und Gebet, dazwischen aber, da wo die Entscheidungen fallen,
kommt weder Wort Gottes noch Gebet vor.
Da regiert die Zweckmäßigkeit, der Nutzen.
So handeln Synoden, Kirchengemeinderäte und Ältestenkreise.
Und kann man dies nicht auch ein Stück weit verstehen?
Denn ließe man sich bei Entscheidungen auf die biblisch-theologische Ebene ein,
dann hätten doch immer die Theologen das Sagen
und die sogenannten Laien würden untergebuttert, oder nicht?
Dann könnten Theologen ihre Macht missbrauchen,
und ihren eigenen, genauso selbstsüchtigen Willen durchsetzen,
mit geschickten Beweisfetzchen aus der Bibel.
Und genauso ist es, denn Theologen sind genauso anfällig von der Selbstvergottung, sind genauso umworben vom Gott Nutzen,
das sieht man an Kaiphas, denn er war schließlich Theologe.
Aber selbst wenn das so ist, ist es nicht tragisch,
wenn man als Gemeinde Jesu Christi Jesus Christus nicht mehr fragt, wenn es um konkrete Entscheidungen geht????
Die Konfirmanden spielen jedes Jahr eine Ältestenkreissitzung.
Sie spielen Älteste einer Neubausiedlung,
die noch keine Kirche hat.
Nun bekommt die Gemeinde, die bis jetzt in der kath. Kirche zusammenkam, 1 Million DM von EOK, um sich eigenverantwortlich ein Zentrum für die Gemeinde zu schaffen. Im Ältestenkreis gibt es verschiedene Meinungen, wie denn dies Geld zu verwenden sei: Frau Neuwind will damit ein Jugendzentrum bauen, Herr Bleibtreu eine Kirche, Frau Treffdich ein Gemeindezentrum und Herr Hilfreich will in der kath. Kirche bleiben und die ganze Million den Hungernden geben. Und die Konfirmanden spielen dann eine Sitzung und eine Gemeindeversammlung. Immer wird mit Mehrheit entweder für das Jugend- oder für das Gemeindezentrum gestimmt. Wenn ich dann anschließend frage: Und wofür wäre wohl Jesus gewesen, dann tritt jedes Mal die nachdenklich machende Situation ein, dass nach Meinung der Konfirmanden Jesus immer anders entscheidet als die Gemeinde. Die Konfirmanden meinen immer, Jesus würde den Hungernden helfen und weiterhin das brüderliche Miteinander mit der kath. Kirche pflegen.
Im Spiel und in der Wirklichkeit stimmen die Christen nicht so
wie der, nachdem sie sich nennen.
Daran leidet die Kirche, daran leidet die Welt, daran leidet Gott.
Unter dem Gott Nutzen leiden alle, auch die,
die unter und mit ihm momentane Triumphe feiern.
Doch so wie theologisch nicht trainierte Konfirmanden
könnte sich doch jeder Christ, jeder Älteste, jeder Kirchengemeinderat, jeder Synodale, vor Entscheidungen die Frage stellen: Was würde Jesus dazu sagen?
Die hat sich Martin Niemöller in aller Konsequenz immer gestellt,
und sich ihrer Schlichtheit nicht geschämt-
Sie brachten ihn allerdings ins KZ.
Was würde Jesus dazu sagen? Dazu brauchts kein theologisches Buchstabenwissen, denn das ist keine knifflige Buchstabenfrage, sondern eine Geistesfrage.
Da wird es zwar immer noch verschiedene Einschätzungen geben, aber wer die Frage ehrlich stellt,
gerät in das Umfeld Jesu Christi
und gerät dadurch aus dem Bann des Götzen Nutzen.
Dann kommt Gott wieder zu seinem Recht
und dadurch auch der Mensch in seiner Sehnsucht nach Recht, Wahrheit und Liebe.
Aber Kaiphas wollte nicht Recht, sondern Nutzen,
nicht Wahrheit, sondern Zweckmäßigkeit,
nicht Liebe, sondern Gewalt.
Denn Wahrheit und Liebe bergen auch immer ein Risiko in sich,
das Risiko des Leidens.
Und dieses Risiko wollte er nicht eingehen.
Deshalb muss ein Unschuldiger sterben,
anstelle anderer,
wie schrecklich, wie menschenverachtend, wie zynisch.
Doch Johannes lässt uns nun einen Blick tun in eine Dimension,
die uns meist verborgen bleibt:
Furchtbares wandelt Gott in Fruchtbares,
was menschenverachtend gedacht war,
lässt Gott zu etwas Menschen suchendem werden,
das geplante Zweckmäßigkeitsopfer wird zum Opfer des Lammes Gottes,
das der Welt Sünde trägt.
Dadurch sind Kaiphas und die Anbeter des Gottes Nutzen nicht gerechtfertigt, aber jeder soll wissen,
dass Gott zu seinem Recht kommt.
Und das ist nicht schrecklich, sondern tröstlich,
denn bei Gott heißt es nie: Eigennutzen vor Recht,
sondern Gnade vor Recht.
Und darin ist Hoffnung für uns verlorene Kinder Gottes.
Dietrich Bonhoeffer fasste diese Hoffnung so zusammen:
Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nie im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet. Amen.
Palmsonntag 1987
Lukas 7, 36-50
36 Es bat ihn aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. 37 Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl 38 und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl.
39 Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. 40 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! 41 Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. 42 Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben? 43 Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt.
44 Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. 45 Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. 46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47 Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.
48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. 49 Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt? 50 Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!
Liebe Gemeinde, das Folgende sind die Gedanken eines Menschen, der ungenannt in dieser Geschichte von der Salbung in Bethanien vorkommt.
Er kennt seinen Platz in dem Geschehen im Hause des Aussätzigen mit Namen Simon, obgleich er dieses Haus nie betreten hat.
Er weiß zu welcher Seite er gehört.
Zwischen Jesus und der unbekannten Frau auf der einen,
und ihm selbst und den Vielen auf der anderen Seite
klafft ein tiefer Riss.
Aber dieser Mann weiß nicht nur wo er ist,
er weiß auch, wo er lieber wäre.
Lassen Sie mich diese Gedanken in der Ich-Form vortragen.
(Das ist einfacher, vielleicht auch ehrlicher!):
Hier seine Gedanken und Gefühle:
Eins kann ich vorweg sagen,
Dieser Jesus ist immer für eine Überraschung gut!
Kaum glaubt man, ihn verstanden zu haben,
kaum hat man sich von der letzten Überraschung erholt,
da ist er wieder so ganz anders.
Nichts gegen Überraschungen,
die sind doch das Salz in der langweiligen Suppe des Lebens.
Sie dürfen aber nicht ans Grundsätzliche rühren,
gewisse Prinzipien müssen doch gewahrt werden.
Kennen Sie auch das Gefühl,
in einer Sache wenigstens diesmal bombenrichtig zu liegen?
So überhaupt keine Zweifel, das ist ein tolles Gefühl!
Und sehen Sie, das hatte ich dies eine Mal im Hause Simons.
Sonst bin ich ein extrem selbstkritischer Mensch,
aber wenn jemand den Jahreslohn eines Arbeiters
in geradezu schamloser Weise verschwendet,
so ohne Sinn und Zweck, dann sehe ich rot.
In Ordnung,
natürlich hat diese eigenartige Unbekannte es nicht an irgendeinen, sondern an Jesus verschwendet.
Aber dennoch, wir mussten unsere Bedenken vorbringen,
wir meinten sie auch vorbringen zu können,
wo Jesus doch als Freund der Armen bekannt ist.
Sie werden glauben, dass meine Phantasie mit mir durchgegangen ist, wenn ich Ihnen verrate,
dass ich Jesu Reaktion auf unsere kritischen Bedenken gegenüber dieser maßlosen Verschwenderin buchstäblich hörte.
Da gab es gar keinen Zweifel,
was er zu uns Verschwendungskritikern sagen würde.
Uneigennützig wie er nun einmal ist,
hörte ich ihn uns bestätigen: Recht habt ihr!
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan und was ihr einem dieser geringsten Brüder nicht getan habt, das habt ihr mir auch nicht getan.
Todsicher war ich - das musste an der Stelle so kommen.
Aber wie schon gesagt,
auch hier war Jesus mal wieder eine Überraschung wert,
eine recht unangenehme allerdings,
unangenehm jedenfalls für uns auf der anderen Seite.
Da hat Jesus doch glatt die Seiten gewechselt.
Wir glaubten ihn ohne jeden Zweifel auf der unseren zu haben und sahen diese unbekannte Spinnerin allein auf der andern.
Nein, er gesellt sich zu ihr,
lobt sie ob ihrer wunderschönen Tat und rügt uns wegen unseres REDENS über gute Werke.
War das wohl der Grund für seine Parteinahme für die Frau,
dass sie wirklich etwas tat, wir aber nur übers Tun laberten?
Oder hat ihn geärgert, dass wir über den rechten Verwendungszweck IHRES Geldes diskutierten,
jedoch auf unseren eigenen Geldbeuteln sitzen blieben?
Aber Menschenskinder, wo bleiben wir denn,
wenn man nicht mehr über Verhältnismäßigkeit,
über Zweckmäßigkeit und über Mäßigkeit im Allgemeinen debattieren soll.
Es muss doch alles sein Maß, seine Ordnung haben.
Was gestern richtig war, wird auch heute und morgen richtig sein, oder nicht?
Wissen Sie, Frauen sind da manchmal allgemein etwas eigenartig, überschwänglich, unberechenbar,
manchmal kennen die weder Maß noch Ziel in ihrem Verhalten, benehmen sich zuweilen wie KInder.
Stichwort Kinder:
Nun erinnere ich mich deutlich, dass da doch schon einmal eine ganz ähnliche Situation war wie im Hause Simons,
wo wir uns auch auf der Seite des Meisters glaubten
und er uns dann im Regen stehen ließ.
Nach einem harten Tag wollten einige, es waren natürlich Mütter,
ihre Kinder zu Jesus bringen.
Wir versuchten, unseres Chefs wohlverdiente Ruhe zu schützen. Aber da fällt er uns in den Rücken,
lädt diese kleinen Schreihälse extra ein und
konfrontiert uns danach noch mit dem Denkspruch:
Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder,
könnt ihr nicht in das Reich Gottes kommen.
So peinlich es auch für mich ist, aber ich muss ihnen jetzt nach beinahe 2000 Jahren ein Geständnis ablegen:
Auch im Hause Simons, gab der Meister einen Satz zum Denken, aber verstehen Sie, der war so unglaublich realitätsfremd
und vor allem innerhalb unserer Tradition so missverständlich,
dass wir Männer, und jetzt kommt mein Bekenntnis,
ihn einfach unterschlugen.
Da hatte Jesus nämlich mit dem absolut skandalösen Wort geschlossen:
Wenn Ihr nicht werdet wie die Frauen,
so könnt ihr nicht in das Reich Gottes kommen.
Oft haben wir, natürlich unter Ausschluss der Frauen,
darüber diskutiert,
ob wir diesen Satz doch irgendwo an wenig prominenter Stelle
in einem Evangelium unterbringen sollten,
aber wir waren einhellig der Meinung,
dass dieser EINE Satz dann das ganze Thomas-Evangelium,
wie wir es einmal nennen wollen, unannehmbar gemacht hätte.
Da ließen wir's ,
denn man muss ja immer das Ganze im Auge behalten, oder nicht?
Die Frau als Typus für den Menschen in und unter der Gottesherrschaft?
Unmöglich, denn schließlich gibt's die blutrünstige Herodias
und auch die Eiserne Lady Maggie.
Undenkbar auch, was der Denkspruch
"Wenn ihr nicht werdet wie die Frauen,
so könnt ihr nicht in das Reich Gottes kommen"
in den Traditionen angerichtet hätte,
der jüdischen wie der christlichen.
Was wäre aus dem Gebet des frommen Juden geworden,
der jeden Morgen als Teil seines Pflichtgebets spricht
"Ich lobe dich, Herr, dass du mich nicht als Frau geschaffen hast."?
Was aus der Tradition,
das Studium der heiligen Schriften der Frau zu versagen,
mit der Begründung, dass sie sonst unmäßig würde?
Und wo wäre die Meinung des Apostels Paulus geblieben
"Das Weib schweige in der Gemeinde"
All das und viel mehr wäre buchstäblich zerstoben,
hätte sich ins Nichts aufgelöst.
Wie bitte? Sie meinen, das wäre ganz gut so gewesen.
Vielleicht haben Sie Recht,
mein Verständnis von Fairness sagt mir das auch.
Aber es ist so schwer, über seinen Schatten zu springen.
Diese elenden Rollenzwänge!
In den Ältestenkreis gehören vorwiegend Männer,
in den Besuchsdienstkreis jedoch überwiegend Frauen.
Das sind zwei ungeschriebene Gesetze in Kirchengmeinden
landauf, landab.
Können die einen eher Macht ausüben
und die andern eher Ohnmacht aushalten?
Oder warum ist das so?
Haben Sie keine Angst,
ich will nicht in emanzipations-theologische Gedanken ausufern. Verzeihen Sie mir bitte auch mein Hin- und Hergespringe
zwischen dem Haus des Simon damals
und der Bruchsaler Südstadt heute.
Aber ich habe meinen Platz in der Geschichte, er ist bei den Vielen,
aber ich möchte bei Jesus und der Frau sein,
bei denen fasziniert mich einiges unheimlich.
Vielleicht bin ich Jedermann?
Ich kann es Ihnen auch recht genau sagen,
was mich an der maßlos verschwenderischen Frau so anspricht
nach all der anfänglichen Opposition:
Sie hatte irgendwie das Einfühlungsvermögen,
dass im Hause des Simon ein einsamer Todeskandidat
eine seiner letzten Mahlzeiten zu sich nahm,
während wir andern
in ihm noch immer den möglichen politischen Befreier sahen,
hofften, dass er bald mit Gewalt das Joch der Römer
von uns streifen könnte.
Sie aber wusste, dass ihm bald Gewalt angetan werden würde.
Daher hatte sie den Balsam der letzten Ölung bereit,
wir aber hatten, bildlich gesprochen
immer das Öl für die Salbung des Messias in der Tasche,
mit dem wir ihn endlich aus der Reserve locken wollten.
Jesus muss so furchtbar einsam gewesen sein.
Wir waren an seiner Rolle,
an seinem Amt, an dem was er bringt, interessiert.
Aber da durchbricht diese Frau unsere ihn vereinsamende Wand,
und wendet sich seiner Person zu,
behandelt ihn mit wohltuenden Balsam,
während wir von fernen und anonymen Armen reden,
ohne zu merken, dass hier zwei wirklich Arme unter uns waren,
die hier und jetzt unsere Zuwendung brauchten.
Aber stattdessen bombardierten wir beide
mit ausgesprochenen und angedeuteten kritischen Vorwürfen,
die nichts als Richtigkeiten bedeuteten,
von der befreienden Wahrheit allerdings Lichtjahre entfernt waren. Ach, könnte man diese verfluchten Programme,
diese Richtigkeiten, diese Prinzipien doch einfach löschen,
wie in einem Computer!
Aber was dann? Ein neues Programm?
Seit wann lässt sich Liebe programmieren?
Hat die Frau sich in die Einsamkeit
dieses von der Gewalt bedrohten Menschen hineinfühlen können, weil sie selbst ihr ganzes Leben lang
struktureller Gewalt ausgesetzt war - als Frau?
Sie gehörte als solche zu denen für die Religion oft Ungerechtigkeit, und das was wir landläufig Liebe nennen, zuweilen Gewalt bedeutet. Aber sie gehörte dadurch auch zu denen,
die Jesus liebten und schätzten,
eben weil er diese Spielchen
von offener und versteckter Gewalt nicht mitmachte.
Endlich einer,
der diesen religiös verbrämtem Chauvinismus nicht mitmachte
- wie unendlich wohltuend!
Warum also ihm nicht ganz spontan wohl tun,
ihn statt Prinzipien Balsam, anstelle von Erwartungen Zuwendung fühlen lassen?!
Und noch etwas beeindruckt mich an dieser Frau,
und ich hoffe, dass ich nicht zu viel in sie hineininterpretiere:
Ich ahne, dass sie in Jesus
etwas vom Geheimnis des leidenden Gottes erkannt hat.
Sehen Sie, ich träume Gott so oft
als den, der die Welt erlöst,
indem er dem Leiden und der Ungerechtigkeit ein Ende macht
durch einen gewaltigen Schlag.
Die Frau im Hause Simons aber ist angezogen von dem,
der weder mit schlagenden Argumenten
noch mit gewaltigen Waffen das Heil der Welt sucht,
sondern im Mitleiden.
Sollte die Frau in Jesus der Paradoxie des leidenden Gottes
auf die Spur gekommen sein?
Wenn das so ist, dann befreit IHR Gott sie zu spontaner Liebe, während ich dem meinen Respekt zolle
(oder auch nicht, wenn er mich enttäuscht)!
JA, ich weiß, wo ich zu finden bin im Geschehen
im Hause des Simon zu Bethanien.
Das tut weh.
Aber ich möchte auch meinen Gott dort finden in diesem Haus.
Ich bin fasziniert von dem Gott,
der durch seine Gewalt die Leiden der Welt
nicht einfach umverteilt in einem gewaltigen Gericht,
sondern sich selbst mittragend in sie hineinbegibt.
Ich versteh diesen Gott, der sich da in Jesus zeigt nicht immer,
oft verleugne ich ihn auch wie Petrus durch mein Handeln-
aber verraten wie Judas KANN ich ihn einfach nicht,
denn ich brauche weder Respekt noch Prinzipien - aber Liebe.
Wie gesagt, ich weiß wo ich bin in dieser Geschichte,
aber ich weiß auch wo es mich hinzieht.
Ich habe im Ich-Stil erzählt, weil's einfacher war, aber auch weil's mir ehrlich ehrlicher erschien.
Wenn auch Sie in dieser Sache in der Ich-Form
reden können und wollen, lade ich Sie ein zum stillen Mitbeten ein:
Herr, mein Gott, befreie mich von meinen Götzenbildern die sich in Machtphantasien zeigen. Herr Jesus Christus, präge mir dein Bild ein als der Mitleidende. Heiliger Geist, lass mich seufzen mit allem Leben, das unter der Gewalt leidet und lass befreit mich verschenken an alle, denen du dich geschenkt hast. Amen.
Karfreitag 1989
Matthäus 27,31-50
An diesem Karfreitag des Jahres 1989 wird uns als zum Gottesdienst versammelte Gemeinde viel zugemutet:
Wir sollen den Kreuzigungsbericht nach Matthäus hören.
In düsteren Farben schildert der das Treiben
von gottverlassenen Menschen und das von ihnen verursachte
und gewollte Leiden des von Menschen und von Gott verlassenen Gottessohnes.
Im Matthäus-Evangelium wird nur von Spott und Grausamkeit der offensichtlich von Gott verlassenen Menschen und der totalen Verlassenheit Jesu berichtet.
In diesem Evangelium fehlen alle “Lichtblicke” des Kreuzigungs-geschehens an die wir viel lieber denken,
ja, an die wir uns geradezu klammern:
Weder der große Wort Christi “Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun noch der sich ihm zuwendende Verbrecher, auch Schächer genannt, sind bei Matthäus erwähnt.
Auch Jesu letztes Wort, das im Johannes-Evangelium einem Siegesschrei gleichkommt “Es ist vollbracht” kommt im Matthäus-Evangelium nicht vor; dort heißt es nur “Und Jesus schrie noch einmal laut und verschied.”
Unserer Sehnsucht nach einem Lichtstrahl des Ostermorgens in dem Geschehen auf Golgata kommt das Matthäus-Evangelium nicht entgegen.
Ist das denn noch Evangelium, Gute Nachricht?
Hören wir Matthäus, dessen Bericht von der Kreuzigung für viele Christen damals die einzige Grundlage zum Verstehen dieses Geschehens waren;
sie kannten die von uns geliebten und ersehnten Lichtblicke der anderen Evangelien nicht.31 Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Mantel aus und zogen ihm seine Kleider an und führten ihn ab, um ihn zu kreuzigen. 32 Und als sie hinausgingen, fanden sie einen Menschen aus Kyrene mit Namen Simon; den zwangen sie, dass er ihm sein Kreuz trug.
33 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, 34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er's schmeckte, wollte er nicht trinken. 35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. 36 Und sie saßen da und bewachten ihn. 37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König.
38 Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken.
39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40 und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. 43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. 44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.
45 Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. 48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. 49 Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! 50 Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.Weder das Wissen um den Ostermorgen
noch volkskirchliche Gewöhnung schützen vor tiefer Betroffenheit beim Hören dieser Worte.
Keiner seiner im Leben scheinbar so Getreuen
begleitet Jesus auf dem Weg ins Sterben.
Der von den Folterungen Geschwächte muss zunächst sein Kreuz selbst tragen.
Als er das nicht mehr vermag, zwingt man einen Wildfremden dazu. Des psychologisch so wichtigen Schutzes seiner Kleider beraubt, nagelt man ihn an den Schandpfahl.
Auch die von den Soldaten gereichten Getränke
sind nach Matthäus nur zum Ärgernis und zum Spott
oder zur Verlängerung von Leben und Leiden gegeben.
Das Volk, wie auch die religiösen Würdenträger,
überschütten ihn mit beißendem Spott.
Sie schütteln den Kopf, nicht aus Mitleid,
nicht als Kritik an einer grausamen Hirnrichtungsart,
sondern um anzuzeigen:
Das hast du nun von deinen großen Sprüchen.
Du hast so vielen geholfen, ha, hilf dir doch selbst.
Du hast dich auf Gott verlassen, und nun bist du verlassen.
Wenn einer so offensichtlich von Gott verlassen ist,
tut man gut daran, sich ebenfalls von ihm zu distanzieren. Erschütternd, wie einer der sein Leben als Beistand und als Helfer verbracht hat nun ohne Beistand und Hilfe endet.
Um Gottes willen- steht ihm denn keiner bei!?
Nein, um Gottes Willen steht ihm keiner bei.
In dieser Szene auf Golgata offenbart sich des Menschen Herz.
Um Gottes willen steht ihm jetzt keiner bei.
Jetzt, wo Jesus am Kreuz hängt, nackt und geschunden,
offensichtlich verlassen, am Ende, unfähig, sich selbst zu helfen,
jetzt war bei ihm nichts mehr zu holen,
jetzt war endgültig klar, dass er einem nicht nutzen konnte.Unter dem Kreuz wird offenbar:
Sie alle hatten in Christus nicht Gott, sondern sich selbst gesucht.
In seinem Sterben erfährt Jesus,
was zu seinen Lebzeiten nicht anders gewesen war:
Alle -ausnahmslos alle‑ hatten nur sich selbst gesucht.
Um Gottes Willen steht im keiner bei, weder jetzt noch zuvor.Bei den Frommen seiner Zeit war das sehr schnell zum Vorschein gekommen. Sie warteten auf einen von Gott gesandten Messias,
der sie für ihre Frömmigkeit belohnen würde.
Als Jesus sich aber den am Lebensstil ersichtlich von Gott Verlassenen zuwandte, den Sündern und Zöllnern,
da fühlten sich die Frommen im Stich gelassen.
Für sie selbst sollte der Messias da sein,
nicht für die Sünder.
Auch das Volk fühlte sich im Stich gelassen:
Jesus brachte ihnen nicht die erhoffte Befreiung vom Joch der römischen Besatzungsmacht. Vom Volk war daher jetzt auch kein Beistand zu erwarten.
Und die Jünger – um Gottes willen –
steht denn auch von ihnen keiner dem Sterbenden bei?
Auch sie offenbaren sich durch ihre Abwesenheit auf Golgata:
Auch sie hatten sich nur selbst gesucht,
hatten von Jesus Ämter und Ehren erwartet.
Nun schämten sie sich, dass sie drei Jahre
ihres Lebens geopfert hatten - für nichts.
Um Gott allein war es auch ihnen nicht gegangen.
Und die vielen Geheilten, die von ihm Ermutigten,
die neuen Lebenssinn, neuen Glauben gefunden hatten, wo sind sie? Nun, sie hatten bekommen, was zu bekommen war,
heraus geholt, was zu holen war!
Auf Golgata gab’s nicht mehr.
Das Kreuz offenbart:
Alle miteinander haben sie Gott verlassen und nur sich selbst gesucht. Alle, auch wenn es bei manchen zunächst nicht so schien.
Heiden und Juden, Sünder und Fromme, Jünger und Geheilte,
sie hatten den Gottgesandten schon zu Lebzeiten verlassen,
nichts war um Gottes willen, nichts war um Jesu willen geschehen. Am Kreuz wird’s offenbar.Durch das Kreuz Christi werden sie alle,
die Anwesenden wie die Abwesenden,
zu einer Gemeinde von selbstsüchtigen Sündern,
die Gott verlassen haben und deren Gottverlassenheit hier ihre grausamen Früchte zeitigt.
Sie verließen ihn, weil sie sich nicht von dem Erlöser aus den dunklen Verließen ihrer Selbstsucht und Herzenskälte befreien ließen.
Sie alle erhofften Ehre und Liebe für sich selbst,
hatten aber für Gott weder Ehre noch Liebe übrig.Das Kreuz offenbart:
Auf den Selbstsüchtigen ist nie Verlass.
Wenn es für ihn kritisch wird, verlässt er Mensch - und Gott.
Um Gottes willen!
Was in dieser Welt geschieht um Gottes willen?
Nur darauf kann ja letztlich Verlass sein.
Was um Gottes willen geschieht,
kann allein dem Menschen Rettung sein.
Der Sohn allein sucht Gottes willen, ist befreit von der Selbstliebe, meint in allem Gottes Ehre.
Er allein ist bereit, sich um Gottes willen selbst zu verlieren.
Er allein ist bereit, sich ausschließlich auf Gott zu verlassen.
Er allein ist bereit, dem Sünder so beizustehen,
dass er selbst den Beistand von Menschen verliert.
Er allein ist um Gottes willen dem Sünder so nahe,
dass die beiden kaum mehr auseinander-zuhalten sind.
Er allein ist um Gottes willen dem Sünder so nahe gekommen,
dass dieser darin Gottes JA zum Sünder erfahren kann.
Und er allein ist dem Sünder so nahe geblieben,
dass ihn nun selbst Gottes NEIN zur Sünde in aller Schärfe trifft.
Er, der sich auf Gott verlassen hat, ist nun deshalb von ihm verlassen. Mein Gott, mein Gott, warum??? Er allein war bereit, diesen Preis zu zahlen.Wie ernst muss doch Gott die Sünde nehmen.
Ja, wie ernst muss er sie nehmen, wenn er den Sünder ernst nimmt. Der Gott Jesu Christi ist nicht der unbewegte Beweger
der Philosophen sondern der sehr bewegte Vater.
Das Leiden seines Sohnes ist sein Leiden.
Die Gottverlasseneheit seines Sohnes grenzt an Selbstaufgabe.
Doch jetzt gilt es über die eigentliche Zumutung dieses Textes nachzudenken:
Matthäus nimmt uns bewusst alles Positive an Worten, Personen und Geschehen, er lässt uns niemanden, in dem wir uns positiviv wiederfinden könnten (Beispiele)
Warum macht es uns Matthäus so schwer, uns im Geschehen auf Golgata wiederzufinden?
Wir ahnen, nur wenn wir uns am Kreuz irgendwie persönlich wiederfinden, nur dann hat es für uns heilvolle Bedeutung.
Were you there, when they crucified my Lord?
Aber wo und in wem sollen wir uns wiederfinden?
Um Gottes willen – welch erschütternde Einsicht wird uns zugemutet: Ob ich fromm bin oder nicht, ob ich von Jesus schon Heil erfahren habe oder nicht,
ob ich in seiner Nachfolge stehe oder nicht,
ich kann mich nur dort finden, wenn ich mich einreihe in die Gemeinschaft der selbstsüchtigen und gottverlassenen Sünder,
in die Reihe derer, die dem Helfer ihre Hilfe verweigerten.
Welche Zumutung!
Es zerbricht die hohe Selbsteinschätzung von der Art des Petrus:
Herr, wäre ich bei dir gewesen.
Das heute am Karfreitag durchzubuchstabieren ist schmerzhaft, grenzt an Sterben und Selbstaufgabe.
Denn Christi Tod ersetzt nicht einfach unsern Tod,
wie auch seine Liebe nicht unsere Liebe
und sein Glaube nicht unseren Glauben ersetzt.
Es gilt, um Gottes willen, mit ihm auf Golgata zu sterben.
Nur wer mit ihm so zerbricht und stirbt
wird mit ihm auferstehen und leben.
Nur wer sich in die Gemeinschaft der Sünder einreiht,
gehört in Christus zur Gemeinschaft der Heiligen, anders bleibt er bei den Scheinheiligen. Amen
Ostern 1995
Mt. 28, 1-10
- 1 Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. 2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. 3 Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. 4 Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.
- 5 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. 6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; 7 und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. 8 Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.
- 9 Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. 10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.
Liebe Gemeinde,
vorgestern, am Karfreitag-Nachmittag, der Fernseher läuft,
ich komme kurz ins Wohnzimmer und kriege eine Szene aus einem
typischen Hollywood-Schinken mit:
Mose steht mit einem riesigen Stab in der Hand vor dem Pharao
und will erreichen, dass der sein Volk aus der Sklaverei entlässt.
Ohne Erfolg!
Da vollbringen Mose und Aaron ein Wunder,
natürlich mit dem Ziel, die Macht ihres Gottes zu demonstrieren
und dadurch den Pharao weichzukriegen.
Aaron wirft den Stab vor den ägyptischen König
und prompt verwandelt sich der Stock in eine Schlange.
Aber der von Yul Brynner gespielte Pharao bleibt absolut cool
und bemerkt gelassen, dem Sinn nach:
Damit kann dein Gott mich nicht beeindrucken, das ist zweideutig.
Daran wurde ich gestern Morgen in der Predigtvorbereitung erinnert,
als ich die Ostergeschichte nach Matthäus las:
Von Wundern über Wundern erzählt uns Matthäus,
keiner der andern Evangelisten ist so plastisch und so drastisch
in der Schilderung des Ostergeschehens.
Aber wie Pharao lassen manche mich seltsam unbeeindruckt
andere aber machen mich österlich-wunderbar froh.
0 ja, Ostern ist das Fest der Wunder, ich liebe Wunder,
ich brauche Wunder in meinem zementierten Alltag,
aber welche Art von Wundern machen Christus in mir lebendig
und welche sind bloß die Nervenkitzel für einen gelangweilten
Konsumenten?
Darf ich Sie bitten, den Worten des Matthäus gespannt zu folgen,
und sich zu überlegen:
Wo in seiner Wundererzählung geschehen die wirk-lichen Wunder,
d.h. die Wunder, die zu Christus hinwirken, damals wie heute!? (Textverlesung)
Welche Bilder, welche Sätze hängen jetzt noch in Ihrer Erinnerung,
was hat Ihre Phantasie so richtig gefangengenommen?
Nun ja, wir sind alle verschieden,
aber ich vermute, Erbeben, steinwälzender und auf
dem Stein thronender Engel, Blitzerscheinung
und wie tot umfallende Wächter -
das bleibt hängen.
Und so wird Ostern auch in vielen Kirchen künstlerisch dargestellt
und die Zeitungen mit Ihren Ostergrüßen übernehmen das.
Komisch nur, dass weder Markus, noch Lukas, noch Johannes
irgendetwas davon erzählen - nichts dergleichen - lesen Sie's nach!
Sie erwähnen weder Erdbeben, noch den graböffnenden Engel,
noch Blitz und geblendete Wächter?
Warum verzichten sie
auf solche Hollywood-tauglichen Show-Elemente?
Nehmen wir mal an, es sei alles so geschehen damals,
Erdbeben, steinrollender Engel und umfallende Wächter.
Warum lassen drei Evangelisten all dies Bombastische weg,
der Matthäus aber räumt dem zentralen Platz ein?
Als ich darüber nachdachte,
fand ich mich plötzlich in einer lebhaften Unterhaltung mit Mt:
„Matthäus, was soll Deine Konzentration auf das Mirakulöse,
wozu all das betonen, was wir heute nicht mehr so erleben,
willst Du damit Glauben wecken,
Glauben an den so zurückhaltenden Jesus,
der mit seinen Wundern nicht beeindrucken, sondern helfen wollte?
Holt Dein Jesus, lieber Matthäus, jetzt alles nach,
was ihm in seinem Erdenleben verwehrt geblieben war,
Ruhm, Macht und beeindruckende Stärke?
Ist Dein Auferstandener eigentlich noch der Gekreuzigte
der Geschundene, der Mitleidende,
oder wird er zum schein-österlichen Arnold Schwarzenegger,
der die ärmlich-schwächlichen Massen zum Staunen bringt?
Brauchte man vorher die Augen des Glaubens
um in dem Gekreuzigten Gott zu entdecken,
so genügt jetzt eine gute Video-Kamera.
um klarzumachen, was (Gottes) Sache ist.
Und weißt Du, Matthäus, was Du (ungewollt) angestellt hast
mit Deiner show-zentrierten Ostergeschichte?
Du bist mitverantwortlich für die vielen,
die heute sehnsüchtig auf solche Engel warten,
die ihnen die steinschweren Lasten abnehmen,
aber kein Engel kommt.
Und für die vielen, die Demonstrationen von Gottes Macht erwarten
und nichts geschieht.
Solche Menschen seufzen resigniert und frustriert,
wie das meine eigene Mutter immer wieder getan hat:
Warum hat damals Gott so deutlich geredet und gehandelt,
damals - und nicht heute!?
Warum konntest Du nicht wie Deine drei Evangelisten-Kollegen
meine Blicke auf das lenken, was wirklich wunderbar ist,
damals wie heute???
Und nach dieser kritischen Unterhaltung mit Matthäus
war mir wohler und ich nahm mir seine Ostergeschichte erneut vor.
Und da entdeckte ich das Wunderbare im Unscheinbaren.
Da entdeckte ich das, was ich den Schneeglöckchen-Glauben nenne:
Die blühen gegen Kälte, Schnee und Eis an
quer gegen das was eigentlich noch Macht hat
sind ihrer Jahres-Zeit eigentlich weit voraus,
wecken so Hoffnung auf den kommenden Frühling
und tun das alles still,
verzichten auf Bombast und Glanz und Gloria.
Das beeindruckt mich jedes Jahr neu:
das Wunderbare im Unscheinbaren.
Gott sei Dank hat Matthäus die schneeglöckchenartigen Wunder
nicht unterdrückt, nicht weggelassen,
sie drohen nur unter einer Bombast-Last des Mirakulösen
erdrückt zu werden.
Da sind die beiden Marias, schon am Kreuz und bei der Bestattung Jesu,
und auch jetzt am Grab,
gegen Trostlosigkeit und Feigheit anblühend.
Die Großwetterlage sagt: Jetzt sich von dem Jesus distanzieren! ‑
und das haben die „Glaubensgiganten", die Männer, auch getan.
Aber die Frauen bleiben in Jesu Nähe, auch nach seinem Tod,
nicht spektakulär, aber eben schneeglöckchenhaft
der augenscheinlichen Situation trotzend,
das vor Augen stehende nicht als allerletzte Wirklichkeit anerkennen,
Ostern vermutend, ahnend.
Ja, die eine Maria, die aus Magdala,
die wurde von Jesus von sieben bösen Geistern befreit,
vom -ich sag's mal heutig- Konsumzwang,
vom bösen Geist der Anpassung, von Missgunst und Gier,
von Menschenverachtung und Menschenvergottung
und von Nummer sieben, der Gleichgültigkeit,
davon hatte Jesus sie befreit.
Und so von Gott befreite wittern überall Ostern
hinter jedem Karfreitag,
das wird zu ihrer zweiten Natur.
Natürlich geht auch sie zum Grab und geht davon aus,
einen Toten zu finden, aber……
Dies zaghaft-trotzige ABER, das ist Schneeglöckchen-Glaube, ein Wunder!
Und auch das ist vom Auferstandenen geweckter Glaube,
der ist nicht genetisch bedingt, so bei gutgläubigen Frauen eben,
sondern der gedeiht in der Nähe Jesu, auch wenn der tot scheint.
Und das zweite Wunder, ja das sehe ich darin,
dass Matthäus nicht verschweigt, dass es Frauen waren,
denen der Auferstandene zuerst begegnet.
Nachdem ich vorhin mich so kritisch mit Matthäus
auseinandergesetzt habe
muss ich jetzt sagen:
Das imponiert mir, Matthäus,
dass Du die Frauen nicht einfach weglässt
aus der Ostergeschichte,
wäre ja möglich gewesen in Deiner Zeit.
Frauen konnten ja damals keine rechtsmäßigen Zeugen sein.
Und trotzdem führst Du sie als die ersten Osterzeugen auf.
Respekt, Matthäus, offenbar hast Du doch etwas von Deinem Meister
angenommen.
Der Auferstandene und sein guter Geist,
der das Unscheinbare nicht verwirft,
den glimmenden Docht nicht auslöscht
und die Ausgegrenzten in die Mitte stellt ‑
die haben auch den Matthäus be-geistert.
Das ist für mich das zweite Osterwunder in dieser Geschichte.
Und das dritte?
Der Auferstandene nennt die Jünger,
die ängstlich-verkrochenen, die ungläubig-verhockten,
diese Jünger nennt er Brüder, nicht Versager und nicht Feiglinge
auch nicht staubige Brüder,
Nein, BRÜDER !!!
Das finde ich eindrucksvoller als alle steinrollenden Engel aller Zeiten. Brüder, da ist der Neuanfang ermöglicht,
ohne die hochmoralische Strafpredigt.
Brüder, darin liegt Hoffnung auf erneutes Gebraucht-Werden.
Brüder und Schwestern, so ist der Auferstandene
damals wie heute.
Darum: Frohe und gesegnete Ostern.
Amen.
Quasimodogeniti 1990
Jes. 40,26-31
26 Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. 27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«? 28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. 29 Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. 30 Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; 31 aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Es ist schon beinahe ermüdend wie oft das Wort "müde"
im heutigen Predigttext vorkommt:
Viermal in diesen wenigen Versen,
und jedes Mal steht daneben noch zur Verstärkung
ein gleichbedeutendes "matt" oder "kraftlos".
Da hätten wir also eindeutig unser Thema für heute
und garantiert jeder könnte etwas beitragen.
Und schon wären wir wieder reingetappt
in das Fettnäpfchen, das so verschiedene Namen hat,
wie Problembewusstsein oder Nabelschau.
Denn was bringt's,
wenn sich Müde über Müdigkeit Gedanken machen?
Blei in den Gliedern und ein gelangweiltes Gähnen
im Gesicht!
Denn nicht um Blei geht' dem Jesaja,
sondern um Adlerfügel,
und der Sonntag heute heißt Quasimodogeniti
" Wie die neugeborenen Kindlein"
und nicht
"Wie die ausgelaugten Wracks"
So fühlen wir uns zwar manchmal,
aber wir haben auch schon oft erfahren,
wie unglaublich leicht das Blei einer solchen Müdigkeit abfallen kann.
Wie weggeblasen, sagen wir dann - und staunen!
Ein Lied aus dem Radio, eins, das wir lange nicht gehört haben,
eins, mit dem wir gute Erinnerungen verknüpfen:
Erinnerungen an einen Kuss,
Erinnerungen an einen irre schönen Urlaub,
Erinnerungen an das GEFÜHL von Geborgensein
bei VATER und Mutter.
Drei Minuten einer Abfolge von Tönen aus dem Radio,
und schon sind wir beschwingt,
d.h., mit Schwingen ausgestattet wie Adler
und Müdigkeit ist für eine Weile ein Fremdwort
Und das, obwohl sich ja gar nichts geändert hat.
Was vorher müde machte ist noch da.
Und trotzdem ist die Müdigkeit weg.
Die Ursachen sind noch da
aber die Auswirkungen sind weg.
Wahnsinn!
Wie ist das möglich?
Ich meine, das sei alles eine Frage der Deutung.
Es sind letztlich nicht die Dinge oder die Umstände selbst,
sondern ihre Deutung, die uns entweder lähmen oder beflügeln.
Ein und dieselbe Sache kann entweder müde oder munter machen,
je nachdem wie wir sie deuten,
je nachdem wie wir uns zu ihr stellen.
Das wurde mir schlagartig neu deutlich,
als ich gestern Abend einen Brief meiner Mutter
in die Hände bekam,
den sie im Herbst 1947 an ihre Schwester Edna in den USA schrieb.
Daraus möchte ich Ihnen ein paar Sätze vorlesen.
Zum Verständnis aber vorher noch eine Information:
Am Karsamstag 1945 wurde mein Elternhaus in Boxberg
von den Amerikanern in Brand geschossen
und brannte mit Stall und Scheuer total ab.
Das abgerannte Wohnhaus war zur damaligen Zeit
das schönste in Boxberg.
Zwei Jahre später zogen meine Eltern in den Neubau ein,
dessen Baupläne vom Architekten so überschrieben sind:
"NOTwohnung des Herrn Ulshöfer in Boxberg"
Meine Mutter aber schreibt:
"Du hast recht, liebe Edna, dass wir glücklich sind im neuen Haus.
Ich bin wie neu geboren!
(Anmerkung des Verfassers: Quasimodogeniti)
Wir sind eingezogen in den Rohbau,
noch nichts tapeziert oder gestrichen
Den Küchenschrank mussten wir 40 cm von der Wand wegstellen, weil er schon schimmelig wurde.
Im Sommer wollen dann tüchtig lüften."
Aber: "Ich bin wie neu geboren"
in der Notwohnung,
nach dem Verlust des schönsten Hauses am Ort!
Ach ja, Mutter war eine Superfrau-
und sie war's auch nicht.
Machmal konnte sie die Umstände wunderbar deuten,
weil sie um den wusste, der auch in der Notwohnung
ein wunderbarer Gott ist,
denn zur Erde kam ER ja selbst in der Notwohnung,
im Stall zu Betlehem.
Doch zuweilen deutete sie auch die schönsten Sachen
so furchtbar deprimierend
und dann wurde sie müde - und wir auch.
Aber das ist ja bei uns nicht anders:
Manchmal sind wir super,
vor allem wenn wir unser Leben unter dem Einfluss
von Musik oder Poesie,
(Der Film "Der Club der toten Dichter")
deuten können.
Und machmal sind wir müde,
wenn da keine Vision, keine Deutung ist,
dann stöhnen wir wie die Leute im Exil in Babylon
"Mein WEG ist dem Herrn verborgen
und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber" v.27
Sprich: Ich sehe keine Sinn,
ich habe keine Perspektive!
Das macht müde
Auf die Perspektive, die Sicht, die Deutung kommt es an,
sagt der Prophet den müden Menschen an den „Rivers of Babylon“
"Hebet eure Augen in die Höhe und seht!
Wer hat dies geschaffen?" v.26
Gemeint sind die Sterne, wie der Zusammenhang zeigt.
Von den Babyloniern hörten die Leute aus Israel,
aus den Sternen könne man sein Leben deuten
Für die Babylonier waren die Sterne Götter.
Aber der Prophet argumentiert für eine andere Perspektive
nicht um recht zu haben,
eine Religion gegen die andere auszuspielen,
sondern um eine beschwingende Deutung der Sterne
anzubieten:
Versteht die Sterne nicht als Götter,
sondern als Wegweiser zu dem einen Gott!
Deutet eure Situation nicht angesichts von Geschaffenem,
sondern im Horizont des Schöpfers!
Die Sterne sollten nach der Deutung der Babylonier
die Möglichkeit bieten,
den geheimen Plan für das Leben eines Einzelnen zu enträtseln.
Dahinter steckte die Überzeugung,
dass vom Moment der Geburt an
das Leben festgelegt ist - unabänderlich.
Man könne nur noch enträtseln
anhand der Sternkonstellation zur Zeit der Geburt ,
wie dieser PLAN aussieht -
und sich darauf einstellen.
Davon gingen die alten Babylonier aus.
Der Mensch als Schienenfahrzeug, ohne Weichen
und ohne die Möglichkeit abzubiegen oder zu wenden.
Dann gälte es nur noch REGELN zu beachten.
Mein Gott, wenn das alles wirklich alles wäre!
Traurig ist, dass aufgeklärte Menschen
dreitausend Jahre später in dieser Deutungsart
den alten Babyloniern folgen.
Das ist traurig, denn diese Deutung macht letztlich müde
Es liegt ja alles fest.
Noch trauriger ist, wenn Glaubende
ihr Leben so verstehen.
Das sind dann die Leute,
die immer vom glauben müssen reden,
den Glauben als Pflicht darstellen,
Vogel, friß' oder stirb.
Schrecklich!
Letztlich sind wir immer dann arm dran,
wenn wir das Licht, die Deutung für unser Leben,
in Angestrahltem suchen,
seien es Sterne, Umstände oder Stimmungen
und selbst in guten Regeln und Buchstaben allein!
Sterne wärmen nicht, sie sind ja nur angestrahlt.
Aber ihr Licht weist auf die Sonne.
Und die wärmt auch dann noch,
wenn in ihrem Licht die Wahrheit in unser Leben bricht.
So ist die Sonne das schönste natürliche Symbol für Gott:
In seinem Licht sind selbst sogenannte harte Wahrheiten
noch belebend.
Und Müdigkeit fällt ab wie ein lumpiges Gewand
In den Bildern der folgenden Geschichte ausgedrückt:
Vor dem lebendigen Gott erfahren wir,
dass wir uns wie Hühner aufführen,
Das ist hart!
Aber in seinem Licht trifft uns der Strahl aus der Ewigkeit
und wir verstehen unser Leben neu -
wir sind Adler -
und fliegen!
(jetzt vorlesen!) Der Adler(von Herman Gilhaus )
Ein Mann ging in einen Wald, um nach einem Vogel zu suchen,
den er mit nach Hause nehmen könnte.
Er fing einen jungen Adler,
brachte ihn heim und steckte ihn in den Hühnerhof zu den
Hennen, Enten und Truthühnern.
Und er gab ihm Hühnerfutter zu fressen, obwohl er ein Adler war,
der König der Vögel.
Nach fünf Jahren erhielt der Mann den Besuch
eines naturkundlichen Mannes.
Und als sie miteinander durch den Garten gingen, sagte der:
„Der Vogel dort ist kein Huhn, er ist ein Adler!"
"Ja", sagte der Mann, „das stimmt,
aber ich habe ihn zu einem Huhn erzogen.
Er ist jetzt kein
Adler mehr, sondern ein Huhn,
auch wenn seine Flügel drei Meter breit sind".
„Nein“, sagte der andere,
„er ist noch immer ein Adler, denn er hat das Herz eines Adlers.
Und das wird ihn hoch hinauffliegen lassen in die Lüfte".
„Nein, nein“, sagte der Mann, „er ist jetzt ein richtiges Huhn
und wird niemals wie ein Adler fliegen“.
Darauf beschlossen sie, eine Probe zu machen.
Der naturkundliche Mann nahm den Adler,
hob ihn in die Höhe und sagte beschwörend:
„Der du ein Adler bist, der du dem Himmel gehörst
und
nicht dieser Erde: breite deine Schwingen aus und fliege!" –
Der Adler saß auf der hochgereckten Faust und blickte um sich.
Hinter sich sah er die Hühner nach ihren Körnern picken,
und er sprang zu ihnen hinunter.
Der Mann sagte: "Ich habe dir gesagt, er ist ein Huhn“.
„Nein, sagte der andere, "er ist ein Adler,
versuche es morgen noch einmal“.
Am anderen Tag stieg er mit dem Adler auf das Dach des Hauses,
hob ihn empor und sagte:
„Adler, der du ein Adler bist, breite deine Schwingen aus und fliege!“ Aber als der Adler wieder
die scharrenden Hühner im Hofe erblickte,
sprang er abermals zu ihnen hinunter und scharrte mit ihnen.
Da sagte der Mann wieder: „Ich habe es dir gesagt, er ist ein Huhn“.- „Nein, sagte der andere, „er ist ein Adler.
Lass es uns noch ein einziges Mal versuchen;
morgen werde ich ihnfliegen lassen“.
Am nächsten Morgen erhob er sich früh,
nahm den Adler und brachte ihn hinaus aus der Stadt,
weit weg von den Häusern an den Fuss eines hohen Berges,
jede Zinne erstrahlte in der Ferneeines wundervollen Morgens.
Er hob den Adler hoch und sagte zu ihm: „Adler, du bist ein Adler,,
Du gehörst dem Himmel und nicht dieser Erde.
Breite deine Schwingen aus und fliege!"
Der Adler blickte umher, zitterte, als erfüllte ihn neues Leben –
aber er flog nicht.
Da ließ ihn der naturkundliche Mann direkt in die Sonne schauen.
Und plötzlich breitete er seine gewaltigen Flügel aus,
erhob sich mit den Schrei eines Adlers,
flog höher und höher und kehrte nie wiederzurück."
"Die auf den Herrn harren,kriegen neue Kraft,
dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler,
dass sie laufen und nicht matt werden,
dass sie wandeln und nicht müde werden."
Amen
Quasimodogeniti 2005
Johannes 21,1-14
- 1 Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so:
- 2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. 3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
- 4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
- 7 Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. 8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.
- 9 Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. 10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
- 12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. 13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische.
- 14 Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.
„Christ ist erstanden, von der Marter alle, des soll’n wir…“
das ist seit meiner Kindheit für mich das Stärkste,
das Bewegendste,
das Emotionalste was unser Gesangbuch zu bieten hat.
Das singe ich oft und als Pfarrer habe ich es oft singen lassen,
auch wenn die Leute meinten, Ostern sei vorbei.
Ich wollte es mal am Buß- und Bettag singen lassen,
als es den noch gab, aber dann hatte ich nicht genug Mut,
weil eh schon manche meinten, ihr Pfarrer sei nicht ganz dicht.
Dabei müsste man doch nur klären, wie lange Ostern dauert.
Ja, wie lange dauert denn nun Ostern?
Wenn man im Johannes-Evangelium das Ende von Kapitel 20 liest,
dann meint man, jetzt ist Ostern vorbei,
jetzt ist sogar das Johannes-Evangelium zu Ende.
(Joh. 20, 28-31 lesen!)
Wenn mit dem JohEv an dieser Stelle Schluss wäre,
würde keiner was vermissen,
so wie nach einem „Mit freundlichen Grüßen, HU“
auch jeder davon ausgeht, dass der Schreiber alles gesagt hat.
Aber mancher Brief geht mit einem PS, einem postscriptum weiter,
wie auch das 21. Kapitel des JohEv uns wie ein PS vorkommt,
das hatte 1641 schon der gelehrte Hugo Grotius beobachtet.
Es gab also offenbar jemanden, der meinte,
dass nach dem formvollendeten Schluss von Kapitel 20
noch etwas zu sagen wäre, etwas Wichtiges, etwas Unverzichtbares.
Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenklich werden,
ob auch wir das so sehen oder es so sehen lernen wollen.
Denn 14 Verse aus diesem PS des 21. Kapitels sind der für heute
aufgegebene Bibeltext, eine Geschichte, die ich fast so sehr liebe
wie das vorhin gesungene und eingangs der Predigt erwähnte
„Christ ist erstanden, von der Marter alle“
So, liebe Gemeinde, bevor ich jetzt dieses PS häppchenweise vorlese,
möchte ich Sie an einer Beobachtung teilhaben lassen,
die viele fleißige und ehrfürchtige Ausleger gemacht haben:
Unsere Geschichte enthält so viele Ungereimtheiten
und offene Fragen,
dass man den Eindruck hat, der Autor wolle sagen:
Vorsicht, bleibt nicht am Buchstaben kleben;
Vieles hat übertragene Bedeutung. Ich sehe das genau so.
(Joh. 21,1-3 lesen)
Was machen Sie, liebe Gemeinde,
wenn das Leben Sie so richtig gebeutelt hat?
Wohin gehen Sie, wenn so Vieles nicht verlässlich scheint?
Die vom schmählichen Tod ihres Lehrers
zutiefst verunsicherten Schüler Petrus, Johannes und Kollegen,
sie suchen vertraute Wege,
sie suchen die Heimat und den Fischfang, da kennen sie sich aus.
Wieder am See Genezareth, 120km Rückmarsch von Jerusalem
und der Katastrophe dort, sagt Simon zu seinen Kollegen:
Ich will fischen gehen!
Das scheinbar lösende Wort. Das ist es, sagen alle - und machen mit.
Moment! Moment!
ruft der bibelkundige und mitdenkende Predigthörer.
Ein paar Zwischenfragen, lieber Herr Pfarrer!
1. Haben die einen Rückmarsch hinter sich, oder einen Vormarsch?
Sind die Jünger wie geprügelte Hunde in ihre Heimat zurückgekehrt
oder sind sie dort, wo der Auferstandene sie wollte, im Alltag?
Und 2.: Sind die immer noch so arg vor-österlich verunsichert?
Die haben doch schon vom Auferstandenen gehört, von den Frauen,
und sie sind ihm sogar selbst begegnet,
haben ja gar den zweifelnden Thomas gehört mit seinem wunderbaren Bekenntnis: Mein Herr und mein Gott!
Und diese Oster-Jünger sollen gebeutelt und durcheinander eine
oberflächliche Sicherheit in Heimat und Fischfang suchen?
Ja, wie lange dauert Ostern – damit hat’s zu tun.
Haben sie Ostern hinter sich – oder stecken sie noch mitten drin?
Hat Jesus sie nicht als MENSCHEN-Fischer berufen?
Eine Berufung – nur auf Zeit?
Im nächsten Häppchen der PS-Geschichte
werden Sie, liebe G, erfahren,
dass der Auferstandene am Strand steht – und sie kennen ihn nicht.
Ist das schlimm? Ein erneutes Versagen?
Die Osterprüfung nicht bestanden?
„Und sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, doch in dieser Nacht fingen sie nichts“
O gesegneter Misserfolg! Wunderbar-vergebliche Mühe! Süßer Frust!
Ein Loblied auf Zeiten, in denen es nicht so läuft, wie erwartet.
Jetzt hebt der Pfarrer ab – befürchten nun die ersten.
Man male sich aus, wie alles anders gelaufen wäre
bei Erfolg im Vertrauten, bei der Bestätigung im Bekannten.
In einem wahren Wellness-Bad der geschundenen Seelen
hätten sie gevespert und gefeiert bis zum Morgengrauen…..
und wären dem eigenartigen Unbekannten nicht begegnet.
So geht’s unserer Kirche heute:
Sie sucht und sie bietet das Wohlgefühl,
und sie wird immer ärmer, immer träger
aber dem markanten und verstörenden Fremden begegnet sie nicht.
(Joh. 21,4-6 lesen)
Kinder, habt ihr nichts zu essen?
Welchen Unterton hatte dieses KINDER des Auferstandenen?
Herablassend? Distanziert? Liebevoll? Belustigt? Was denken Sie?
„Kinder, habt ihr nix zu essen?“
Das klingt doch, wie wenn ER Hunger hätte,
wie wenn er sie braucht, wie wenn SIE für ihn sorgen sollen.
Dabei ist aber überdeutlich, dass sie IHN brauchen,
in ihrer Verzweiflung seinen Trost, in ihrer Verwirrung seine Weisung:
„Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden!“
O nein, er will die Experten, die Fischer, nicht beschämen,
nein, er kleidet alles in sein entgegenkommendes „Ich habe Hunger“,
aber eins ist ihm wichtig: „Leute, achtet auf mein Wort!“
Hört genau hin!
Meint auch nicht, das ist jetzt alles genau wie das letzte Mal
als wir Fischen waren.
Damals war sein anzweifelbares Wort,
mitten am Tag die Netze auszuwerfen.
Heute ertönt dieses paradox anmutende Wort so:
„Werft das Netz aus zur Rechten“ Also wieder anders, wieder neu!
Aber nie vergessen, liebe Gemeinde,
es geht ums MENSCHEN-Fischen,
Jesu Wort gilt denen, die er zu Menschenfischern berufen hat,
er hat keine Geheimtipps für Berufsfischer oder Hobbyangler.
Aber wenn Menschenfischer nicht auf sein Wort hören,
richtig hinhören,
dann läuft alles grottenfalsch und es ist tragisch: Keiner merkt’s“
Mitten in der Brot-für-die-Welt-Sammlung im Advent,
mitten in der Zeit, wo die Kirche an die allerärmsten der Armen denkt,
ruft eine Gemeinde zu Spenden für Einzelkelche auf.
Hat man da vorher auf den Herrn und sein Wort gehört?
(Joh. 21, 7-8)
Wie mich das an Maria und Martha erinnert!
Eins ist Not! Den Herrn erkennen, wieder erkennen, anerkennen.
Es ist der Herr! ist der Ruf des Johannes,
des Jüngers den Jesus lieb hatte
Darauf kommt’s an!
Aber Petrus, der Jünger, den wir lieb haben, weil er uns so ähnlich ist,
der wirft sich ins Wasser, als ob man watend schneller am Ufer ist.
Was tun ist wichtig, gelt?
Nachdenklichkeit hat’s wahrhaft schwer heute.
Natürlich will keiner Handeln und Nachdenken
gegeneinander ausspielen,
keiner das ora et labora, das Bete und arbeite auseinander reißen!
Aber hat nicht jede Zeit ihre Schlagseite!
Aktiv sein – immer ein Zeichen von Leben????
Sardes: „Du hast den Namen, dass du lebst und bist tot“ Offb. 3,1
(Joh. 21, 9-10)
Was jetzt? ruft der aufmerksame Hörer,
Sind Fische bereits da, oder werden welche gebraucht?
(Lesung v. 9-10 wiederholen)
Ist auch diese Ungereimtheit Absicht des Erzählers?
Ist auch darin ein Schatz für Nach-denkliche zu finden?
Die Szene erinnert an andere im Neuen Testament:
Jesus ist Gastgeber, er gibt, er teilt, er teilt aus – Abendmahl!
Aber Brot UND Fische –
da kommen doch noch andere Erinnerungen hoch, oder nicht?
Brot UND Fische, liebe Gemeinde,
ein wenig Konfirmandenunterricht gefällig?
Brot und Fische, woher kennen wir das?
Genau! Von der Speisung der 5000,
die wunderbare Brot (+Fisch)-Vermehrung.
Will unser Predigtext uns daran erinnern?
Und war die Speisung nicht auch am See Genezareth,
auch See Tiberias genannt?
Und war es da nicht ähnlich
wie in unserer heutigen postscriptum-Erzählung:
Da war ein Grundstock vorhanden, aber es kam viel dazu.
Wenn ich die folgenden Verse höre, kommen mir Bilder
von der Speisung der 5000 vor mein geistiges Auge,
mehr von der Speisung als vom Abendmahl.
Und wie geht’s ihnen dabei?
(Joh. 21, 11-14)
Ha, wass soll en die ganz Frööcherei, obs an des oder jenes erinnert?
Der Johannes hodd halt uffgschriewe, wie’s woor.
So könnte man denken,
aber dann würde man eine Tatsache vergessen:
Die Jesus-Geschichten wurden erst erzählt und wieder erzählt
und erst nach vielen Jahren des Erzählens aufgeschrieben.
Und im Erzählen und Wiedererzählen da wurden sie angereichert
mit den Glaubenserfahrungen
die man mit dem Auferstandenen machte.
Glaubensbekenntnisse, nicht Tonbandprotokolle
Nach-Denkliches, nicht Papageien-Wiederholung
das sind die wunderbaren Geschichten von Jesus.
Dann hoschd em Meischde vun denne Gschichte,
wenn fröchschd: Was moant denn der, wu des gschwiewe hodd? Genau!
Beispiel: Warum sind denn die 153 Fische erwähnt?
Der alte Kirchenvater Hieronymus lässt uns wissen,
das Zoologen in jener Zeit 153 Fischarten kannten,
153=alle, die Fülle.
Menschenfischer denken und handeln universal;
wenn sie sich nach dem Wort des Meisters richten,
gibt es keine Bevorzugten, und auch keine, die man vergessen kann.
„Darum geht hin und macht zu Jüngern alle Völker!“
Zu Jüngern Jesu, zu Lernenden dieses echt guten Meisters,
wohlgemerkt, nicht zu Sklaven,
auch nicht als Füllsel für imponierende Statistiken.
Nicht alle gehen ins Netz, aber von allen.
Und das Netz reißt nicht, wird extra erwähnt,
wenn es nach Jesu Art ausgeworfen wird, hält es die Vielfalt aus.
Die farbige Vielfalt von Nationen und Konfessionen – wunderbar.
Aus aktuellen Anlass lassen sie mich zum Schluss etwas sagen,
was ich so nicht geplant und vorbereitet hatte:
Also, wer mich kennt, weiß, dass ich gerne Protestant bin.
Ich bin evangelisch, dankbar dafür
und kenne keine konfessionellen Minderwertigkeitskomplexe.
Aber wie dankbar war ich in den letzten Jahren,
und vor allen den letzten Monate für Johannes Paul II:
Wo unsere evangelischen Bischöfe sich wahrhaft verrenkt haben
im Bemühen um Schönheitsoperationen an evang. Kirchen,
wo sie im Image-Wahn suchten
unsere Kirche dynamischer erscheinen zu lassen
da hat Johannes Paul II Altwerden, Leiden und Sterben
als natürlichen Teil des menschlichen Lebens
gelebt und bewusst vorgelebt
und hat Älterwerdende, Leidende und Sterbende wahrhaft getröstet
und vielleicht auch manchem
in unserer Kirche neu die Augen geöffnet
für das unbedingte JA des Auferstandenen
über uns irrenden, oft so schwachen und hungrigen Menschen.
Kinder, habt ihr nicht zu essen?
Nein, Herr, nichts was wahrhaft sättigt!
Dann speise du uns und was wir haben, wollen wir beitragen.
Und lass uns dich nicht unter den Toten, den Götzen suchen!
„Er reißet durch den Tod…“singen wir anschließend.
SO dauern Ostern an – lebenslang – und danach! Amen.
Predigt an Miserikordias Domini 2008
Joh. 10, 11-16
11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. 12 Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –, 13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.
16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.
Liebe Gemeinde,
der gute Hirte – ein wohltuendes Bild – noch heute.
Kinderlieder wie „Weil ich Jesu Schäflein bin“
Kindergeschichten „Vom Geißenpeter auf der Alm“
süßliche Kolossalgemälde in Schlafzimmern.
Der Psalm von der „rechten Straße“ und vom „finstern Tal“
Idylle pur – unausrottbar – wohltuende wellness!!!!
Aber da sind ja auch ganz andere Töne!
Musikliebhaber kennen das,
ob von Ludwig van Beethoven oder Neil Young:
In eine liebliche, getragene Passage in Klassik oder Rock
brechen wie Donner, wie aggressive Wirklichkeit
Töne, Akkorde, die die Harmonie zu zerfetzen scheinen,
die erschrecken, mit harscher Realität konfrontieren,
gegen die wir gerne protestieren wollten:
Mach mir meine Idylle bitte nicht kaputt.
So geht’s mir mit dem heutigen Predigttext aus Johannes 10.
Gerade in dem Moment, wo ich mich den wohltuenden Bildern
vom Hirten und den Schäflein,
von Stille und Geborgenheit hingeben möchte,
da brechen herein die Bilder von Tod, Gewalt und Betrug:
der Hirte wird umkommen, zweimal wird das gesagt,
die Schafe können an einen Betrüger, den sog. Mietling, geraten,
blutrünstige Wölfe warten nur auf die unschuldigen Schafe.
Jesu Worte vom Guten Hirten sind nicht eindeutig und einhellig Idylle,
aber wir überhören gerne alles was Idylle stört, was beunruhigt.
Wir sind uns ähnlich in unserer Sehnsucht nach dem Aufbauenden, dem Schönen, dem Tröstenden, dem Vergewissernden.
Wir haben schon viele Predigten über den guten Hirten gehört
und ich selbst habe schon einige über ihn gepredigt.
Und die meisten dieser Predigten beschäftigten sich mit
Vertrauen, mit Hören und Folgen, mit der Miserikordias Domini.
Doch von 12 Zeilen des Predigttexts in meiner Bibel
sind 6 dem Mietling gewidmet,
den Predigten meist nur am Rande streifen
(vv12-13 zitieren)
Der Mietling! Der Angeheuerte! Der Söldner!
Ganz nüchtern wird er eingeschätzt: Ihm geht’s ums Geld,
nicht um die Schafe.
Wenn’s hart auf hart geht, versagt er.
Gerade dann, wenn er dringend gebraucht wird,
erfüllt er nicht die in ihn gesetzten Erwartungen.
„Er kümmert sich nicht um die Schafe“
Was können die Wölfe froh sein, dass es solche falschen Hirten gibt!
Oder gibt’s den Mietling vielleicht gar nicht?
Hat Jesus den bloß erfunden, als miesen Kontrast,
als dunklen Hintergrund, damit seine Person als Guter Hirte
um so heller und positiver hervorsticht?
Wie real ist dieser Verführer? Heute noch?
Oder sind Jesu Schäflein sooo sicher im Stall,
dass selbst wenn es den Mietling noch gäbe,
sie niemals auf ihn hereinfielen?
Ja, das wünschten wir uns so sehr!
Deshalb klammern wir uns oft an unsere Heilsgewissheit.
Auch auf Kosten der Nachdenklichkeit????
Gibt’s das, Heilsgewissheit ohne Nachdenklichkeit???
Mich haben die 6 Zeilen über den Mietling nachdenklich gemacht.
Der Mietling ist ja kein primitiver Brutalo.
Er wirbt doch nicht:
Kommt her zu mir, dann endet ihr bei den Wölfen.
Nein! Er verspricht was auch der gute Hirte verspricht:
Führung, also Richtung;
Futter, also Zufriedenheit,
eine Herde, also Zusammengehörigkeit.
Wie soll ein Schäflein schon merken,
dass es einem Mietling und nicht dem Guten Hirten folgt?
Der Mietling will ja nichts Böses für seine Schäflein.
Er führt sie doch nicht bewusst in die Irre.
Aber in der Krise wird offenbar, warum er im Geschäft ist,
eben deswegen, wegen des Geschäfts.
Erst die radikale Krise offenbart ihn als Mietling.
Dann erst sieht man: Das von ihm versprochene Glück ist hohl.
Er sucht nicht mein, sondern sein Wohl.
Jetzt erst merkt das Schäflein, wem es sein Vertrauen geschenkt hat.
Da ist aber noch etwas, das den Mietling so gefährlich macht:
Er wirbt nicht um einzelne Schafe,
will nicht Einzelne dem Guten Hirten abspenstig machen,
nein, er sucht ganze Herden,
dann kann ein Schäflein dem anderen bestätigen:
Wir liegen richtig, uns geht es gut.
Dann gibt’s keine, die in eine andere Richtung gehen,
das könnte ja nachdenklich machen.
Mich treibt seit vielen Jahren eine Befürchtung um,
die ich sooo gerne los wäre.
Kann sie mir jemand von Ihnen ausreden, zerstreuen.
Kann mir jemand mit guten Argumenten und Beobachtungen sagen:
Da liegst du falsch, deine Befürchtung hat keine Grundlage.
Wie wünsche ich mir das!
Ich fürchte, die Kirchen der westlichen Welt
folgen geschlossen einem Mietling –
und merken es nicht.
Sie werden sagen: Wie bitte? Der hat sie doch nimmer alle!
Zumindest übertreibt er maßlos – will er provozieren?
Der Albtraum ist deswegen so grausam für mich,
weil auch ich mitten drin bin, weil auch ich dem Mietling folge –
und ich komme nicht los, ich MUSS ihm folgen, bin ihm verfallen,
aber ich falle nicht auf, weil ALLE auf diesem Kurs sind.
Der Albtraum fing bei mir an, als ich eines Tages las:
Auf der Erde sind genug Nahrungsmittel für ALLE,
sie sind nur nicht richtig, nicht gerecht verteilt.
Inzwischen weiß ich, dass das stimmt: Es ist genug da – weltweit.
Der Schöpfer hat für alle gesorgt, ihm liegen alle am Herzen.
ALLE sind seine Geschöpfe, deswegen gab er genug für ALLE.
Aber Moment, das hieße ja,
dass der Hungertod von Millionen vermeidbar wäre.
Das wären ja Millionen Fälle von unterlassener Hilfeleistung.
Das wäre ja Verrat am Glauben,
weil Glaubende die große Güte des Schöpfers
nicht weiterfließen lassen.
Wer oder was hindert uns?
Sie sagen: Ich hab doch selbst nicht viel.
So wie Jesu Jünger die fünf Gerstenbrote und die zwei Fische ansahen
und scheinbar realistisch feststellten:
Was ist das für so viele?
Und Jesus teilte die fünf Gerstenbrote und die zwei Fische
und erstaunlich viele wurden satt.
Das könnt ihr auch – wenn ihr teilt,
Wenn ihr teilt, weichen Hunger, Kälte, Krankheit und Tod.
wenn ihr teilt, werden viele heil.
Jesus sagt damit:
Ihr habt die gleiche Macht wie ich; ihr könnt wahre Wunder wirken.
Euch ist viel anvertraut – seid so großzügig wie euer Vater im Himmel.
Was ihr für euch hortet, auf Vorrat,
aus Angst vor der Zukunft, das wird schlecht,
wie das Manna in der Wüste.
Alles, was wir aus Angst tun ist kontraproduktiv,
erreicht genau das Gegenteil von dem eigentlich Gewollten.
Deswegen:
Entdeckt Sorglosigkeit und Selbstvergessenheit als Freuden des Lebens.
Sammelt euch Schätze im Himmel,
denn wo euer Schatz ist, da ist euer Herz.
Das ist die Stimme unseres Herrn, dem guten Hirten.
Und was hören wir vom Mietling? Was flüstert er uns ein?
Du, dein Brillengestell sieht ja ätzend prollig aus!
Dein Computer ist ja soo was von lahm.
Wie wär’s mit einem Shopping-Trip, mal sehn was es so gibt.
Ich hab ja überhaupt nix zum Anziehen.
Unser Schlafzimmer ist jetzt auch schon 10 Jahre alt, also…
Du, die Mayers waren letzten Sommer in der Karibik.
Unsre Hochzeit die wird riesig – 10.000 Euro sind da weg wie nix.
Sicher dich ab – die Versicherung solltest du auch noch abschließen.
Also mein Rucksack sollte schon von einer Welt-Marke sein.
Wer will uns das madig machen?
Der soll sich besser warm anziehen!
Aber der Gute Hirte muss uns das gar nicht madig machen.
Warum? Weil er Besseres zu bieten hat.
Zweimal sagt er: Ich gebe mein Leben.
Wozu: Damit die Schafe leben
Und der Hirte. Er bekommt neues Leben, Osterleben, Auferstehungsleben!
Übersetzt heißt das:
Wer von seinem Leben abgibt, es teilt,
der ermöglicht Anderen Leben und sein eigenes wird NEU
Ich habe jetzt mal daran herumgedacht, was das konkret heißen könnte:
Jeder/jede sucht sich EINE Einflüsterung des Mietlings
und sagt NEIN – dies nicht, diesmal nicht, diesmal Verzicht.
Zu Einflüsterungen des Mietlings rufen: „ABGELEHNT“
Du, dein Brillengestell sieht ja ätzend prollig aus! Abgelehnt!
Dein Computer ist ja soo was von lahm. Abgelehnt!
Wie wär’s mit einem Shopping-Trip, mal sehn was es so gibt.
Abgelehnt!
Ich hab ja überhaupt nix zum Anziehen. Abgelehnt!
Unser Schlafzimmer ist jetzt auch schon 10 Jahre alt, also… Abgelehnt!
Du, die Mayers waren letzten Sommer in der Karibik. Abgelehnt! Abgelehnt!
Unsre Hochzeit die wird riesig – 10.000 Euro sind da weg wie nix.
Abgelehnt!
Sicher dich ab – die Versicherung solltest du auch noch abschließen.
Abgelehnt!
Der Mietling Konsum sucht nicht DEINE wellness, sondern seine.
Dann überschlägst du, was das ABGELEHNT bringt, in harten Euro.
Jetzt studiert man Informationen von Brot für die Welt,
Ärzte ohne Grenzen o.Ä. – im Internet
oder über die Kirchengemeinde.
Und jetzt lassen Sie Ihr Herz sprechen, in aller Freiheit:
DA und nirgendwo anders möchte ich teilen,
DA schlägt mein Herz,
DA gehen die Euros hin.
Und jetzt halten Sie sich auf dem Laufenden,
wie das denn so weitergeht, was besser wird durch Ihr Teilen.
Da hat ein Dorf in Uganda oder Somalia endlich Wasser,
auch in der trockenen Zeit,
es wurde in der Regenzeit in Zisternen gesammelt.
Da bekommt in Kolumbien ein zu Unrecht Inhaftierter
einen Rechtsbeistand.
Und jetzt das Wichtigste:
Suchen Sie Gleichgesinnte,
tauschen Sie sich aus mit solchen,
die vom Guten Hirten fasziniert sind.
Auch wenn wir dann noch nicht völlig frei sind
von den Verführungen des Mietlings,
so ist doch ein Anfang gemacht:
Jetzt wird Leben geteilt.
Yes, we can!
Amen
Kantate 2006
Apg. 16, 23-34
23 Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen. 24 Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block.
25 Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie. 26 Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab. 27 Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. 28 Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier!
29 Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. 30 Und er führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? 31 Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! 32 Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. 33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen 34 und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.
Warum Apg 16 als Text zu Kantate??
(Predigt in 3 kurzen Abschnitten, eingeteilt durch Strophen aus 279
„Jauchzt alle Lande, Gott zu Ehren“
Nicht über Singen reden, sondern es tun.)
Gesamtsituation
in der Tiefe der Nacht
Wunderbares Erdbeben
Philippi, (heute Kavalla), erste christl. Gemeinde auf europäischem Boden
Wie kams zu dem Wechsel von der heutigen Türkei nach Griechenland?
Paulus der kluge Stratege – gerufen durch einen Traum
„komm herüber und hilf uns!“
Träumt, was ihn umtreibt.
Getrieben, weil Christus für ihn nicht nur nützlich war
zur Verschönerung der Lebensränder, Taufe, Konfirmation Beerdigung.
Für Paulus ist Christus RETTER
Im Umfeld: Paulus, der Konflikte nicht scheut (Barnabas,
Geschäfteverderber, Recht einklagen bei röm. Stadtrichtern)
Paulus, der keine Mühe scheut, der sich schindet, quält, fordert
auf seinen Missionsreisen unter primitivsten Bedingungen.
2200km auf der 1. Missionsreise, 4400 auf dieser,
2 weitere Reisen, die letzte endet in Rom – Hinrichtung.
Warum erzähle ich Ihnen das alles?
Damit Sie Paulus nicht als wirklichkeitsfernen Spinner abtun,
wenn Sie nachher hören,
dass er im Gefängnis, in Ketten, in der tiefsten Nacht
Gott gelobt, gesungen, Kantate gefeiert hat.
Paulus ist keiner, der wegschaut, keiner, der sich raushält.
Keiner, mit dem Kopf in den Wolken.
Wenn so einer im doppelten Sinn in tiefster Nacht,
nicht verzeifelt, nicht trübsinnig wird, nicht aufgibt,
dann könnte das doch auch für uns möglich sein
in unseren Nächten von Schmerzen und Enttäuschungen.
(Wir singen jetzt die Strophen 4 und 5 von EKG 279)
In der Tiefe der Nacht
(Textverlesung)
Geschlagen mit Peitschen, bestückt mit Knochensplittern und Metallteilen,
rasende Schmerzen, gedemütigt, in Ketten,
im innersten Gefängnis,
in tiefster Nacht.
Aber Paulus und Silas loben Gott.
„Wir haben die Gewebeproben überprüft. Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass der Tumor bösartig ist“
In tiefster Nacht!
„Wir haben Ihren Sohn aufgegriffen mit 5 Gramm Heroin. Wir vermuten, dass er auch gedealt hat.“
In tiefster Nacht!
„Ich hab alles, was ich brauche, ein Dach überm Kopf, zu essen, Arbeit. Aber wozu bin ich da?“
In tiefster Nacht!
„Mein Mann ist mir so fremd geworden. Keine Ahnung, was ich je an ihm geliebt habe. Dieses eiskalte Nebeneinanderherleben.“
In tiefster Nacht!
„Ohne Arbeit komme ich mir so nutzlos vor. Ich bin über 50; da habe ich doch keine Chance mehr“
In tiefster Nacht!
„Schon zwei Jahre ist mein Mann jetzt tot. Er fehlt mir so. Wir hatten uns die Zeit im Ruhestand so schön vorgestellt.“
In tiefster Nacht!
Indische Christen sagen:
„Der Glaube ist der Vogel, welcher singt,
wenn die Nacht noch dunkel ist.
(Wir singen jetzt vom Lied 279 die Strophen 6-8)
. Das wunderbare Erdbeben
„Der Glaube ist der Vogel, welcher singt,
wenn die Nacht noch dunkel ist.“
(Amsel heute um ¾ 5Uhr)
Paulus und Silas loben Gott – mitten in der Nacht,
mitten in der Bedrohung, im innersten Gefängnis
singen, wenn es noch dunkel ist.
Und da bricht eine ganze Flut von wunderbaren,
bewegenden und froh machenden Geschehnissen los:
Gefangene kommen frei und Verzweifelte fangen neu an.
Der Aufseher ahnt, dass auch er frei kommen kann,
paradoxerweise durch die Gefangenen und ihren „Vogel“.
Gerade noch wollte er seinem Leben ein Ende setzen –
und jetzt fängt er neu an, er und seine Familie: Bekehrung .
Ein Erdbeben, aber ein wunderbares-
wunderbar für alle Beteiligten: Befreiung und Bekehrung,
Jetzt habe ich noch zwei Fragen, auf die ich gerne eine Antwort hätte:
Können Sie sich vorstellen, dass sich in dieser Nacht
außer dem Aufseher und seiner Familie
noch andere bekehrt haben?
Und:
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem
Lied in der Nacht
und dem folgenden wunderbaren Erdbeben von Befreiung und Bekehrung?
(Verse 25 und 26 nochmals lesen)
Zu 1: Kann mir vorstellen, dass Paulus und Silas sich ihrem Herrn Jesus Christus ganz neu zugewandt haben, vor lauter Freude und Dankbarkeit,
vor lauter Mitfreude mit dem Aufseher und seiner Familie.
Bekehrung, eine wunderbare Sache, jeden Tag!?
Zu 2: Lukas scheint es so zu sehen
Wahrscheinlich war er sogar dabei
(Wechsel von „sie“ zu „wir“ kurz zuvor v.9)
Lieder in der Nacht - Wunderbare Erschütterungen
Dietrich Bonhoeffer, dieses Jahr 100. Geb.-Jubiläum,
wie kaum ein anderer dem Paulus seelenverwandt
hat seine Erfahrung mit Liedern in der Nacht und
wunderbaren Erschütterungen in seinem Credo zusammengefasst:
Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage
Soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber ergibt sie nicht im Voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
Vor der Zukunft überwunden sein.
Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist,
sondern dass er auf aufrichtige Gebete
und verantwortliche Taten wartet und antwortet. AMEN
Predigt an Kantate 2009
Matthäus 11, (25)28-30
28 Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. 29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. 30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
Liebe Gemeinde,
Hören Sie Christi einladende und wohltuende Worte:
(Mt.11,28-30 verlesen –
Betonungen auf „mein“ und „so“)
Wenn immer ich diesen „Heilandsruf Jesu“ höre oder lese,
fühle ich mich angesprochen, ich öffne mich
und es durchströmt mich Ruhe und Geborgenheit.
Ich fühle mich aufgenommen, angenommen, verstanden.
Und das ist bei einem Typ wie mir schon seltsam.
Normalerweise wittere ich zunächst bei allen werbenden Einladungen
Vereinnahmung, Übervorteilung, Manipulation.
Und wenn ich sonst von jemanden höre:
„Kommet her zu mir zu mir alle“
stört mich zuerst das „alle“,
wo wir doch alle sooo verschieden sind
und warum soll ich grad zu dem kommen.
Weil er ein übergroßes Ego hat oder mich ausnutzen will?
Aber spricht Christus solche großen Worte ist alles anders.
Ich kann sie nicht genug hören.
Allerdings muss ich jetzt aufpassen, sonst wird’s verlogen.
Denn es gibt Zeiten wo ich zwar auch „mühselig und beladen“ bin,
fertig, müde, ausgelaugt, belastet
aber ich suche nicht Christi Worte, lese nicht im Evangelium,
sondern höre auf Rattenfänger und deren esoterisches Gelabere.
Oder ich versuche Lasten abzuschütteln um beinahe jeden Preis
oder suche neue Kraft
in allen Arten von Ablenkungen und nutzlosem Schnick-Schnack.
Aber regelmäßig werde ich enttäuscht und bin dann müder als zuvor.
Ich suche Entlastungen, die sich als sinnlose Belastungen entpuppen.
Und manchmal suche ich auch Verständnis für meine Lasten.
Aber das geht oft schief,
weil den Andern seine Lasten eben doch stärker drücken.
Doch solche Enttäuschungen haben tatsächlich ihr Gutes:
Sie markieren das Ende einer Täuschung
und ich höre wieder auf den, der keinen enttäuscht:
(vv.28-30 verlesen)
Lasst uns nun in der Stille vor Christus bringen,
was und belastet und was uns müde macht:
(Stilles Gebet)
Herr Jesus Christus, DANKE, dass du uns hörst und erhörst. Amen
Sie hören das Amen und denken: Das war mal eine kurze Predigt!
Kantate („Meine Hoffnung und meine Freude“ aus Taize singen)
Wenn Christus die Beladenen einlädt, müsste man doch erwarten,
dass er anbietet, Lasten abzunehmen,
Aber nein!
Nirgendwo in seinem Heilandsruf spricht er von Entlastung.
Paradoxerweise entlastet er durch eine neue, aber leichte Last.
Die, die vorher eingespannt waren unter einem harten Joch,
spannt er wieder ein, unter sein sanftes Joch.
Sanftes Joch! Leichte Last!
Das Eigenschaftswort steht jedes Mal
in paradoxer Spannung zum Hauptwort.
Sanftes Joch! Leichte Last! Das klingt doch wie „Weißer Neger“
Und genauso paradox ist, dass er entlastet durch neue Last.
Und worin besteht seine neue, leichte Last?
Was ist sein neues, sanftes Joch?
Es ist die Nachfolge, der Weg ihm nach,
von ihm lernen, entdecken, dass sein Weg der Hingabe
auch der unsere werden kann.
„Wer das Leben gewinnen will, der wird es verlieren.
Wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen“ Mt.10,39
(„Meine Hoffnung und meine Freude“ aus Taize singen)
Was bietet er denen, die zu ihm kommen,
außer dass er sie in die Lehre nimmt und einspannt?
Zweimal wird verheißen,
dass alle die Christi Ruf folgen, zur Ruhe kommen
(Schon das „erquicken“ in v. 28 heißt buchstäblich „Ruhe verschaffen“)
„So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“
Aber Jesus wäre nicht Jesus, wenn nicht auch seine „Ruhe“
wie seine Last und wie sein Joch, eine Spannung zeigte.
Er kann damit wohl keinen idyllischen Ruhezustand meinen;
sein eigenes Schicksal weist in eine andere Richtung,
auch das vieler seiner Nachfolger.
Unterwegs durch die Wüste
wird Israel die Ruhe im Gelobten Land verheißen.
Noch unterwegs, noch müde werdend, noch irrend
wirft doch schon die versprochene Ruhe
ihre wohltuenden Schatten voraus.
Vorwegnahme, Vorwegfeier dieser Ruhe ist der Sabbat.
So ist auch die von Jesus versprochene Ruhe kein Psychotrick,
sondern mitten in der Wüste das gelassene Vertrauen:
Auf dem Weg der Hingabe,
eingespannt vom auferstandenen Christus,
befreit vom Um-sich-selber-drehen
werden wir Ruhe finden für unsere Seelen – schon jetzt.
ER wird’s tun!
Meine Übertragung, nicht Übersetzung von Mt. 11,28-30:
„Christus spricht:
Ihr müde gewordenen und ihr schwer Tragenden!
Kommt alle zu mir – bei mir kommt ihr zur Ruhe!
Lernt von mir und zieht mit mir an einem Strang,
dann werdet ihr für eure Seele Ruhe finden.
Denn ich bin gütig, ich protze nicht
und mein Dienst ist wohltuend und meine Last ist leicht.“
Amen
Rogate 2003
Lukas 11,5-13
5 Und er sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; 6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, 7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. 8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.
9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. 10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
11 Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? 12 Oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete? 13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
Liebe Gemeinde,
da bricht heute Morgen in unsere so fest gefügte Welt
das Wort vom beweglichen und bewegenden Gott.
Unserem apathischen Schweigen wird ein Bittet gegenübergestellt -
Das resignierte Akzeptieren des status quo
stößt auf ein ermutigendes Suchet -
und der Blick auf scheinbare Mauern wird so erneuert,
darin Türen zu sehen, an denen das Klopfet einen Sinn hat.
Und nun fragt sich‘s,
ob sich auf dieses Wort unseres Herrn hin
bei uns noch etwas regt,
etwas von der Sehnsucht,
dass an dem zuversichtlichen Bitten, Suchen und Klopfen
etwas dran sein möge,
ODER ob wir den Löffel schon weggeschmissen haben,
ob uns das Schweigen, das Hockenbleiben
und das auf Mauern starren
bereits zu hingenomnenen Wesensmerkmalen
unserer selbst geworden sind.
Ohne Ausnahme kennen wir Mauern in unserem Leben,
die unsere Beweglichkeit hindern,
die Sicht hindern, Zugänge verbauen.
Aber wollen wir das auf immer und ewig hinnehmen?
Vielleicht kann uns Christi Wort gerade noch rechtzeitig ermutigen,
damit der Löffel nicht weggeschmissen wird,
damit die Mauer wenigstens zur verschlossenen Tür wird,
verschlossen —ja-, aber eben Tür, eine Öffnung also,
die momentan NOCH geschlossen ist.
Vielleicht kann das Wort Christi es heute hier bei uns
und in uns schaffen,
dass das recht deprimierende Wort von Hans-Herrmann Kesten
über das typische Menschenleben Lügen gestraft wird:
„Schreiend werden wir geboren. Schreiend, vielleicht, sterben wir. In der Zwischenzeit: Ruhe bitte!“
Christus ruft uns zu: Nur das nicht! Schreit! Klopft! Rumort!
Treibt was um! Seid beweglich vor Gott und er wird etwas bewegen!
Werft den Löffel, werft das Vertrauen nicht weg!
Ruhe mag die erste Bürgerpflicht sein,
die erste Christenpflicht ist sie nie und nimmer.
Mache mir keine Unruhe!
So beschreibt Jesus die erste Reaktion dessen,
der um Mitternacht von seinem Freund aus den Federn gerissen wird. Unverhofft ist ein Gast gekommen - und es ist nichts mehr im Hause, womit man die orientalische Gastfreundschaft
zu einem schmackhaften Erlebnis machen könnte.
Not-wendig wäre die Hilfe eines Freundes in der Nachbarschaft.
Wozu sind Freunde da?
Voller Hoffnung bricht der Besuchte
zu einem nächtlichen, not—wendigen Freundesbesuch auf,
bewegt sich weg von der schnuggeligen Atmosphäre
des eigenen Heims,
rumort, poltert, klopft, erklärt, argumentiert, bittet.
Und? Und er macht DIE Erfahrung,
die millionenfach und zentnerschwer über vielen Menschen lastet:
Mache mir keine Unruhe!
Mache mir keine Unruhe!
Das Baby hat Hunger oder die Windeln voll.
Es schreit. Nicht immer zur gelegenen Zeit.
Manchmal bekommt es das zu spüren,
zuweilen nur durch einen Blick, der sagt: mach mir keine Unruhe!
Später, das Kind, das den todmüden Vater
zum Spielen bewegen möchte.
Der Jugendliche,
ausgefallene Frisur und Kleidung, noch ausgefallenere Meinungen,
sie alle wollen sagen: Das bin ich, unverwechselbar ich,
setzt euch mit mir auseinander.
Aber immer: Mache mir keine Unruhe!
Ein kleineres Wunder ist es,
wenn ein Erwachsener schließlich noch immer den Mumm hat,
zu suchen , zu bitten und zu klopfen,
nach so vielen Mahnungen zur Ruhe,
nach all den Erfahrungen,
dass dem Klopfenden auf die Finger geklopft wird,
dass dem Suchenden der Weg versperrt wird,
dass der Bittende um Ruhe gebeten wird.
Liegt es daran, dass viele Kinder noch beten,
während die meisten so genannten Großen es gesteckt haben??
Das Kind betet, der Mann will!
So hat ein Großer der Geistesgeschichte
seine religiöse Philosophie erklärt.
Das klingt so markig, so stark und so maskulin, so ungebrochen.
Aber ist es das auch?
Könnte es auch ein wunderschön verbrämtes Eingeständnis einer unendlich tief liegenden und tief greifenden Entmutigung sein?
Bitten und Beten,
den Menschen oder Gott in den Ohren liegen,
das bringt doch nichts, das bewegt doch nichts.
Also verlass‘ ich mich nur auf mich.
Also beschäftige ich mich nur mit mir, oder mit solchen,
die ich manipulieren kann zu meinem Vorteil
oder solchen, denen ich befehlen kann,
also solchen, die schwächer sind als ich oder dümmer.
Und heraus kommt der autistische Pascha,
der in sich selbst verkrümmte,
auf sich selbst gestellte einsame Mensch,
der keine Autoritäten anerkennen kann,
dem selbst Partner unheimlich sind,
weil ja gerade auch in der Partnerschaft
Bitten und Suchen unbedingt dazugehören.
Das Kind betet, der Mann will.
Wie fragwürdig!
Aber was WILL er denn, der durch das vieltausenfache
,,Mache mir keine Unruhe“ entmutigte Mensch?
Er will was im Bereich seiner eigenen Möglichkeiten liegt,
was ihm machbar erscheint.
Er nennt das eingeschränkte Blickfeld SEINER Möglichkeiten Realität. Darüber hinaus gibt es für ihn nichts.
Zwei seiner Ängste sind besonders ausgeprägt:
Er will unter keinen Umständen einen Fehler machen
UND er will nie und nimmer abhängig sein.
Beide Erfahrungen bleiben ihm weitgehend erspart,
wenn er nichts mehr wagt und wenn er sich auf das beschränkt,
was in seinen Augen ohne fremde Hilfe
- denn die bildet ja immer einen Unsicherheitsfaktor –
beinahe narrensicher zu erreichen ist.
Und so ist alles fest gefügt in seinem Weltbild.
Er weiß: Das geht und jenes nicht –
Und daher geht so wenig.
Er weiß: Das bringt etwas und das nichts.
Und er hat immer Recht, denn er wagt nie mehr das Neue,
das sein Blickfeld erweitern,
seine entmutigenden Erfahrungen aufbrechen könnte.
Er ist wie der Frosch, der in einem Milchkübel fällt.
Absolut realistisch schätzt er die eigenen Kräfte ein,
sie sind unzureichend, um lange genug weiter zu strampeln.
So hört er damit auf - und ersäuft.
Der berühmte Löffel ist weggeschmissen.
Ein zweiter Frosch aber, den das gleiche Schicksal ereilt hat,
verengt sein Blickfeld nicht auf die ihm sattsam bekannte Realität.
Nein, er bleibt offen
für eine ihm nur in der Ahnung bekannte Wirklichkeit.
und diese geahnte Wirklichkeit wirkt wirklich!
Nach Stunden des Strampelns sitzt er auf einem Butterberg.
Verzeihen Sie mir bitte, liebe Gemeinde,
wenn Ihnen dieser Vergleich am Sonntag Rogate zu platt,
zu primitiv erscheinen sollte.
Vergessen Sie, wenn Sie können und wollen,
den abgesoffenen Realo-Frosch und den immer noch grünen Fundi!
Aber denken Sie an die tödliche Konsequenz
einer gewissen, so genannten realistischen Einstellung –
oder sollte ich sagen Einengung –
und an die geahnte Wirklichkeit mit ihren ungeahnten Wirkungen.
Jesus nennt diese geahnte, geheimnisvolle Wirklichkeit mit ihren ungeahnten Wirkungen -- Gott.
Gott macht den Unterschied,
ob einer realitätsbenebelt ohne Ihn absäuft,
oder ob er mit Ihm
wahrhaft bewusstseinserweiternde Erfahrungen macht,
und das ohne Drogen.
Sich Seiner Wirklichkeit öffnen,
das ist etwas vom aktivsten und aktivierendsten überhaupt.
Und dasselbe gilt für das Gebet,
wie es uns Jesus in diesen Versen im Lukasevangelium schildert:
Es ist aktiv, klopfen, suchen, bitten.
Es ist Bewegung, die etwas bewegt.
Von wegen, mache mir keine Unruhe!
Von wegen, das ist nur was für die Stillen im Lande .
Von wegen, Beten sei ein mittelmäßiger Ersatz für das Handeln.
Das Beten ist selbst freies
und befreites, mutiges Handeln und Strampeln,
und es befreit zum Handeln und Strampeln - für sich und andere!
Der dänische Denker Kierkegaard schreibt in einer Tagebuchnotiz:
Damit das Recht der Erkenntnis seine Gültigkeit habe,
muss man sich ins Leben hinauswagen,
hinaus aufs Meer, und muss seinen Schrei erheben,
ob Gott ihn nicht hören wolle.
Nicht am Strand stehen bleiben
und die andern kämpfen und streiten sehen –
erst dann bekommt die Erkenntnis ihre wahre Beglaubigung,
und es ist in Wahrheit etwas ganz anderes,
auf einem Bein zu stehen und Gottes Dasein zu beweisen,
oder ihm auf seinen Knien zu danken.
DA wächst plötzlich die Erkenntnis,
dass meine Realität und Gottes Wirklichkeit
eben nicht deckungsgleich sind.
Meine Realität ist, dass es mir manchmal schwer fällt,
auf fremde Menschen zuzugehen.
Doch in und unter Gottes Wirklichkeit kann ich mich zuweilen hinauswagen in ein fremdes Haus,
das so unsicher und feindlich scheinen mag
wie ein aufgewühltes Meer.
Und erst im Zusammenspiel des Bittens im Kämmerlein
und des Klopfens an zunächst fremden Türen,
im Konzert von ora et labora, von bete und arbeite,
wächst die Gotteserkenntnis,
Da fördert das Wagen das Beten,
und das Beten stärkt und erweitert das Wagen.
Meine Realität ist eingeengt durch ein tausendfaches
,,Mach mir keine Unruhe! –
Gottes Wirklichkeit aber öffnet sich mir durch Christi einzigartiges „Macht Gott ruhig Unruhe!‘
Der wartet buchstäblich darauf gestört zu werden.
Und wenn ihr nicht in Worten bitten könnt,
weil es euch die Sprache verschlagen hat, dann klopft.
Und wenn ihr nicht wohlgeformte, liturgisch wertvolle Gebete formulieren könnt, dann seufzt, jammert, fragt und klagt.
Und wer unter uns hätte keinen Grund zu fragen und zu klagen?
Da sind die Puzzleteilchen der Weltgeschichte
und unseres persönlichen Lebens,
die einfach nirgends in das Bild vorn wohlwollenden Vater im Himmel hineinpassen wollen!
Da ist das schreckliche ABC der Geschichte und der Schicksale,
von Auschwitz und Arbeitslosigkeit bis Zentralamerika und Zerwürfnisse in der Ehe.
Scheint’s nicht manchmal wirklich so,
als ob Gott Schlangen und Skorpione statt Fische und Eier austeilen würde?
Aufgeben? Das Puzzle des Glaubens zusammenwerfen?
Das ABC der Schrecken verdrängen?
Oder klagend und fragend vor Gott weiterstrampeln
und endlich vielleicht die Erfahrung
einer Querschnittsgelähmten zu machen,
die nach vielen Jahren des Fragens und Klagens dankbar ausrief:
Ich bat um Füße und er gab mir Flügel!!?
Wie Gottes konkrete Gaben und Antworten auch immer aussehen,
eins ist uns verlässlich versprochen,
und das ist kein bloßer Trostpreis, sondern der eigentlich Hauptpreis:
Nicht nur GABEN werden uns zuteil, sondern der GEBER selbst.
Allen, die bitten, klopfen, suchen, rumoren, klagen, wettern,
gibt er seinen Geist, den langen Atem, den frischen Wind, sich selbst, damit wir an SEINER geahntenWirklichkeit
mit ihren ungeahnten Wirkungen festhalten.
Und da verändert sich unser Ausblick,
und so verändern wir uns selbst
und veränderte Beter verändern unsere so fest gefügt scheinende Welt - auf Gottes Welt hin. Dein Reich komme!
Amen!
Himmelfahrt 1978
Kol. 3, 1-4
1 Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. 2 Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. 3 Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. 4 Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.
Liebe Gemeinde,
suchet was droben ist,
so heißt es im heutigen Predigttext gleich zweimal.
Auch im Predigttext des letzten Sonntags war vom Suchen die Rede. Da hieß es allerdings: Suchet der Stadt Bestes.
Unsere Städte sind aber zweifellos unten.
So richtete sich das Suchen,
das am vergangenen Sonntag angesprochen wurde,
auf ganz konkrete Dinge.
Diese Art von Suchen konnte sich auf ganz handfeste Weise zeigen,
z. B. im politischen und sozialen Handeln.
Viele moderne Predigten gehen in diese Richtung
und sind mehr oder weniger Appelle,
sich für ein lebenswerteres Leben
in lebensermöglichenden Umständen einzusetzen.
Aber wodurch bekommt der von Natur aus
sich selbstsuchende Mensch den Willen und die Kraft,
das auch zu tun?
Wodurch wird er willens, Zeit und Kräfte zu opfern für Anliegen,
die ihm keinen Vorteil bringen,
die seine finanzielle Lage nicht verbessern,
die ihm keinen Ruhm einbringen?
Was ist der Antrieb, um selbstlos für andere da sein zu wollen?
Lassen Sie mich konkret werden:
Woher nehmen Personen,
die in Beruf und Familie voll ausgelastet sind,
den Willen und die Kraft,
sich um Menschen im Altersheim zu kümmern? Oder Geburtstagsbesuche zu machen oder Kirchengemeinderat zu sein, oder Kindergottesdienst zu halten,
oder Jugend- und Jungscharkreise zu leiten?
Das alles bringt nach landläufigen Maßstäben absolut nichts:
keinen Ruhm, kein Geld, nichts.
Woher nehmen Menschen den Willen und die Kraft,
einem miesen und fiesen Kollegen immer wieder zu vergeben,
ihn immer wieder neu zu akzeptieren?
Oder lieblosen Ehepartner nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten? Auch das ist doch nach den Gesetzen dieser Welt unlogisch,
denn hier zählt die Ellbogengewalt und das:
Wie du mir, so ich dir.
Wodurch kommt Bewegung
in des Menschen zähen und stumpfen Egoismus?
Wodurch bekommt diese Bewegung eine Richtung,
die nicht auf sich selbst, sondern auf andere zielt?
Nun, von einer Bewegung,
von einer Bewegung mit einer bestimmten Richtung
spricht unser heutiger Predigttext.
(Verlesung Kol. 3, 1-4 (Gute Nachricht)
Hier wird also von einer Bewegung gesprochen,
die durch Jesus Christus eingeleitet wurde.
Er ist nicht in der Bewegungslosigkeit des Grabes geblieben,
sondern er ist auferstanden und sein Platz ist jetzt oben,
zur Rechten Gottes, des Vaters.
Das feiern wir an Himmelfahrt.
Aber wie ist dieses Geschehen zu verstehen?
Ein Spötter meinte einmal, Himmelfahrt bedeute,
dass Christus der erste Weltraumfahrer gewesen sei.
Vielleicht haben ihm die Christen selbst
Material für diesen Spott geliefert,
weil sehr wenige verstehen, was Himmelfahrt Christi bedeutet.
Was hat das Wort oben in diesem Zusammenhang zu bedeuten?
Es darf nie als eine rein räumliche Aussage verstanden werden.
Unser Sprachgebrauch benutzt Begriffe wie oben, unten,
hinten und vorne oft nicht im buchstäblichen,
sondern im übertragenen Sinn.
Oben wird oft gebraucht, um ein Herrschaftsverhältnis anzudeuten. Wenn wir über einen Erlass, über ein Gesetz sagen:
Das kommt von oben! dann meinen wir,
dass die Regelung von Menschen oder von Institutionen kommt,
die ein Amt ausüben, die eine gewisse Macht haben.
Oben ist dann überhaupt keine Aussage
über eine räumlich höhere Stellung.
Das wird deutlich an folgendem Beispiel:
Vor Jahren arbeitete ich einmal auf einer Behörde.
Das Zimmer des Chefs war im Erdgeschoß, die meisten Bediensteten aber arbeiteten im ersten und zweiten Stock.
Wenn nun der Chef von uns etwas Bestimmtes verlangte,
dann sagten wir im üblichen Sprachgebrauch:
Das kommt von oben!
Obgleich der Chef ein oder zwei Etagen tiefer saß!
Das macht deutlich:
Oben bezeichnet oft ein Herrschaftsverhältnis.
So ist es auch im Neuen Testament gemeint.
Dass Christus oben ist bedeutet also, dass Christus herrscht.
Das feiern wir an Himmelfahrt: Die Herrschaft Christi.
Nun sind aber die meisten Menschen unserer Zeit
allergisch gegen den Begriff Herrschaft.
Zu oft haben wir Herrschaft als Willkür und Ausbeutung erfahren.
Zu oft mussten Menschen sich der Herrschaft
von anderen Menschen beugen,
von solchen, für die Herrschaft ein sadistisches Vergnügen war.
Wir kennen das aus Politik und Beruf,
vielleicht kennt es mancher sogar aus der Ehe.
So hat das Wort Herrschaft einen unguten Klang bekommen.
Aber im Zusammenhang mit Jesus Christus
nimmt dieser Begriff eine andere Färbung an.
Wenn wir wissen wollen, was Herrschaft Jesu Christi bedeutet,
dann müssen wir sein Leben hier auf der Erde betrachten,
denn so wie er damals gehandelt und geredet hat,
so übt er heute seine Herrschaft aus, so versteht er seine Herrschaft.
Er heilte und ermutigte zu neuem Leben.
Er akzeptierte ohne vorherige Bedingungen.
Er wusch seinen Jüngern die Füße.
Er betete für seine Mörder:
Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“
Darin wird die Art der Herrschaft Christi überdeutlich.
Seine Herrschaft war und ist Dienst am Menschen,
seine Herrschaft war und ist kein versklavendes Joch,
sondern eine Herrschaft zur Befreiung.
Sie ist getragen von reiner, echter, selbstloser Liebe.
Auf die eingangs gestellten Fragen,
woher der Wille und die Kraft komme,
zu einem Handeln, das ganz anders ist, als das typische,
von Selbstsucht gekennzeichnete, heißt dann die Antwort:
Das hat mit der Herrschaft Christi zu tun!
Da bricht etwas von der Herrschaft des guten Geistes Christi durch.
Liebe Gemeinde, in der Herrschaft Christi liegt die einzige Chance, für eine Heilung der unguten Zustände in dieser Welt,
in unserem Land, in unserer Gemeinde, in unserem Leben.
Hier ist wirklich die einzige Chance.
Aber die Reihenfolge der Heilung ist nicht wie eben angedeutet: Welt, Land, Gemeinde, Mensch, sondern umgekehrt.
Es fängt beim Menschen an.
Das spricht gegen die Utopisten,
die auf eine Veränderung der Umstände hinarbeiten,
und meinen, dann würde auch der Mensch besser.
Solche Träumereien sind immer zum Scheitern verurteilt.
Umgekehrt geht es: Im Menschen muss Neues werden,
dann hat das auch auf die Umwelt
und die Umstände seine Auswirkungen.
Deshalb ergeht die Aufforderung an uns:
Trachtet nach dem was droben ist!
Nach den vorherigen Erklärungen bedeutet das:
Trachtet nach der Herrschaft Christi! Suchet die Herrschaft Christi! Öffnet euch der Herrschaft Christi,
dann wird’s in eurem Leben zusehends anders werden.
Jesus Christus selbst lockt uns, macht uns Mut, ihm nachzufolgen,
so zu handeln wie er.
Seine Herrschaft geschieht also nicht mit der Peitsche,
nicht mit Parolen, nicht mit pausenlosen Appellen.
Er lockt! Er macht Mut zum ersten Schritt in die Richtung,
in die er selbst gegangen ist.
Darf ich Christus mit dem Vater vergleichen,
der seinem kleinen Töchterlein das Laufen beibringen will.
Er nimmt die Kleine erst einmal tagelang,
wochenlang in großer Geduld an der Hand
und läuft mit ihr in der Wohnung herum.
Wenn dann schließlich der erste eigene Schritt geschehen soll,
so entfernt sich der Vater nicht meterweit von dem Kind,
sondern streckt ihr nur einige Zentimeter weit entfernt
seine Hände entgegen.
Das Kind wagt den ersten Schritt, taumelt,
wird aber vom Vater aufgefangen.
Er weist nicht zurecht,
sondern versucht es noch einmal und noch einmal,
bis der erste Schritt gelingt.
Schließlich wird Tag für Tag die Entfernung vergrößert
und das Kind kann laufen.
So ist es mit Christus.
Er ist nicht ein ferner Gott mit Forderungen,
die über unser gegenwärtiges Vermögen gehen.
Er ist jedem von uns gerade ein Stückchen voraus.
So nahe, dass wir nicht den Mut
zum ersten Schritt in die neue Richtung verlieren.
Doch auch so fern, dass der selbstständige Schritt notwendig wird.
Er fordert vom Jähzornigen nicht,
von einem auf den andern Tag ein braves stilles Lämmlein zu werden, sondern er freut sich,
wenn der nächste Wutausbruch etwas gelinder wird.
Er fordert nicht, dass auf einen Tag all unsere Ich-Sucht verschwindet, sondern er freut sich riesig,
wenn er hie und da den ungeschickten Versuch
einer guten Tat für einen Mitmenschen wahrnimmt.
Er fordert nicht formvollendete Gebete,
sondern freut sich zunächst auch über einen Stoßseufzer
oder über ein kurzes Wort des Dankes.
Man könnte mit Beispielen so fortfahren,
aber das lässt die Zeit nicht zu.
So viel ist sicher,
Himmelfahrt bedeutet nicht,
dass Christus uns Lichtjahre weit entfernt sei,
sondern dass er uns ein Stück weit
in die richtige Richtung vorausgegangen ist.
Er ist noch so nah, dass wir den Mut zur Nachfolge nicht verlieren, doch er ist so fern, dass unsere eigenen Schritte notwendig werden, Schritte in die richtige Richtung.
So bedeutet Herrschaft Christi ein Locken,
ein Mutmachen zu kleinen Schritten in die Richtung,
die wir in seinem eigenen Leben feststellen können.
So wird nicht vorrangig
nach dramatischen geistlichen Erfahrungen gefragt.
Christus selbst sagte einmal:
Wer meinen Willen tut, der wird erfahren,
dass ich die Wahrheit bin und sage.
Das Leben nach seinem Willen müssen wir lernen,
wie das Kind das Laufen.
Das gilt auch für solche, die einen Neuanfang,
eine Bekehrung oder ähnliches erlebt haben.
Sie sind nicht endgültig erneuert,
sondern sie haben sich einer erneuernden Bewegung
in die gottgewollte Richtung angeschlossen.
Christ sein heißt nicht am Ziele, sondern auf dem Weg sein.
So ist es unendlich wichtig, sich auf diesen Weg nach oben,
d.h. in Richtung Herrschaft Christi zu begeben,
aber es ist entscheidend, auf diesem Weg zu bleiben,
mit kleinen, zaghaften Schritten vielleicht,
aber doch auf dem richtigen Weg.
Das bedeutet: Trachtet nach dem was droben ist.
Nun spricht aber unser Text
noch von der Verborgenheit der Herrschaft Christi
und auch der Verborgenheit unseres Christseins,
unseres christlichen Handelns.
Das bedeutet, dass christliches Handeln verborgen ist
in der Missverständlichkeit und der Zweideutigkeit.
Macht Ihnen das auch zu schaffen:
Wenn man sich gegen Unrecht nicht wehrt,
dann wird das doch als Schwäche gedeutet.
Wenn man sich zur christlichen Gemeinde hält,
so nennen das viele fromme Duckmäuserei.
Wenn man sich der Behinderten annimmt,
dann wird man doch selbst als bekloppt hingestellt.
Wenn man sich um türkische Kinder kümmert,
wird man doch selbst zum Fremdling.
Und wie manche gute Tat wird als Wichtigtuerei verschrien,
und wie manche ist aus Angst davor nie getan worden.
„Unser Leben ist verborgen mit Christus in Gott.“
Aber es wird offenbar werden mit Christus in Herrlichkeit.
Wer sich bei Christi Wiederkunft
auf diesem Weg zum Leben befindet,
sei es Zentimeter oder meilenweit,
dem wird Gott in Christus in Großmut entgegenkommen
über die restliche Distanz, zu dem wird er sich bekennen,
den wird er in der endgültigen Abrechnung,
wenn der Schlussstrich unter unser Leben gezogen wird,
den wird er dann nicht ohne Fürsprache vor Gott lassen.
Deshalb:
1 Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. 2 Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. 3 Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. 4 Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit.
Amen.
Pfingstsonntag 2002
Römer 8,1-2;10-11
1 So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. 2 Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
10 Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. 11 Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.
Liebe Gemeinde,
da habe ich gleich genauer hingeschaut, da wurde ich hellwach,
als ich das las:
So gibt es nun keine Verdammungsurteil für die,
die in Christus Jesus sind.
Wo, ja wo bitte, soll’s denn das geben:
Kein Verdammen, kein Verurteilen, kein liebloses Fertigmachen,
keine brodelnde Gerüchteküche, keine drohenden Scheiterhaufen.
Da wär ich gerne, da könnte ich aufatmen, leben, lieben!!!!
Wo gibt’s das??
Bei denen, die in Christus Jesus sind, sagt Paulus.
Meint er Christen? Oder gar Gemeinden,
also da wo diese Christen in Haufen auftauchen??
Da soll’s kein Verdammen und Richten geben?
Da kommt ein bitteres Lachen in mir hoch:
Dort gedeiht das doch am allerbesten!
Dort schwelen doch unablässig drohende Scheiterhaufen,
früher aus Holz und heute aus Gerüchten und Vermutungen.
„Haben Sie’s schon gehört, was die sich geleistet hat??!“
„Aber ihr Mann ist auch nicht ganz sauber!“
„Und die Kinder: Drogen des eine, Bulimie des andere!“
„Und unser Pfarrer, der hat doch kein rechte Glaube!“
Uiffingen ist anders, sagen Sie?! Ich wünsch’s Ihnen!
Mich hat manchmal die Befürchtung beschlichen,
dass es kaum Plätze gibt, wo gnadenloser gerichtet
und hemmungsloser verdammt wird, als in Christengemeinden.
Und als ich dann gestern mich furchtbar aufregte
über unseren Kanzler mit seinen Sorgen
über die Echtheit seiner Haarfarbe („Der ist ja sooo hohl“),
da wurde ich erinnert, wie lustvoll auch ich verdamme,
also wunderbar zu den Scheiterhaufen-Fanatikern passe.
Ja, sagen Sie, der Paulus meint ja auch nicht,
dass unter Christen nicht verdammt und gerichtet wird,
der meint, dass die Christen von Gott nicht verdammt werden.
Er sagt: Von Gott kommt kein Verdammungsurteil.
Genau das meint er, ABER sollte das nicht Auswirkungen haben???
Da gibt’s doch dieses Gleichnis von Jesus,
wo einer eine Wahnsinnssumme Geld nicht zurückzahlen konnte.
Bis ans Ende seines Lebens
hätte er Sklave sein müssen beim Geldverleiher,
seine ganze Familie im Sinne der Sippenhaft noch dazu.
Der lädt den armen Kerl auch vor,
aber er fällt kein Verdammungsurteil, sondern erlässt ihm ALLES.
Weder er noch seine Familie werden zur Sklaverei verdammt,
sondern eine unendlich barmherzige Großzügigkeit setzt ihn frei.
So ist Gott, will Jesus überzeugen.
Und wie ist der Mensch? Das zeigt Jesu story auch noch:
Der gerade am Verdammungsurteil vorbeigeschrammte Mensch
trifft draußen auf einen, der ihm 50 Pfennig schuldet, peanuts,
packt den am Kragen und verdammt ihn zur Sklaverei
bis er auch den letzten Pfennig zurückgezahlt hat.
Gibt’s das? Das darf doch nicht wahr sein:
Einer wird befreit und gibt die Befreiung nicht weiter.
Einer entgeht der Verdammnis und verdammt andere.
Einer wird entschuldigt und beschuldigt andere.
Einer erfährt unerwartete Großzügigkeit
und bleibt kleinlich gegenüber anderen.
Gibt’s das?? Kann das wahr sein??
Und wenn es das gibt: Wie ist möglich? Woran liegt’s?
Was verhindert die spontane, ja natürliche Weitergabe
von Großzügigkeit, Freiheit und Vergebung?
Wo klemmt’s?
„So gibt es nun kein Verdammungsurteil für die,
die in Christus Jesus sind“ ---
aber die verdammen hemmungslos weiter!
Entgeistert stellen wir dies fest und fragen:
Was sind die Hintergründe für diesen Ungeist?
Machen wir’s an dem Schuldner aus Jesu Gleichnis fest.
Warum klagt der peanuts ein,
wo er gerade Millionen erlassen bekam?
Warum statt überschäumender Lebensfreude
in sich verkrümmte Mickrigkeit?
Entweder war ihm seine Schuld und die drohende Strafe
in ihrer ganzen Schrecklichkeit nicht bewusst
oder er konnte an die totale Vergebung nicht glauben.
Entweder also meinte er:
Der Typ soll sich mal nicht so haben wegen der paar Millionen
oder er dachte: Wer weiß, was da noch nachkommt an Forderungen.
Das erste wäre eine illusionäre Verharmlosung seiner Schuld
das zweite Misstrauen an der Güte seines Befreiers.
Wer flüchtet sich in Illusionen? Wen die Realität überfordert!
Wer kann an Güte nicht glauben? Gebrannte Kinder!
Wo kommt beides zusammen?
In Menschen, die sich überfordert fühlen
und schon manches Enttäuschende hinter sich haben.
Das trifft auf mich zu.
Und auf Robert Steinhaüser aus Erfurt.
Und auf seine Eltern.
Und ich befürchte, dass dies auf Sie.. und auf Sie .. und auch auf Sie zutrifft:
Überfordert und enttäuscht.
Enttäuscht und überfordert.
Flüchten auch wir in Illusionen, weil die Wirklichkeit uns überfordert?
Mein Bub hätte so was wie der Robert Steinhäuser nie gemacht!
(Bei mir ist das keine Illusion! Weil ich keine Buben habe ;-)))
Die Eltern sind schuld, klagen die überforderten Lehrer;
die Lehrer haben versagt, meinen überforderte Eltern,
die Regierung, tönt die Opposition;
die Opposition, beteuert die Regierung,
alle sind sie nicht böse oder schlecht,
aber hoffnungslos überfordert.
Jeder sucht sich zu entlasten, weil schon so Schweres auf ihm lastet;
jeder sucht sich zu entschuldigen, weil .......
Was ich bekommen konnte, habe ich gelesen über Robert Steinhäuser und seine Familie.
Und ich bin zu Tod erschrocken, weil ich merkte:
Das hätte auch unsere Familie erwischen können.
Ja, freilich, da haben ein paar Details gefehlt,
da war die Sprachlosigkeit vielleicht nicht ganz so bedrückend.
Aber ist das mein Verdienst? Oder der meiner Frau?
Oder der meiner Töchter?
Oder kein Verdienst, sondern Zufall, oder Gnade oder Bewahrung???
Tagelang hat’s mich umgetrieben:
Wenn’s einer Familie wie den Steinhäusers passieren konnte,
hätte in jeder Familie, die ich kenne,
ein Amokläufer aufwachsen können.
Trete ich Ihnen damit zu nahe? Lesen sie über die Steinhäusers.
Zum ersten Mal bin ich dankbar,
dass die Medien über Persönliches berichten,
es kann fairen Menschen wirklich helfen.
Und jetzt sitze ich da und denke darüber nach,
was da jetzt in mir vorgegangen ist.
Nicht weil ich mein individuelles Erleben und Verarbeiten dieses
drei Wochen und zwei Tage alten Schocks so genial finde,
sondern weil ich eine Ahnung habe,
dass das wie ein Gleichnis ist für den Pfingstgeist.
Da war dieser zweite Schock,
zumindest so stark wie der am 26. April:
Du bist wie die Steinhäusers; sie sind wie du.
Und: Auch du warst schon extrem enttäuscht und hoffnungslos überfordert und schrecklich allein gelassen – wie Robert.
Kannst du ganz sicher sein, dass es deine bessere Moral
oder deine stärkere Disziplin waren,
die dich nicht Amok laufen ließen?
Martin Buber übersetzte Jesu Gebot der Nächstenliebe immer mit:
Liebe deinen Nächsten; er ist wie du!
Wie reagieren Sie,
wenn Sie in einem andern eine Schwäche entdecken,
die Ihnen selbst wohl bekannt ist?
Mit Verständnis oder mit Verdammnis?
ALLE sind wir verstrickt in dieses Potential zum Amoklauf,
ALLE sind wir zuweilen so enttäuscht und überfordert,
dass wirklich ALLES passieren könnte.
Alle sind der Sünde versklavt, sagt die Bibel
Der einzige Unterschied zwischen Menschen in dieser Hinsicht ist,
dass es die einen wissen, und die andern nicht.
Die es aber wissen,
etikettieren Robert nicht als Monster, wie die BLÖD-Zeitung,
und verdammen nicht seine Eltern.
Solidarität macht sich breit, zwischen Ossis und Wessies,
zwischen dem Vater, der dankbar ist für seine Töchter
und den Eltern, die der Verzweiflung nahe sind,
zwischen solchen, die bewahrt wurden und den andern,
bei denen es böse zugeschlagen hat.
Und dass dann kein Verdammen mehr stattfindet,
das ist von Gott her schon lange Realität, echt!
Das können sie getrost glauben!
(Erneute Textlesung)
In diesem Geist werden unsere Gemeinde zu Oasen,
wo Enttäuschte aufleben und Überforderte neue Kraft kriegen.
Sogar Tote kann dieser Geist aufwecken?
Dann aber auch uns!
Amen
Pfingsten 1983
Joh. 4, 19-26
19 Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. 20 Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. 21 Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. 22 Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. 23 Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. 24 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. 25 Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. 26 Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.
In einem alten Buch über die Fischer der Lofotinseln
entdeckte Bertolt Brecht eine bedeutsame Notiz, die er uns mitteilt: Wenn die ganz großen Stürme erwartet werden,
geschieht es immer wieder,
dass einige der Fischer ihre Schaluppen am Strand vertäuen
und sich an Land begeben, andere aber eilig in See stechen.
Die Schaluppen, wenn überhaupt seetüchtig,
sind auf hoher See sicherer als am Strand.
Auch bei ganz großen Stürmen sind sie auf hoher See zu retten.
Selbst bei kleineren Stürmen werden
sie am Strand von den Wogen zerschmettert.
Es mutet uns zunächst paradox an,
dass gerade bei den heftigsten Stürmen
die Sicherheit des Festlandes aufgegeben wird.
Die beinahe instinktiven Regungen
gehen in solcher Situation gerade in die andere Richtung:
sich festklammern, das Bekannte, Erprobte,
Verlässliche, das Kontrollierbare, Diskutierbare suchen.
Die samaritanische Frau,
deren Stimme wir am Anfang des heutigen Predigttextes vernehmen, hat ein sturmbewegtes Leben hinter sich.
Liebeshungrig hat sie von vielen Männern
Wärme, Geborgenheit und Sicherheit erwartet.
Doch jedes Mal musste sie frustriert und verunsichert Bilanz ziehen: Wieder nur das Gegenteil erreicht.
Aber sie hat damit leben gelernt – wie so viele unter uns.
Sie meinte wenigstens,
mit all diesen Enttäuschungen und Lieblosigkeiten leben zu können. Ein wenig Selbsttäuschung hier –
ein kleines Zurückschrauben der Erwartungen dort –
so kann man über die Runden kommen.
Aber nun begegnet ihr am Jakobsbrunnen dieser Fremde.
Er spricht sie auf ihren Lebensdurst an.
Er legt behutsam seinen Finger in die Wunden ihres Lebens.
„Geh und ruf deinen Mann!“ Sie kann nur antworten:
„Ich habe keinen Mann!“
Und Jesus sagt zu ihr: „Du hast richtig geantwortet:
Ich habe keinen Mann! Fünf Männer hast du gehabt, und der,
den du jetzt hast, ist nicht dein Mann; da hast du recht!“
Die kritische Stelle in ihrem Leben ist hier aufgedeckt worden.
Sie ist zutiefst betroffen.
Ihre vermeintliche Bewältigung ihres zentralen Problems
hat sich als bloße Verdrängung entpuppt.
Da in diesem Fremden
ist sie dem göttlichen Geist der Wahrheit begegnet.
Sie merkt: Vor ihm ist mein Leben offenbar!
Diese Erkenntnis erfasst sie wie eine Sturmböe.
Vom Geist der Wahrheit erfasst!
(Sowohl in der hebräischen wie auch in der griechischen Sprache bedeuten die Begriffe für Geist gleichzeitig auch Wind).
Wird dieser Geist, der sie jetzt so vehement erfasst hat,
sie zerstören oder sie tragen?
Soll und kann sie sich diesem Geist der Wahrheit,
der ihr in Jesus begegnet, voll aussetzen?
Oder soll sie sich schnellstens
auf irgendeine Weise durch Flucht in Sicherheit bringen?
Soll sie ihr Lebensschiff
ganz diesem sie bestürmenden Geist ausliefern –
soll sie – um mit dem Bild von Brecht zu sprechen – in See stechen, sich treiben lassen?
Oder soll sie ihr hin und her geworfenes Lebensschiff am Land
– d.h. am Bekannten, Machbaren und Unbeweglichen, festmachen?
Vielleicht kennen Sie das auch:
Durch ein Bibelwort, durch eine Predigt,
ein Gespräch kann man vom Geist der Wahrheit erfasst werden. Tiefgehende Einsichten ins eigene Leben gehen einem auf:
Was jetzt? Kann ich diese Tiefen ertragen?
Tiefgreifende Änderungen im Leben
drängen sich einem förmlich auf im Licht des Evangeliums.
Da habe ich schon lange diese Einstellung,
habe sie auch vor vielen lauthals verkündet.
Aber immer deutlicher wird:
Die ist vor Jesus, vor dem Geist der Wahrheit,
nicht mehr zu verantworten. Was nun?
Klammere ich mich fest am Gewohnten,
auch an dem Gewohnten, das die andern von mir gewöhnt sind.
Die hätten´s wirklich gerne so, denn wenn sich einer ändert,
sind die andern in der Regel verunsichert!
Ihnen ist die stillschweigende Forderung,
sich ebenfalls zu ändern, recht unangenehm!
Was tun, wenn der Glaube an Jesus Christus
sich plötzlich als lebensgestaltende Kraft erweist,
die sich nur um den Preis des Glaubensverlustes abschütteln,
oder kontrollieren lässt?
Die Samaritanerin am Jakobsbrunnen macht uns deutlich wie gefährlich es ist zu singen:
O komm du Geist der Wahrheit.
Ein bisschen Wahrheit. Ein bisschen Wahrheit, kontrolliert und dosiert, das ist schon recht.
„Deckel drauf, damit der Geist nicht entweicht“
sagte früher meine Mutter,
wenn mein Bruder oder ich uns Sprudel aus der Flasche eingegossen hatten.
Deckel drauf, damit der Geist nicht zu gefährlich wird.
So handelt schließlich auch die Frau am Jakobsbrunnen.
Zunächst ist sie zwar echt überwältigt von diesem Geist der Wahrheit! Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Sie ist tief betroffen,
aber sie hat den Deckel schon in der Hand!
Sie war nahezu überwältigt: Herr! Prophet!
Ums Haar hätte sie sich diesem Geist der Wahrheit
voll ausgesetzt, hätte sich von ihm tragen lassen,
hätte sich von ihm treiben lassen,
hätte sich von diesem göttlichen Brausen erfassen lassen.
Das wäre Anbetung,
echte Anbetung im Geist und in der Wahrheit gewesen!
Proskyneo! Anbeten! Sich niederwerfen, sich ausliefern,
das Ruder aus der Hand legen
und es dem Geist der Wahrheit anvertrauen.
Das heißt Anbetung.
So nahe war die Frau dieser Erfahrung!
Doch es wird ihr – wie auch so oft uns – zu brenzlig, zu risikoreich! Da hat man ja nichts mehr in der Hand.
Ein bisschen muss man ja schließlich auch seinen Glauben
in der Hand haben – ihn dosieren können,
damit man nicht total ausgeliefert ist!
„Und führen wohin du nicht willst“. Wie bedrohlich!
Kennen Sie auch solche Empfindungen?
Und sie wählt den Deckel,
mit dem man den Geist der Wahrheit
am erfolgreichsten unter Kontrolle bringen kann:
die theologische Diskussion,
in der Gottes Geist und seine Lebensäußerungen
zum Gegenstand menschlicher Erwägungen werden.
Sie entschließt sich,
ihr vom Geist der Wahrheit ansatzweise bewegtes Lebensschiff, wieder festzumachen am Gewohnten,
am Festland der religiösen Diskussion:
Der zwischen Juden und Samaritanern strittige Ort der Anbetung
soll in den Mittelpunkt des Gesprächs rücken –
damit der Gott, der Geist ist, der souverän ist,
der Anspruch auf ihr Leben erhebt,
damit dieser äußerst lebendige Gott
etwas mehr in den Bereich der Lebensränder gerät.
Wie viel wird doch über Gott diskutiert,
um ihm aus dem Weg zu gehen!
Aber Jesus lässt sich nicht auf die Diskussion ein –
nicht, weil er stur wäre – nicht, weil er es nicht wunderbar verstünde auf Menschen einzugehen!
Jesus führt zurück zur Sache, weil nur sie der Frau helfen kann: Anbetung im Geist! Proskyneo!
Sich niederwerfen, auf den Knien huldigen!
Dies im Geist und in der Wahrheit tun heißt:
Sich niederwerfen darf nicht nur
ein gut geübter körperlicher Vorgang sein,
sondern soll Ausdruck der inneren Einstellung sein:
Gott, du bist mein Herr. Gott, dir gehört mein Leben!
Gott, ich geb‘s auf, mein Leben krampfhaft selbst meistern zu wollen. Gott, ich verzichte darauf,
dich zum Gegenstand meiner frommen Gedanken
und Gespräche zu machen.
Gott, rede du, ich will hören!
Das heißt: Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten.
In der Anbetung ist zentral, dass ich von Gott ergriffen bin,
weniger wichtig ist, dass ich ihn begreife.
Anbetung heißt:
Den Deckel aus der Hand legen und Gott das Dosieren überlassen. Anbetung heißt: Die Taue der Angst kappen
und das Lebensschiff vom neuen göttlichen Wind treiben lassen. Pfingsten heißt:
Solche Anbetung im Geist und in der Wahrheit wagen.
Aber in uns ist ein grundsätzliches
und tief verwurzeltes Unbehagen vor Fremdbestimmung.
Wir haben es erlebt wie in Familie, Gesellschaft und Politik Fremdbestimmung, das sich treiben lassen, zum Fluch wurde.
Deshalb die Angst davor!
So büchst die Frau am Jakobsbrunnen zum zweiten Mal aus:
„Ich weiß, dass der Messias kommt, der wird uns alles verkündigen! Wieder die fromme Diskussion!
Nur weg vom existentiellen Betroffensein!
Irgendwann einmal werden wir wissen!
Aber heute, wer kann heute schon etwas Gewisses wissen?
Heute hat jeder recht – und dadurch keiner!
Sie eilt in den Bunker der unverbindlichen Diskussion!
Wahrheit – später einmal!
Und knallhart holt Jesus sie zurück:
„Ich bins, der mit dir redet.“
Was sie die ganze Zeit ahnt, wird ihr nun deutlich zugesprochen:
Hier in dieser Person begegnet ihr der Geist der Wahrheit!
Hier an der Einstellung zu dieser ganz konkreten Person
entscheidet sich, ob es zur Anbetung kommt.
Damals wie heute gilt:
In dieser Person des Juden Jesus ist der Geist geerdet.
„Das Heil kommt von den Juden –
der Retter der Welt kommt aus diesem Volk.
“ Wer sich Gott dem Geist in Wahrheit aussetzt,
kommt am Juden Jesus nicht vorbei!
So hat es Gott gewollt!
In Jesus ist Gottes Geist geerdet!
Gottes Geist ist kein willkürlicher, freischaffender Künstler –
er hat ein Gesicht, eine Gestalt, ein Leben,
ein Schicksal, eine Zukunft –
in der Person Jesu Christi, dem Juden,
der vor beinahe 2000 Jahren gelebt und geliebt hat.
Möchten Sie darüber diskutieren?
Diskutieren Sie meinetwegen solange sie wollen!
Wundern Sie sich aber nicht,
wenn ihr Leben zerbricht zwischen dem Brausen des Geistes
und Ihrem angstvollen sich klammern
an das Kontrollierbare und Dosierbare.
Der Geist, den Sie sich in der Dose halten wollen,
wird zum bösen und zerstörenden Geist.
Das ist die Tragik des religiösen Menschen.
Jesus Christus aber ist der Befreier aus aller verklemmten Religiosität. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit!
Freiheit von den Steinigungsversuchen
religiöser Fanatiker und Gesetzesmenschen.
Da stellt sich Christus schützend vor uns.
Freiheit von dem peinigenden Anklagen des Gewissens.
Christus ist hier, der gerecht macht.
Freiheit von sich selbst und für andere
und schließlich die Freiheit, Gott wirklich Gott sein zu lassen!
Ohne Angst – den Vater Jesu Christi, den der aus der Sklaverei führt – den dürfen wir getrost und dankbar anbeten.
Das risiko- aber segensreiche Pfingstgebet ist:
O komm, du Geist der Wahrheit!
Amen
Pfingsten 2008
Apg. 2, 1-13
- 1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
- 5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? 9 Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.
Ja, wenn’s nicht aus der Hl. Schrift wäre
würde ich meinen, hier wird meine erste Liebe beschrieben:
Nach langen Zeiten schmachtenden Wartens - die Erfüllung,
gleich zweimal kommen Worte wie Fülle am Anfang vor.
Dann ist da ist ein Brausen, wild und unkontrollierbar,
da sind Menschen Feuer und Flamme
und da ist dieses Lallen, jenseits von allem Verstand ,
(oh du süßes Honigschnäuzchen!)
aber jeder ist von diesem Lallen fasziniert.
Und die Geschichte schließt mit dem Verdacht :
„Sie sind voll von süßem Wein“
O wunderbare erste Liebe!
30 Jahre später kriegt man vor so was Angst,
Zyniker kommentieren es mit Hohn.
Das hat seinen Platz in Hollywood-Schinken,
aber nicht in der Wirklichkeit.
Soweit auch die Geschichte der Kirche in Kurzfassung:
Am Anfang ekstatischer Geist, rauschhafte Faszination,
am Ende, heute, krämerhafte Vereinsmeierei,
das Drehen um sich selbst.
Am ersten Geburtstag das Rühmen der großen Taten Gottes,
an ihren Geburtstagen heute, zu Pfingsten,
die Sorge um Besitzstandswahrung.
Wie kommen wir denn bei den Menschen an?
Werden wir verstanden, geliebt?
Umfragen, Erhebungen, Imagepflege.
Hätte unsere Kirche einen Busen, sie würde ihn liften lassen,
mindestens wöchentlich,
und damit verraten, dass sie nix begriffen hat.
Nix von Liebe und nix von Schönheit.
Den ersten Christen war’s sch…egal wie sie ankamen,
sie waren angekommen, angenommen …… bei Gott selbst,
durch dessen große Taten im geschundenen
und eben darin
triumphierenden Jesus.
Die hatten verstanden, bevor sie verstanden werden wollten.
Die ersten Christen hatten in eben diesem Jesus einen Geist entdeckt,
der sie widerstandsfähig machte
gegen den Ungeist von Anpassung, Kleinlichkeit und Selbstgerechtigkeit.
Oh großer und barmherziger Gott,
wehre dem Ungeist der sich an Herrn Fritzl in Amstetten aufgeilt
und sich selbst bestätigt:
Zu soo was wär’n wir nie fähig,
wir wär’n nicht so weg-guckerisch gewesen wie die Ehefrau
wir hätten das alles auffliegen lassen.
Und die Zeitung mit den Balkenüberschriften
schürt hämisch eine pharisäische Selbstgerechtigkeit.
Jesus würde dazu sagen:
Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist
als die der Schriftgelehrten und Pharisäer,
sooooo ……. könnt ihr nicht ins Reich Gottes kommen.
Solange wir meinen, wir könnten unsere Christlichkeit demonstrieren,
durch Worte der Distanzierung von Gefallenen
und Gescheiterten und Verirrten,
hat’s der Geist Jesu schwer bei uns.
Wenn wir nur neu verstehen lernten:
Christus hat nur eine Chance
Und zwar in zitternden und verzagten Herzen,
die staunen und loben und fassungslos sind darüber,
dass Jesus sie nicht schon längst hat fallen lassen.
DARUM waren die Jünger und Jüngerinnen an EINEM Ort (Vers 1),
weil sie schüchtern und verzagt noch nicht glauben konnten,
dass ihr Jesus LEBT,
dass ihre Hoffnungen zwar verwandelt,
aber nicht gestorben waren.
Als die Frauen von der österlichen Begegnung
mit dem Herrn erzählten,
hielten’s die Herren der Schöpfung für ein Geschwätz,
typisch Weiber eben, glauben halt was sie sich wünschen.
Ja, das ist schon wunderbar,
wenn die Wirklichkeit die Wünsche überholt.
Das passiert manchmal in guten LIebesgeschichten
Also lasst uns dem Verdacht nachgehen,
die Pfingstgeschichte sei eine Liebesgeschichte.
Von meinem theologischen Guru, Prof. Klaus Berger, habe ich gelernt,
dass in einem biblischen Text das Fremde auf sein Anliegen hinweist.
Finde also in einer Geschichte
das Auffällige, Anstößige, Außergewöhnliche,
und du bist nahe an ihrem Kern,
dann wird’s warm, würde man beim Osternestsuchen sagen.
Bei der Pfingstgeschichte braucht man nicht lange suchen:
Fremd sind die Verse mit den unaussprechlichen Völkernamen:
(vv. 9-11 lesen)
Hä? Und da soll der Kern, die Botschaft, das Anliegen versteckt sein?
Diese Völker haben verschiedene Sprachen und Kulturen,
aber EINS ist ihnen gemeinsam:
Sie VERSTEHEN.
Und dieses Verstehen hat drei Kennzeichen:
1. Sie verstehen, wo man es eigentlich nicht erwarten konnte
2. Ihr Verstehen sprengt echte und harte Grenzen
3. Ihr Verstehen ist missverständlich, riskiert Missverständnis
Sind das wohl Kennzeichen des Pfingstgeistes, noch heute?
1. Sie verstehen, wo man das eigentlich nicht erwarten konnte
Die Apostel, alle ohne Studium in den Goethe-Instituten ihrer Zeit,
werden verstanden von den Leuten aus aller Herren Länder,
die ebenfalls noch keine Sprachschule von innen gesehen hatten.
Was geht da ab?
Simultanübersetzung vor der Zeit? Sprachenwunder? Hörwunder?
Auf jeden Fall Wunder!!!
Und jetzt bitte nicht die Modernitäts-Klatsche rausholen:
Ha, des gait’s doch goor nedd! Mier sann uffgeglährt!
Oh, wie wunderbar, sich wieder mal einlassen
auf Gottes ungeahnte Möglichkeiten, auf seine großen Taten.
Die Wirklichkeit nicht mehr prokrustes-mäßig zuschneiden
auf unsere ärmlichen und so arg begrenzten Erfahrungen.
Wo Christus ist, da gibt es diese Limits nicht,
wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.
Sie verstehen, wo man es eigentlich nicht erwarten konnte.
Eine Liebesgeschichte?
Das ist doch wie wenn zwei zusammenziehen,
nach Jahren des Rum-Poussierens,
und er hat das immer hinauszuschieben versucht, komisch!
Aber er hütete ein kleines, ihm peinliches Geheimnis,
das würde in der gemeinsamen Bleibe ans Licht kommen.
Und es kam ans Licht – aber es war ein warmes Licht.
Sie verstand, was eigentlich nicht zu verstehen war.
Verstehen – eine Liebesgeschichte – damals und heute!
2. Ihr Verstehen sprengt echte und harte Grenzen
Glauben Sie mir, zwischen einem Ägypter,
einem Perser und einem Juden
da sind betonmäßige Grenzen der Weltsicht und des Menschenbilds.
Wie Beton-Grenzen heute
zwischen unseren Frömmigkeits-Prägungen:
Die einen wissen, welcher Pfarrer gläubig ist uns welcher nicht
die andern wollen immer interpretieren,
kommentieren und nivellieren.
Man könnte das Profil dieser einander kritisch Gesinnten
in unseren Gemeinden beliebig fortführen.
Manchmal sind aber beide begeistert von Christus,
beide lieben IHN und seine wunderbaren Taten an uns.
Mag sein, sie lieben verschieden. Na und?
Kann es sein,
dass 7 Milliarden Menschen heißt –
sieben Milliarden Arten der Liebe?
Nehmen Sie doch nur mal die Jüngerinnen und Jünger Jesu,
wie verschieden und vielfältig sie ihn liebten:
Der stürmische Petrus, die warmherzige Maria Magdalena,
der suchende Thomas und der melancholische Johannes.
Und sogar eine Edelhure
darf Jesus mit den Praktiken ihres Gewerbes zeigen,
wie sehr sie ihn liebt.
Gott liebt die Vielfalt!
Das habe ich in Reli, manchmal bis zur Schmerzgrenze,
als einen Hauptinhalt der Schöpfungsgeschichte
rüberzubringen versucht.
Der Gott, der die Bananen gelb und die Kohle schwarz geschaffen hat,
freut sich, wenn Verschiedenheit nicht als unüberwindliche Grenze,
sondern als Farbigkeit und als Heilmittel
gegen Langeweile verstanden werden.
Welche Liebesgeschichte, wenn so genannte Moderne und sog. Konservative einander entdecken in ihrer Faszination von Jesus!
3. Ihr Verstehen ist missverständlich, riskiert Missverständnis
Was da zwischen den galiläischen Juden
und den 17 anderen Gruppen abging,
war so feurig, so brausend, so spontan,
so völlig jenseits alles Gewohnten,
dass es missverstanden werden MUSSTE.
Hätten die sich damals diesem überwältigenden Verstehen,
diesem Feuer der Be-Geisterung, diesem unkontrollierbaren Brausen
widersetzen können??
Evtl. um Missverständnisse zu vermeiden?
Warum sollten sie so blöd sein,
und diese wunderbare neue Kraft abblocken,
wo sie doch Wärme in die Kälte,
leuchtende Augen statt verkniffener Visagen,
Weite statt beklemmender Ängstlichkeit
bringen würde?
Der Verdacht „Sie sind voll süßen Weins“ konnte sie nicht lähmen.
Um warum sollten wir uns sträuben,
wenn Gottes guter Geist uns in diese
Liebesgeschichte des Verstehens
hinein nehmen will?
Oh Jesus Christus,
du verstehst uns, wo wir das eigentlich nicht erwarten könnten,
du, der Heilige überwindest die Grenzen zu uns Sündern
du hast Missverstandenwerden riskiert – bis zum Tod am Kreuz.
DEINEN Geist erflehen wir im Ungeist unserer Tage.
„Ich hang und bleib auch hangen an Christus als sein Glied,
wo mein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit
ER reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not,
ER reißet durch die Höll, ich bin stets SEIN Gesell!
AMEN
Pfingstmontag
Brückenfest 1990
Gen.11
(vor der Predigt das beigeheftete Anspiel)
1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2 Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder.
5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe!
8 So zerstreute sie der HERR von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.
Liebe Gemeinde,
Im 12. Jahrhundert vor Christus
fing Nebukadnezzar I an, im Flachland von
Mesopotamien einen Stufentempel zu bauen.
Der sollte 90 Meter hoch werden
(Unser Kirchturm hat etwa 12 m)
Aber aus irgendeinem Grund wurde er nie fertiggestellt
Da stand die Ruine über viele Jahrhunderte
und wurde später zum Sinnbild für zerstörte Größe
aber auch für zerstörerische Größe.
Dafür wurde Babel zum Sinnbild,
für zerstörerische Größe,
für die Tragik der Wahnwitzigen und
für die grenzen- und gnadenlose Selbstüberschätzung
Babel ist überall
Babel wurde aber auch zum Sinnbild für die Folgen
von Überheblichkeit und Ruhmsucht.
Und weil diese ihre Wurzeln in der Angst haben,
in der Angst vor Vergeblichkeit und Leere,
wurde Babel auch zu einem Symbol für Lebensangst und ihre Folgen.
Babel ist überall
Der uns vom Turmbau zu Babel erzählt,
hält uns in dem Bild von Turmbau und Sprachenverwirrung
einen Spiegel vor:
Du, geneigter Leser,
wenn Du wahrnimmst
das Aneinandervorbeireden,
das Hintenherumreden,
das Verschleierungsreden,
und wenn Du noch daran leidest
und dich noch nicht daran gewöhnt hast
oder gar Gefallen daran findest,
dann denk nach, denk meiner Geschichte vom Turmbau nach,
denk nach, woher die Verwirrung kommt.
Mach's Dir nicht zu einfach:
Sag nicht: Daran sind die alten Babylonier schuld,
Sag nicht: Da hat Gott vor Jahrtausenden zugeschlagen
und ich muss heute noch darunter leiden.
Sag auch nicht: Endlich weiß ich,
warum ich Fremdsprachen lernen muss
Frag dich: Wie gehe ich mit der Angst vor Zerstörung um?
Frage dich: Was tue ich,
wenn meine Ziele und Träume
meine Beziehungen und Einstellungen
mein Bild von mir selbst
anfangen zu bröseln
wenn du fürchstet, dich zu verlieren,
was tust du dann?
Wirst du dann hart, mauerst dich ein,
wirst selbst zum Turm,
wirst selbst zur zerstörerischen Größe?
Frag dich: Flüchte ich in festgefügte Rollen
Frag dich: Suche ich sklavisch Halt in der Bestätigung durch andere?
Frag Dich: Wird Gemachtes zum Lebensinhalt
und werde ich selbst zum Türmlesbauer, zum Macher?
Werde ich zum zwanghaften Macher meines Namens?
Dann wundere dich nicht,
wenn Verständigung sich verfestigt in
stereotype Floskeln,
wenn Sprache verkommt zur nichtssagenden Hülse,
die mehr verbirgt als sie offenbart.
Diesen Beichtspiegel hält uns der Erzähler vor,
denn Babel ist überall.
Aber wie ein guter Seelsorger,
lässt er uns nicht allein mit diesem,
unserem zerstörten und zerstörerischen Bild,
sondern zeigt uns unser neues Bild.
Abraham, als Gegentyp zu den Turmbauern aus Angst
wird uns gezeigt als ein Brückenbauer aus Glauben.
Gleich nach dem zerstörerischen Namen-Machen-Wollen
hören wir von einem,
der einen Namen bekommt,
von Gott selbst.
Und diesem Namen haftet nicht an der Gestank des Eigenruhms
sondern der Duft alles Leichten und Lebendigen,
der Duft alles Unverkrampften und Vertrauenden
lockt uns auf den Weg Abrahams.
Er zementiert sich nicht fest,
sondern bewegt sich im Vertrauen auf den,
der in der Bewegung Halt gibt.
(Gen.12,1-2 lesen)
Abraham weiß nun:
Er hat einen Namen, von Gott garantiert.
Er steht nicht mehr unter dem Zwang,
sich einen machen zu müssen.
Abraham trägt in sich ein neues Bild:
Er ist ein Gesegneter und wird ein Segen sein.
Übertragen:
Gott hat eine Brücke zu ihm geschlagen
und er schlägt eine zu vielen andern.
So sind seine Mitmenschen nicht Rivalen,
sondern Weggefährten, wo einer den andern braucht.
Und mit diesem neuen Bild,
das Abraham nun in sich trägt,
wird auch die Sprache entwirrt:
Babel ist nicht mehr überall!
Die neue Sprache wird belebt
vom Angesprochensein Gottes.
Und weil alle so Angesprochene sind
sind auch alle ansprechbar.
Fang an, in dir selbst und dem andern
bereits Angesprochene Gottes sehen
Und aus den begonnenen Türmen
werden Brückenpfeiler
und du gehst nicht nur dem Himmel entgegen,
Mehr: er kommt dir entgegen. Amen
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